Cap Vaticano und Tropea


Feldbewässerung bei Tropea
Am Mittwoch machen wir für 19 EUR schon die nächste Tour mit. Der Fuss des italienischen Stiefels hat nämlich eine Art überbein auf dem Rist, und die Spitze dieses Höckers heisst Cap Vaticano. Die Stadt Tropea dagegen wird die Perle Kalabriens genannt, also muss man auch diese gesehen haben. An diesem Tag fahren sogar zwei Busse, weil der Andrang gross ist. Unser Reiseleiter heisst Massimo, und mit dem haben wir eine gute Wahl getroffen. Er erzählt, er habe ein paar Jahre in Tuttlingen an der Donau eine Pizzeria betrieben, "aber am Schluss war pleite", wie er sagt. Er ist aber sehr verbunden mit seiner Heimat Kalabrien und kann viel erzählen. Wenn er die Ortsnamen der Gegend mit der nötigen italienischen Artikulation ausspricht, klingt das wie Musik.

über den Namen Cap Vaticano tischt er uns eine abenteuerliche Geschichte auf. Zuerst zitieren wir aber lieber den Reiseführer (Dumont):

Die Namensgebung geht vermutlich auf die Vati (Propheten), die an diesem exponierten Punkt gelebt und den Seefahrern ihre Zukunft geweissagt haben sollen. ... Das Kap gilt als das schönste Küstengebiet Kalabriens und bietet faszinierende atemberaubende Ausblicke auf das Meer, die Klippen und Buchten.

Die andere Geschichte geht so: in grauer Vorzeit gab es in dieser Gegend sehr viele herrenlose Hunde, die Krankheiten und Infektionen verbreiteten. Da hat man sich eines Tages aufgerafft, und die streunenden Hunde abgeschlachtet. Und das Wort Vaticano habe im Italienischen etwas mit Schlachten zu tun. Leider lässt sich das aus den einschlägigen Wörterbüchern nicht bestätigen.

Es wird aber auch viel über Land und Leute, die Vegetation und Landwirtschaftsprodukte erzählt. Hin und wieder sieht man auch Leute, die ihre Zwiebelfelder (die "Rote Zwiebel von Tropea") bestellen. Eine andere Frucht der Gegend ist die Bergamotte. Dazu steht bei Wikipedia:

Die Bergamotte wird nur entlang eines schmalen, etwa einhundert Kilometer langen Küstenstreifens zwischen dem Ionischen und dem Tyrrhenischen Meer in Kalabrien, von Villa San Giovanni bis nach Gioiosa Jonica angebaut. Einzelne Pflanzen können zu Zierzwecken aber in allen immerwarmen Gebieten dieser Erde angepflanzt werden.

Das Innere der Bergamotte ist sehr ähnlich zur Mandarine. Man verwendet diese Frucht aber auch für kosmetische und medizinische Zwecke, und natürlich stellt man auch einen Schnaps daraus her. Der gute Massimo muss nun auch noch über seine Schwiegermutter herziehen. Die sei zwar klein, aber wachsam wie ein Carabinieri. "Kennt Kontostand, weiss alles. Ist nicht nur klein aber auch breit. Sieht aus wie Waschmaschine. Nur das Problem: Töchter werden wie die Mütter".

Bei derlei Kurzweil sind wir inzwischen am Cap Vaticano angelangt und bekommen 45 Minuten Ausgehzeit. Dazu geht man auf einem schmalen Pfad, gesäumt von üppigen Feigenkaktusstauden (Achtung, die pieken), bis zum Leuchtturm, von wo aus man einen besonders schönen Ausblick hat. Man sieht einige der Liparischen Inseln, auch den Stromboli. Unterhalb liegen wilde Klippen, und im Süden kann man schon die Küste von Sizilien ausmachen. Aber es zieht ein Unwetter herauf. Als alle Fotos noch bei Sonnenschein gemacht sind und wir vereint wieder im Bus sind, entkommen wir der Wetterfront in Richtung Tropea.

Dort passiert man das eingangs erwähnte Hotel Rocca Nettuno, das sei das bekannteste Hotel Kalabriens. Vielleicht weil es dort einen Fahrstuhl gibt, der vom Hotel durch die Klippen hinunter an den Strand führt. Die Lage ist trotzdem nicht so ideal, wenn man mal eben knapp einen Kilometer auf verkehrsreicher Strasse auf einen Bummel in das Stadtzentrum von Tropea spazieren will. Soweit wir das aus dieser Perspektive beurteilen können.

Unser Massimo bietet ein Führung in Tropea an, die sei aber freiwillig. Natürlich lässt man sich das nicht entgehen. Nun liegt die Hauptattraktion dieser Stadt bereits direkt vor unseren Augen. Das ist die Kirche Santa Maria dell'Isola, die sogar das Titelbild des Dumont Reiseführers ziert. Zur Zeit ist die ganze Geschichte aber nicht zugänglich, weil einige Höhlen im brüchigen Untergrund die Standfestigkeit bedrohen. Da muss wohl erst einiges armiert, saniert und betoniert werden. Nun werden wir auf eine andere - auch baulich bedingte - Eigenart hingewiesen. Die Hausfassaden haben zuweilen eigenartige rechteckige Löcher in regelmässigen Abständen. Die dienen dazu, Gerüste anzubringen, falls Restaurationsarbeiten notwendig werden. Man schiebt dann Balken in die Löcher und legt einfach Bretter darüber.

