Donnerstag 6.8. Flechtingen - Wolmirstedt 54 km

Heute werden wir einen heissen Tag erleben, und das wird nicht nur an den Temperaturen liegen. Als wir Flechtingen vorbei an den Gebäuden des Median Klinikums verlassen, ist es noch angenehm kühl. Auf dem Weg Richtung Hilgesdorf kommt man an den Steinbrüchen vom NNG-Hartsteinwerk vorbei. Dort stehen die Lastwagen Schlange, um vollgefüllt zu werden. Von den Steinbrüchen ist nicht viel zu sehen.

Nach Ivenrode geht es nun wieder einen Berg hinauf, und wer sein Fahrrad liebt, der schiebt. Hinterher geht es auch wieder hinunter und in Altenhausen begeben wir uns zum Schloss, von dem wir in Flechtingen ja schon gehört hatten. Dort gibt es eine Rezeption, wo man auch einen Flyer erhält, damit man weiss, womit man es zu tun hat. Die ganze Einrichtung nennt sich Event- und Ferienzentrum. Besonders eingerichtet für Familien- und Kinderfreizeiten wirbt man mit dem Slogan "Schlafen wie Grafen".

Auf einer Bank im Burghof machen wir uns es gemütlich, in einen Papierkorb kann man auch klammheimlich die leere Weinflasche vom Vorabend entsorgen. Da kommt schon einer um die Ecke, der die Papierkörbe wieder leert. Als er die leere Weinflasche im Papierkorb neben uns entdeckt, schüttelt er mit dem Kopf und murmelt: "Die saufen wie die Bürstenbinder". Wir gucken derweil schräg vor uns auf den Boden.

Wir fahren weiter und versuchen, einem hügeligen und unbefestigten Teilstück des Radweges auszuweichen. Dabei geraten wir leider auf die Bundesstrasse B245 und müssen ohne Radweg ein paar km bis Bebertal hinter uns bringen. Zum Glück sind die überholenden Schwerlaster grosszügig und weichen mit grossem Abstand aus. Das ist ja leider nicht immer so. Wir sind froh, als wir die Abzweigung nach Hundisburg erreichen, wo uns eine Attraktion der besonderen Art erwartet.

Zunächst gibt es noch einen Zwischenfall. Während ich fotografiere, fährt Heidi wie üblich voraus. Als ich dann bis zum Schloss Hundisburg nachfahre, entdecke ich keine Spur von ihr. Nun war gleich am Ortseingang die ausgeschilderte Abzweigung Richtung Haldensleben. Ist sie da vielleicht entlang gefahren. Also zurück und ein Stück des Weges erkundet, aber auch da keine Spur. Also zurück zum Schloss, wo wir ja den Barockgarten besichtigen wollen. "Wo bleibst du denn?" werde ich vorwurfsvoll empfangen, aber so hat man sich wieder. Die Räder lassen wir stehen ohne sie anzuschliessen, hier wird ja wohl keiner klauen. Bei Heidis Rad wäre es auch nur schade um die Packtaschen und die Baumeltiere am Lenker.

Wir klettern ein paar Treppen hoch und betreten durch einen Torbogen den Innenhof des Schlosses. Dort ist auch ein Empfangs- und Verkaufsraum und wir unterhalten uns mit der Dame dort. Wir seien schon 1990 einmal hier gewesen, und da habe es allerdings noch etwas anders ausgesehen, berichten wir. Da entdecke ich den gleichen WLAN Stick an ihrem PC, den ich auch zu Hause habe (Netgear). "Wenn wir mal ins Internet gehen, können wir ihnen das Foto von damals zeigen". Das gelingt auch und die Dame staunt nicht schlecht.

Nun begeben wir uns auch in den Barockgarten, da hat sich wirklich mächtig was getan. Das Fernsehen kommt hin und wieder und in der letzten Woche war auch ein Bericht in der Braunschweiger Zeitung, den wir leider übersehen hatten. Nun kann man wieder ein paar Fotos machen, die den Erfolg der Bemühungen dokumentieren. Anschliessend klettern wir die Treppen wieder runter und finden unsere Räder unversehrt vor.

