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Dienstag: eine unbeabsichtigt lange Wanderung

Da – wie gesagt – das Wetter jeden Tag anders ist, finden wir heute einen verhangenen Himmel vor. Da heißt es wieder wandern. Die nächste sich anbietende Tour führt entlang der Küstenstraße an das westliche Ende der Plakias Bucht zu einer kleinen Flussmündung, die sich Souda Bucht nennt. Das ist nicht anstrengend, weil es immer eben dahin geht. Vereinzelte Anwesen säumen die Straße. Natürlich wieder eine schöne Blumenwelt, doch dann schauen wir unversehens staunend zu einer Ansammlung von Menschen hinauf, die sich auf einer Terrasse zusammen gefunden haben. Ein Musikant bemüht sich auf einem Saiteninstrument, griechische Rhythmen zu produzieren. Zögernd kommen die Versammelten in Bewegung, klatschen auch schon mal in die Hände oder versuchen, einen Kreis zu bilden. Alles wie in Zeitlupe. Ein Kleinbus mit Hamburger Kennzeichen steht vor dem Haus. Wir rätseln und lästern: eine Selbsterfahrungsgruppe, die womögl ich um Sorbas artige Ekstase bemüht ist? Um die nächste Ecke bietet sich ein ähnliches Bild, aber die sind schon weiter, die tanzen schon im Kreis.


Klippen

Souda Bucht
Hinter uns erscheint nun ein ebenfalls wanderndes Ehepaar und links zeigen sich ein paar schroffe Klippen. Die werden fotografiert. Der wandernde Ehemann findet das auch und macht ebenfalls ein Bild. Wir erreichen den Souda-Strand, der ist menschenleer bis auf einen einzelnen Badegast. Am Ende der Bucht unter einer Felswand mündet ein Bach. Ein paar Palmen stehen herum. Wir kommen mit dem wandernden Ehepaar ins Gespräch, wo man wohne, wie schön es hier sei und so weiter. Derweilen habe ich schon die Schuhe ausgezogen und wate durch den Bach, um eine weitere Erkundung vorzunehmen. Rechts von der Felswand kann man einen steinigen Pfad hinaufsteigen und alsbald kann ich den rastenden Mitstreitern von oben zu winken. Ich verfolge den Pfad noch ein Stück weiter, er zieht sich am Hang entlang, aber ich muss irgendwann umkehren.


Heiligenschrein

Schafherde vor Sellia
Als Rückweg versuchen wir nach unserer neu erworbenen Karte einen Weg am Hang parallel zur Küstenstraße. Dieser Weg führt dann stetig bergauf. Hier oben gibt es immer noch einzelne Anwesen, hier lebt man weiß Gott einsam. Ob man das aushalten könnte, so als Aussteiger oder auf dem Alterssitz? Während ich gerade ein "Marterl" – wie nennt man so was sonst, Heiligenschrein? – fotografiere, kreuzt eine hektische Schafherde auf, Heidi ist plötzlich mittendrin. Der Schäfer geht vorne weg, die Schlusslichter der Herde werden von einem klugen Hund verwaltet. Nachdem die Schafherde vorüber ist, muss man aufpassen, wohin man tritt.


Sellia

Sellia
Und dann liegt plötzlich das Bergdorf Sellia vor uns, immerhin 290 m hoch gelegen. Diesen Besuch hatten wir uns eigentlich für später aufgehoben. Aber nun sind wir da und bestaunen die malerische Kulisse. Gibt es ein Bergdorf in Griechenland, das nicht malerisch ist? Wir haben noch keins gesehen. Wir landen schließlich auf einer Aussichtsterrasse am Kriegerdenkmal, auf dem alle Opfer der Erhebungen, Aufstände und Kriege seit 1862 vermerkt sind. Da kommt ganz schön was zusammen. Bald findet sich auch unser wanderndes Ehepaar ein, die sind ganz begeistert von dem Abenteuer. Sie wollen noch nach Myrhtios, das auf der anderen Seite des Tales liegt, aber da waren wir ja schon gestern.