Nun erreichen wir die Kathedrale, und die ist sogar geöffnet für eine Besichtigung. Gleich am Eingang befindet sich eine Bombe. "Ist Sprengstoff rausgenommen", das beruhigt! Diese amerikanische Fliegerbombe ist im letzten Krieg auf Tropea niedergegangen, ist aber nicht detoniert und hat dabei keine Schäden verursacht. Und das liegt eindeutig an der berühmten Madonna di Romania, eine Ikone aus dem Jahr 1330 über der Hauptapsis. Sie ist die Schutzpatronin dieser Stadt. Auch dazu gibt es eine Geschichte:

Als dazumal ein rumänisches Schiff mit dem Bildnis der Madonna an Bord im Hafen von Tropea geankert hatte, träumte nächtens dem derzeitigen Bischoff der Stadt, dass diese Madonna bleiben möchte, um die Schutzpatronin zu werden. Als am nächsten Tag das rumänische Schiff wieder ablegen sollte, liessen sich die Anlegetaue nicht lösen. Nachdem der Bischof zu Hilfe kam und man das Ikonenbild wunschgemäss der Stadt vermacht hatte, konnte das Schiff nun auf einmal unbehelligt seine Fahrt antreten.

Im Reiseführer steht dazu:

Als sich im Jahr 1638 während einer Prozession zum Lobpreis dieser Madonna ein Erdbeben ereignete, kam es in den umliegenden Orten zu schlimmen Zerstörungen, während Tropea verschont blieb. Für diese Abwendung des Unglücks wird die Schutzpatronin bis heute hoch verehrt.

Um diesen Bildungsabschnitt abzuschliessen: in einer Seitennische befindet sich noch das "Schwarze Kruzifix"  von 1550, das aus Spanien stammt und seinen Namen dem dunklen Holz des Kreuzes verdankt.

Aufatmend betreten wir wieder das Freie, um uns nun in die steinernen Masken über einigen Hauseingängen einweisen zu lassen. Diese Masken dienen der Abwehr des neidischen Blicks, der bösen Geister oder auch vor den Schwiegermüttern, wie jemand scherzhaft einwirft. Endlich finden wir vor einem Cafe einen Platz, mit Tartuffo Eis natürlich - wer es noch nicht über hat. Nebenan ist ein Geschäft mit Keramikartikeln, da kann man Abbilder dieser Hausmasken erwerben. Na dann eine für unsere Haustür, und für die Kinder und die Kannibalien-Nachbarin, die zu Hause die Blumen giesst, auch gleich noch ein paar mehr.

Abschliessend wird uns in Tropea eine Probe von Verköstigungen diverser Kalabresischer Spezialitäten offeriert. Da werden in einem Feinkostladen Olivenöl (kalt gepresst), Gewürze, Pestos, Käse, Salami usw. gereicht. Am Schluss ein Gläschen Zitronenschnaps. Das schmeckt alles gut, aber es sind ja nur Probehäppchen. Einige kaufen aber auch etwas zum Mitnehmen ein, und das war ja wohl auch der Sinn der Sache.

Machen wir uns auf die Rückfahrt, es ist für heute schon dunkel. Da hat unser lieber Massimo noch einen Trumpf im ärmel. Es wird gemeinsam ein original kalabresisches Lied eingeübt, dem beliebtesten überhaupt. Und das heisst Calabrisella Mia! Man mag skeptisch sein, wie man mit dem Text zurecht kommt, aber dazu wird ein Blättchen mit dem italienischen oder gar kalabresischem Text verteilt. Und das Lied wird zunächst von einer CD abgespielt. Die Melodie geht ins Ohr. Einige singen schon mit, die waren wohl auf der letzten Fahrt schon dabei. Es handelt sich um ein Liebeslied, wo sich ein Bursche in eine Calabrisella verliebt, die gerade mit Wäschewaschen beschäftigt ist.

Der Refrain (etwas gekürzt) geht so:

Calabrisella mia - Oili Oila
Calabrisella mia facimmu amuri.
Tirullallelleru Lalleru Llalla
Sta Calabrisella muriri mi fa.

Nachdem das mit dem Mitsingen hervorragend geklappt hat, Massimo singt natürlich per Mikrofon vor, bekommt man die Melodie gar nicht mehr aus dem Kopf. Und wenn dann in unserer Anlage mal ein kalabresischer Abend mit Lifemusik stattfindet, steht dieses Lied an erster Stelle. Und alle Gäste singen mit, die die entsprechenden Lektionen mitgemacht haben. Und am letzten Tag haben wir noch eine CD ergattert, mit deren Hilfe wir dieses Lied nicht vergessen werden.

Im Bus sind wir noch nicht fertig: es werden noch die Farben der Schürzen erklärt, die die kalabresischen Mädchen und Frauen in den abgelegeneren Orten immer noch tragen. "Das ist wie bei Verkehrsampel, grün sucht Mann, freie Fahrt. Rot ist verheiratet, also Stopp". Schwarz tragen die Witwen. Violett die Frauen, die überhaupt keinen Mann wollen. Und weiss die Mädchen und Jungfrauen. Fragt man sich, wie lange unsere besungene Calabrisella noch eine weisse Schürze tragen durfte? Es folgen noch ein paar Witze über die Carabinieri (immer zu zweit im Einsatz: einer kann lesen und einer kann schreiben).

Man kann sagen, dass uns die Rückfahrt alles andere als gelangweilt hat. Da bekommt Massimo natürlich von allen ein ordentliches Trinkgeld, man verabschiedet sich begeistert, und danach strebt man eilig dem Abendbuffet zu.


Kapitel 3
Zurück zum Index
Zurück zur Reiseseite