Für den Rest der heutigen Strecke wollen wir uns wieder dem Mittellandkanal anvertrauen, der uns direkt zu unserem Tagesziel Wolmirstedt führen könnte. Dazu fahren wir auf der Landstrasse nach Althaldensleben und fahren nach einer Umleitung auf dem linken Gehsteig einen kleinen Berg runter. Wir fahren links, weil da Schatten ist. Wie immer fahre ich bergab volle Kanne, bis ich Heidis Bremsen hinter mir quietschen höre. Als ich mich umsehe, sehe ich ihre Gepäcktasche von hinten links auf der Fahrbahn liegen. Die Fahrerin eines Autos, die aus einer seitlichen Einfahrt zu kommen versucht hat, steigt gerade aus. "Hast du dich wehgetan" fragt sie, grammatisch nicht ganz richtig. Inzwischen bin ich auch zurückgefahren. Es ist weiter nichts passiert, doch Heidi hat weiche Knie. Nun liegt diese enge Ausfahrt direkt hinter einem Knick des Gehsteigs und ist vorher nicht zu erkennen. Doch wir sind auf der falschen Seite gefahren. Zum Glück ist die Fahrerin sehr freundlich und macht uns keine Schuldvorwürfe. Ich kann Heidi trösten, dass ich das grössere Glück gehabt habe, weil ich an dieser "blinden" Stelle mit einem viel höheren Tempo vorbei gerauscht bin. Da wäre man glatt über den Lenker gegangen und es wäre ein erheblicher Blechschaden entstanden. "Ja, diese dumme Ausfahrt" klagt die Dame noch, "aber wir ziehen hier ja bald weg". Wir verabschieden uns, noch einmal beiderseits Entschuldigungen aussprechend.

An der Kanalbrücke angekommen setzen wir uns erst mal in den Schatten, um die weichen Knie auszukurieren. Der Fahrweg am Kanal ist dann auch entspannender, wir kommen zur nächsten Brücke, und weit voraus erkennt man Silos und Verladeeinrichtungen. Je näher man kommt, desto beängstigender wird die Aussicht. Und schliesslich tritt das Befürchtete ein, ein Zaun versperrt die Weiterfahrt. Eine Umgehung dieser Industrieanlage (Magdeburger Getreide GmbH Vahldorf) gibt es nicht erkennbar. Wir müssen also die 3 km wieder zurück fahren. Dass man rechtzeitig eine Beschilderung hätte anbringen können, daran hat wohl keiner gedacht. Auf meiner Fahrradkarte von ALDI ist diese Kanalseite übrigens als Radstrecke eingezeichnet.

An der Brücke, an der wir vorhin schon mal waren, erwartet uns weiterer Horror. Zunächst ist keine Möglichkeit zu entdecken, an der anderen Kanalseite von der Brücke hinunter zu kommen. Nicht weit von hier führt die vielbefahrene Bundesstrasse B 71 entlang, da sehnt man sich auch nicht hin. Schliesslich entdecken wir eine enge Treppe und die Stufen einer Rampe, wo man hinunter gelangen könnte. Das heisst, die Gepäcktaschen runter, alles über eine Leitplanke hieven, und nach und nach alles hinunter tragen. Heidi kommt sich wie in einem Amphitheater vor, wo sie auch die Stufen hinunter nur mit glasigem Blick bewältigen kann. Hier hilft sie sich mit dem Hinterteil, indem sie sitzend Stufe für Stufe hinter sich bringt.

Inzwischen ist alles runter geschafft, eine Bahnstrecke gilt es noch zu überqueren, und dann setzen wir uns erst mal hin, um zu verschnaufen. Alle Taschen wieder angebaut, und nun kann es weiter gehen. An einer Rampe am Kanal sind zwei Vermessungstechniker aus Peine (laut Kfz-Kennzeichen) am Werke. Der eine läuft mit einem Messrad herum und ruft dann "Fünfundfünfzig!!". "Waahs?" ruft der andere. "Fünfundfünfzig!!". Wir fragen dazwischen schon mal, wie der Weg weiter geht. "Bis zur nächsten Brücke, dann kommt eine Baustelle". Na dann mal los!