Nachdem wir die vom Frühstück stibitzten Kuchen und Äpfel verzehrt haben, zockeln wir weiter auf der Hangstraße, die man auch Panoramastraße nennen könnte. Das merkt man daran, dass ständig die Leihwagentouristen anhalten und einen Blick über die Leitplanke – sofern vorhanden – werfen. Wo sich keine Leitplanken befinden, geht Heidi lieber mitten auf der Straße, damit sie nicht aus der Kurve fliegt. In dem Heftchen "7 More – And More Challenging – Walks In The Plakias Area" steht ein schönes englisches Wort für diese Macke und das heißt "Vertigo Suffering". Schließlich erreichen wir den Eingang zur Kotsifos Schlucht, wo die Straße bergauf weiter führt. Zur rechten ist die Abzweigung Richtung Myrthios, da geht es sanft bergab. Eigentlich hätten wir (d.h. ich) lieber den alten verfalllenen Eselspfad genommen, dessen Reste man noch erkennen kann. Aber diese Sache erscheint zu ungewiss, zumal sich das Wetter verschlechtert. Also bleiben wir auf der Straße, ärgern uns über den Müll, den die Einwohner den Hang hinunter gekippt haben und bestaunen schließlich sogar einen Autofriedhof in dieser abgelegenen Gegend. Inzwischen regnet es, aber die Tropfen fallen nicht so dicht, wie wir es gewohnt sind.

An einer kleine Kapelle kann man endlich die Straße verlassen und talwärts an einer betonierten Wasserrinne entlang wandern. Da kann man sich nicht verlaufen, weil diese Wasserleitung oben am Hang ähnlich einer Höhenlinie die gesamte Plakias Bucht umrundet. Wir stoßen auf den Aufstieg von gestern nach Myrthios und sind dann schnell unten. Und das ist gut so. Der Himmel hat sich in ein absonderliches Gelb verfärbt und wütende Windböen peitschen die Bäume. Aus unserem sicheren Quartier verfolgen wir das weitere Geschehen. Es handelt sich um den Scirocco, einen Saharawind, der gelben Staub aus dem von hier gar nicht fernen Afrika mit sich bringt. Ein paar begleitende Regentropfen genügen, und danach sehen die herum stehenden Autos aus wie nach einer Geländefahrt. Die See spielt verrückt, da rollen hohe Brecher über weite Teile des Strandes.

Das Wetter ist launisch, beim Abendessen scheint wieder die Sonne. Abschließend mache ich meiner lieben Frau ein Kompliment, dass sie diesen langen Marsch heute so klaglos hinter sich gebracht hat. Da freut sie sich.

Mittwoch: Mühlen und Licht am Ende des Stollens

Der Himmel ist verhangen, die See wütet noch ein wenig weiter. Wir machen uns auf den Weg zu zwei alten Mühlenruinen, die am Kostsifos Fluss zu finden sein sollen. Wir wandern durch Olivenhaine. Zur linken passieren wir eine Hütte, da sitzt eine Frau untätig in der Morgensonne. Wir stellen uns vor, das sei eine "Aussteigerin". Dann ist man schon an der ersten Mühle. Diese besteht aus einer halb verfallenen hohen Mauer, auf deren Sims einstmals das Wasser in einen Fallschacht geleitet wurde, wo ein Mühlstein mit dem herabfallenden Wasser angetrieben wurde. Diese Art von Konstruktion heißt "Schlotmühle" und soll um das Jahr 1500 aus Mesopotamien in Kreta eingeführt worden sein. Das kann man bei Lance Chilton nachlesen, dessen Hinweise erweisen sich immer mehr als unbezahlbar.

Die zweite Mühle ist etwas besser erhalten. Zuvor muss man das Bachbett durchwaten, dann über einen steinigen Pfad kriechen (einer von uns beiden jedenfalls tut das), danach überquert man eine steinalte Bogenbrücke. In den Mauerresten der Mühle kann man herum klettern (einer von uns jedenfalls tut das) und schließlich sogar in ein Loch kriechen, wo sich früher die Antriebsturbine befunden hat. Rostige Reste sind noch erkennbar. Ich klettere dann noch die Zuleitungsrinne entlang – und da kriege ich es endlich auch mit dem "Vertigo Suffering" zu tun.


