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Mi 11.5. St. Girons - Limoux 125 km: Endzeit


"Blühende Landschaften"

Ein Ort
Thomas kommt das Bedürfnis an, seine Pläne für die Rückfahrt zu konkretisieren. Marianne hat am Wochenende Geburtstag, das bringt nach zwei Wochen als Gott in Frankreich Verpflichtungen mit sich! Wie kommt man nun aus dem tiefsten Frankreich am besten zurück nach Geitelde (über Braunschweig)? Das klärt man am besten in der Touristeninformation von St. Girons.

Eine nette Dame, zum Glück des Englischen mächtig, macht sich auch sogleich ans Werk und liefert über die Bahnauskunft eine Verbindung von Carcassonne über Nimes und Strassburg in das heimatliche Land, wo die ICE-Züge brausen. Der darob verfasste Zettel mit Notizen nimmt sich zwar etwas chaotisch aus, aber Thomas verwahrt ihn sorgfältig.

Erleichtert geht es an die Weiterfahrt. Ich habe noch die ganze Woche vor Pfingsten Urlaub und mache mir meine eigenen Gedanken.


Jetzt müssen wir erstmal die am Vortag verschmähte Durststrecke über 44 km nach Foix bewältigen. Eine Nebenstrecke bietet sich nicht an, so spulen wir das eben ab. Einen Pass, Col du Boich mit 739 m bietet die Strecke ausserdem. Der Pass ist kein Problem, nach mässigen Steigungen erreicht man ihn unverbraucht. Dann geht es schnell hinab nach Foix.

Angesichts der drei imposanten Festungstürme der Burgruine kommt man wieder zur Besinnung. Hier in der Gegend wurden - so steht es in einem anderen Reisebericht - im Jahre 1244 Abtrünnige der katholischen Kirche (die Karthaer) monatelang belagert, um dann Hand in Hand und Lieder singend auf dem Scheiterhaufen zu enden. Das Gute siegt eben doch immer zuguterletzt.


Foix
Foix besitzt wieder eine verwinkelte Altststadt, die wir, einen Bäckerladen nicht verschmähend, durchradeln. An der Kirche setzen wir uns - wo wohl - in einem Cafe nieder. Ich gehe auch noch in die Kirche hinein, weil sie gerade auf ist. Im Reiseführer ist leider nichts über diese Kirche vermerkt.

Diese Orte muss man eben studieren, der Radfahrer aber scharrt beständig mit den Hufen, weiter muss es gehen. So verlassen wir Foix wohl zu eilig, die für uns ausersehene Nebenstrecke verpassen wir glatt. Nur noch bergab geht es und nur noch nach Toulouse, wo wir gar nicht hinwollen. Neben der Autobahn tasten wir uns allmählich an eine Korrektur heran, die uns auf die richtigen Pfade zurückführt.


Chalabre
Dabei haben wir sogar einen weiteren Pass ausgespart und erreichen in Laroque wieder die geplante Route. Dunkle Wolken dräuen am Himmel, aber wir müssen weiter. Immerhin schiebt uns der Wind voran. Trocken erreichen wir noch Chalabre, eine dunkle Ortschaft unter Platanen.

Beim Bewältigen der anschliessenden Steigung regnet es sich ein, die Regenkleidung umhüllt unsere dampfenden Körper. Bei der Abfahrt hellt es sich wieder auf. Der letzte Pass des Pyrenäenvorlands, der Col de St. Benoit, 614 m, muss noch bewältigt werden, dann geht es nur noch hinunter, viel zu schnell!

Auf Passabfahrten erreicht man für gewöhnlich gar nicht so grosse Geschwindigkeiten, weil der Strassenverlauf meist unübersichtlich ist. Das grösste Tempo erzielt man auf kürzeren aber gut einsehbaren Teilstücken, wenn der Strassenbelag mitspielt. Mein Höchsttempo liegt bei 57 km/h. Thomas ist bei Abfahrten wegen seines grazileren Fahrrades immer vorsichtiger, obwohl er einen Sturzhelm dabei hat, den er bloss nie aufsetzt.

Unser Tagesziel - Limoux - ist schon in Sichtweite, da bricht der Regen richtig los. Schon durchnässt wird die Regenkleidung übergestülpt. In Limoux angekommen hat sich Thomas mal wieder in ein Nichts aufgelöst. Diesmal warte ich unter einem Torbogen und schaue den gurgelden Wassermassen in der Gosse zu.

Thomas taucht wieder auf, er hat schon mal nach einem Hotel Ausschau gehalten. Ein paar Gassen schieben wir noch weiter, dann haben wir unser Hotel. Das ist diesmal eine Baustelle, von unten bis oben wird das Haus umgekrempelt. Mit uns hat man wohl Mitleid, triefend vor Nässe werden wir zwischen den Handwerkern hindurch gelotst. Über eine unvollständige Treppe können wir die oben gelegenen Gastzimmer erreichen. Da findet sich alles so vor, wie es wohl seit hundert Jahren war.

Das zentrale WC ist ein Thron, der als Zentrum des Stockwerks über eine kleine Treppe erreichbar ist. Wenn man dort oben sitzt, möchte man eine Rede halten. Wenn die Tür geschlossen wird, geht das Licht durch einen Kontaktschalter automatisch an. Eine warme Dusche ist auch intakt. Was will man mehr.

Wie immer nach anstrengender Fahrt packe ich zuerst meinen Schlafsack aus und wärme die durchgefrorenen Glieder. In den sonderbar festgezurrten Laken der französischen Lager habe ich mich von Anfang an nicht wohl gefühlt. Man wacht dann nachts auf, inmitten von einem Durcheinander von Laken und zweifelhaften Zudecken, oder ist zwischen Ober- und Unterdecke hoffnungslos eingeklemmt. Hier steht das Bett nach Verlust eines Fusses auf einer Würstchendose.

Nach der Regenerierungsphase in diesem Hotel, das man in diesem Zustand nie wieder zu sehen bekommen wird, landen wir in einem ganz originellen Restaurant am zentralen Platz des Ortes. Hohe Stuckdecken und Spiegelwände vermitteln einen Eindruck der zwanziger Jahre. Etwas verloren sitzt man da herum, seinem eigenen Spiegelbild ausweichend. Wieder plärrt der Fernseher. Am Nebentisch spielen die Einheimischen verbissen ein uns unbekanntes Kartenspiel.

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