Hinter der nächsten Brücke (ausgerechnet die B 71 kreuzt hier) nähern wir uns vorsichtig der Baustelle. Ein Bagger versperrt den Weg und schaufelt eifrig den Modder hin und her. Als der Baggerführer unser ansichtig wird, wir da sehnsüchtig nach vorne schauen, stellt er den Bagger ab und dreht ihn so, dass man vorbei kommt. Nun kommt da noch ein metertiefer Graben, und ich versinke mit dem Rad unter dem Arm bis über die Knöchel im Dreck. Aber auf einmal sind da viele helfende Hände, und Heidi und ihr Fahrrad schweben gleichsam hinüber.  Das ging  ja nun  noch einmal gut und wir sind sehr sehr dankbar. Und noch schnell ein Foto!

Nun geht es glatt weiter, bei der Hitze müssen wir aber im Schatten jeder weiteren Brücke eine Pause einlegen. Schliesslich kann man den Kanal auf einem Lochplattenweg verlassen und über Jersleben und Elbeu nach Wolmirstedt fahren. Fast schon am Ziel, höre ich hinter mir schon wieder die Bremsen quietschen. Da hat einer die Autotür unvorsichtig geöffnet und Heidi wäre beinahe hinein gerauscht. Als der Fahrer aussteigt, verzichtet Heidi auf Protestreaktionen, das ist ein Hüne im Kraftshirt und von vorn bis hinten tätowiert.

So sind wir endlich in Wolmirstedt, schieben durch die Fussgängerzone und vor dem Hotel Wolmirstedter Hof mit angeschlossenem Restaurant "Zum Schwejk" brechen wir schliesslich sozusagen zusammen. Auch unangemeldet kommen wir hier unter. Ein schönes Zimmer, eine gute Dusche, und dann fühlt man sich bald wieder besser. Besonders, wenn einem dann sogleich im Hof unter einem Sonnenschirm ein ganz besonderes Bier kredenzt wird. Es gibt hier eine kleine Brauerei in der Nähe, und zwar die "Spezialitätenbrauerei Eckart" in Lindhorst. Das Bier sei handgebraut und nicht pasteurisiert und werde deswegen nur in kleinen Mengen bezogen. So hat man immer einen frischen Ausschank und wir lassen es uns bei dem naturtrüben Lindhorster Roggenbier gut gehen.

Zwei Handwerker wie Plisch und Plum von der Zunft der Installateure am Nebentisch haben wohl denselben Geschmack. Sie orakeln, wie sie mit einem Werkstück verfahren sollen, dass sie auf dem Tisch hin und her wenden. Dann kommt der Chef des Hauses und erklärt, was Sache ist, wie herum das einzubauen sei und wie die Steigung des Ventilstutzens zu berücksichtigen sei. "Na klar, ist doch logisch, so machen wir das". Darauf noch zwei Bierchen! Nun gut, bei dem Klima heute mag das angehen.

Das Restaurant "Zum Schwejk" ist auf böhmische Gerichte spezialisiert. Wir verzehren mit Genuss: Böhmische Feuerpfanne und Knoblauchtopf mit Knödeln. Weil das heute unser letzter Abend der Radreise ist, können wir resumieren: Unterkünfte und Speisen waren immer hervorragend. Doch heute haben wir den besten Abend erwischt, meinen wir. Doch das liegt sicher an dem ereignisreichen Tag und der Hitze. Die goldene Palme bekommt natürlich Flechtingen.

Freitag 7.8. Wolmirstedt - Magdeburg 30 km

Die letzte und kürzeste Etappe erwartet uns. Wegen der zu erwartenden hohen Temperaturen starten wir früh. Wieder an den Kanal, wo es wieder einen steilen Aufstieg zum Damm des Kanals hinauf zu schieben gilt. Eine tote Maus mit einem schwarzen Rückenstreifen liegt am Rand des Steigs. Das ist eine Brandmaus. Diese Spezies haben wir im letzten Winter auf unserer Terrasse zu Hause unter dem Vogelhäuschen schon beobachtet. Die Brandmäuse befinden sich demnach auf dem Vormarsch von Osten nach Westen, wie man nachlesen kann.