Wasserrinne und Fallschacht der Mühle

Mühlenruine

Felsenkapelle

Inneres der Kapelle

Zurück auf dem festen Boden kann man um eine weitere Ecke eine kleine Felsenkapelle erreichen. Dort ist ein Schild an der Tür angebracht, auf dem steht:

This is a holly place,
you are kindly requested to respect it!!!
Do not sleep inside!

Das hatten wir eigentlich auch nicht vor. Der Sperrriegel der Eingangstür besteht aus einem Querstock, den man nur aus der Blockierung drehen muss. In der Kapelle sind nackte Felsen, auf denen Ikonen (wahrscheinlich Kalenderblätter) angebracht sind. Einen Haufen Münzen hat keiner angerührt. Es gibt sogar eine Art Altar, falls hier mal heilige Handlungen statt finden. Wir schließen die Tür wieder ordnungsgemäß und machen uns an den Rückweg.

Inzwischen hat es auf geklart und wir marschieren an unseren Strandplatz unter der Felswand. Es ist nicht so leicht, ein windgeschütztes Plätzchen zu finden. Aber es gelingt, zwischen Büschen in das trockene Gras gekauert ein wenig Schutz zu ergattern. An Baden im Meer ist nicht zu denken. Bald schon verabschiede ich mich zu einem weiteren Erkundungsgang in die Gartenlandschaft über uns. Vor dem Stolleneingang haben sich ein paar Familien mit Kindern versammelt und fragen mich nach einem Licht oder Feuerzeug. Habe ich leider auch nicht dabei. Aber ein wenig mehr Mut, wenn ein paar Leute in der Nähe sind. "Wollen mal sehen, ob der wieder kommt" sagen die. Schon bin ich im Dunkeln, mit beiden Händen herumtastend. Wenn man ein paar Minuten wartet, ist das alles kein Problem, denn dann haben sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Und dann erkennt man auch, dass hinter einer Biegung des Stollens schon wieder Licht schimmert. Ich kehre sofort um mit der freudigen Aufforderung "Wer Mut hat...". Das lassen sich die Jungs nicht zweimal sagen und stürmen durch den Stollen. Ihre Väter können sie gerade noch davon abhalten, in einen Abgrund hinab zu klettern, der sich am Ende doch noch auf tut.


Am Ende des Stollens

Von Plakias aus sichtbar sind zwei große Löcher in der Felswand in Richtung Kap Kakomouri. Hat man dort Steine gebrochen oder handelt es sich – wie die Leute sagen – um Piratennester? Wer hat sich die Mühe gemacht, diese Felslöcher zu schaffen, natürlichen Ursprungs sind sie keinesfalls. Oder stammen sie erst aus dem letzten Krieg als eine Art Bunker? Das bleibt ein Geheimnis, aber das Geheimnis, wohin der Stollen führt, ist nun gelüftet. Nach ein paar Fotos kehre ich freudestrahlend zu meiner sonnencremenden Frau zurück mit den Worten "Ich bin ein Held...". Und ich habe – Frevel, ich weiß – ihr eine kleine unscheinbare Orchidee mitgebracht, die aber sehr häufig vorkommt. Wer es wissen will, sie heißt Pflugschar Zungenstendel (Serapias vomaracea).

Noch eine Bemerkung zu unserem geschätzten Lance Chilton. Er hat auch eine Zusammenstellung der in dieser Region vorkommenden Vegetation angefertigt, aber das ist mehr etwas für professionelle Botaniker. Immerhin gibt es vor allem in der Kotsifos Schlucht Pflanzen, die nur auf Kreta vorkommen, so steht es geschrieben.


Zungenstendel

Knabenkraut

Inzwischen stellen wir fest, dass wir die letzten und einzigen sind, die noch am Strand ausharren. Da fällt es nicht schwer, zurück zu kehren und sich unter die wärmenden Decken zu begeben. Mit der Aussicht auf den staubigen Parkplatz, das sei auch gesagt, sind wir inzwischen versöhnt. Denn da ist immer etwas los. Sicher gibt es aber auch schönere und ruhigere Quartiere, wenn man sich erst mal auskennt.


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