Am Kanal kommen wir nun angenehm voran und machen schliesslich eine Rast am Schiffshebewerk Rothensee bei Magdeburg. Wir lassen uns gerade auf einem Poller nieder, da schippert doch ein Fischotter vorbei? Kaum zu glauben, was der wohl im Mittellandkanal verloren hat? Leider ist er zu schnell weg, bevor man ein Foto machen kann.

Es folgt das berühmte Europäische Wasserstrassenkreuz. Da wird der Mittellandkanal über eine Trogbrücke über die Elbe geführt, um dann in den Elbe - Havelkanal zu münden. Vor Jahren haben wir die Angelegenheit während der Bauphase einmal per Betriebsausflug besichtigt, inzwischen ist alles fertig gestellt und funktionsfähig. Bleibt die Frage: wird die Brückenkonstruktion stärker belastet, wenn gerade ein Schiff oder gar zwei drüberfahren? (Die Belastung der Brücke richtet sich nach der Höhe des Wasserstandes, der vor oder nach Erreichen der Brücke durch ein Schiff der gleiche sein dürfte).

Nach gebührender Wertschätzung dieses Wunderwerks der Technik - ein Schiff ist gerade nicht in Sicht - biegen wir bei Hohenwarthe auf den Elbe-Radweg ab. Und da hat man ganze Arbeit geleistet. Dieser Radweg ist perfekt angelegt, gut asphaltiert, mit Wegweisern, Rastplätzen und Schautafeln versehen. Entsprechend ist der Verkehr von Radlern mit und ohne Gepäck recht belebt. Manche fahren hier auch ihre Renneinheiten ab, und die kommen dann mit gesenktem Kopf, Sturzhelm voraus, wie die Stiere im Angriff um die Ecke. Nur dass sie keine Hörner dran haben...

über den Elbe-Radweg war zu lesen, dass er sich zunehmender Beliebtheit erfreut und inzwischen neben Weser- und Donau-Radweg am meisten frequentiert wird. Im Jahre 1993 auf dem Weg nach Mecklenburg gab es diesen jedoch noch nicht und wir hatten uns in der Gegend von Lostau hoffnungslos in den Elbwiesen verfranzt. Das kann heute nicht mehr passieren und wir gelangen wohlbehalten trotz zunehmender Hitze nach Herrenkrug, schon am Stadtrand von Magdeburg gelegen. hier im sog. Elbauenpark hat 1999 die Bundesgartenschau (BuGa) stattgefunden. Man hatte damals den "Jahrtausendturm", ein runder Kegel  mit einem sprialförmigen Aussenaufgang errichtet. Dort ist bis heute eine Ausstellung als "interaktive Zeitreise" durch die Entwicklung der Wissenschaften untergebracht.

Die Radbeschilderung tut uns den Gefallen, uns den Weg über die Elbbrücken, am Ufer der Elbe entlang und auf einer überführung bis zum Rathaus und Alten Markt zu weisen. Von dort ist es ein Katzensprung bis zum Hauptbahnhof, wo unsere Reise zu Ende ist.

Zunächst schlägt der Versuch fehl, die Toiletten aufzusuchen. Die befänden sich angeblich auf Bahnsteig 6, wie gesagt wird. Ein Zug nach Braunschweig würde in Kürze abfahren, und es gelingt so gerade, nach Lösen Fahrkarten noch auf diesen "aufzuspringen".

Als Fazit hat sich wieder gezeigt, dass man auch in der Nähe der heimischen Gefilde viel erleben und kennen lernen kann. Dabei sind wir noch an den meisten Sehenswürdigkeiten vorbei gerauscht, getreu dem Motto: der Weg ist das Ziel. Damit wünschen wir dem Aller-Radweg und denen, die ihn eingerichtet haben, einen guten Zuspruch aus der Welt der Radreisenden - beide, die Tour und die Organisatoren hätten es verdient.


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