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Montag, 1.5.

Angeregt durch die Geschichte am Vorabend haben wir uns auch zur Teilnahme an einer Werbefahrt entschlossen. Wir suchen uns etwas mit Höhlen und romantischen Fischerdörfern aus. Da der Eintritt zu den Höhlen allein normalerweise 800 Peseten kostet, sind wir mit 1000 Peseten alles inklusive doch sehr preiswert dran.

Pünktlich gegen 9 Uhr finden wir uns auf dem Platz Maria Dolores ein, wo die Busse ihre Kundschaft einsammeln. Vorne weg fahren mit Pkws immer ein paar Einpeitscher, die den gleich eintreffenden Bus ankündigen und anpreisen. "Wir warten auf Valentino Reisen" sagen wir zu einem dieser konkurenzbedachten Vornewegfahrer. "Schon weg!" wird uns einfach entgegengehalten, wohl in der Hoffnung, daß wir dann resignierend unsere Pläne ändern. Gleich darauf biegt natürlich Valentino Reisen um die Ecke und ein junger Herr nimmt uns in den noch fast leeren Bus auf.

Beim Hotel Palmira Beach wird er aber voll, da steigt ein Gesangsverein aus Duisburg ein. Ein beleibter Herr dieser Gruppe wird noch eine Schlüsselrolle spielen, denn er ist seit 30 Jahren Dekorateur.

Zunächst stellt sich unser Reiseleiter vor, er heißt Max und ist Holländer. Heute morgen ist er wegen des unerwarteten Andrangs etwas überfordert, so sind die unterwegs gegebenen Informationen eher spärlich. Das ist nicht ganz so schlimm, weil wir hauptsächlich durch das Industriegebiet von Palma fahren. Da gibt es das größte Fußballstadion der Welt, weil es nie voll werde, und ein "Hotel" mit vergitterten Fenstern, das müßte eigentlich fünf Sterne haben, weil es immer voll belegt sei.

Unter diesen Späßen fahren wir mit dem Bus auf eine ehemalige Radrennbahn vor einer Fabrik in einem Ort mit dem schönen Namen Sta. Maria del Cami. Von diesem schönen Namen haben wir herzlich wenig, weil die Gruppe sogleich in das Gebäude und in einen Vortragsraum gelotst wird. Nun offenbart sich bereits das Geheimnis: Unter- Ober- Zwischenbett, Kopfkissen und Rheumadecken erwarten den erwartungsvollen Gast. Uns zugeteilt wird eine hochgewachsene Dame namens Dagmar, sie kommt aus Mülheim Dülmen, bei einem Urlaub vor 7 Jahren ist sie hier an einem Spanier hängengeblieben. Die Gute preist uns nun unter allerhand Gegrabbel mit den garantiert 100 prozentigen Naturprodukten die Betten an, alles Kaschmir oder sowas. Schließlich kokelt sie sogar mit einem Feuerzeug herum, um zu beweisen, daß da nichts Feuer fangen kann.

Das Publikum ist nachdenklich geworden und grabbelt nun seinerseits an dem Bettzeug herum. Zum Glück haben wir ja einen Experten dabei, den oben erwähnten Dekorateur. Dessen Urteil lautet: die Kaschmirauflage sei auf einen Synthetikstoff aufgesetzt, außerdem hätten die Inlets der Kopfkissen kein Markensiegel, sodaß das mit der versicherten Garantie zweifelhaft sei. Die Auftragnehmer mit ihren Formularen - inzwischen zu dritt, machen lange Gesichter. Ein jüngeres Paar läßt sich aber doch beschwatzen und ordert das Equipment für kuschelige Stunden.

Wir anderen begeben uns in die unteren Räume, da ist eine "Verkaufsschau" mit Textilien, Schuhen, Keramik, Schmuck und Spirituosen. Da man letztere auch verkosten kann, gefällt es vielen ganz gut. Die kleinen Probiergläschen kleben einem leicht an den Fingern fest, sodaß sich bald fünf davon - entsprechend der Kopfzahl unserer Familie - in Handtasche oder Rucksack wiederfinden.


Santa Maria del Cami
Nachdem alle mit dem Verkosten fertig sind, geht es mit dem Bus in ein Restaurant wenige hundert Meter weiter, wo das Mittagessen eingenommen wird. Schinken, Eintopf, ein mallorcinisches Fladengericht oder ein Salatteller sind im Angebot. Wir begnügen uns mit dem Salatteller.

Nun werden die Gäste neu aufgeteilt, eine Gruppe fährt weiter mit der Traditionsbahn nach Soller, von dort mit dem Schiff zur Calobra, der Schlangenstraße usw. Weil es Heidi vor den Abgründen der Calobra graust, haben wir den anderen Part gebucht, der im Landesinneren einige Überraschungen verspricht. Dazu müssen die Busse neu eingeteilt werden, schnell, wie wir sind, entern wir einen schicken Doppeldeckerbus und belegen die erste Reihe hinter den Frontfenstern im Oberdeck.

Lange währt unsere Freude nicht, als uns erboste Mitfahrer darauf aufmerksam machen, daß sie schon vorher dort gesessen hätten. Man diskutiert ein wenig, dann rücke ich eine Reihe nach hinten, ein ebenfalls kompromißbereiter Herr setzt sich neben mich, und wir vertragen uns im weiteren Verlauf der Fahrt ganz gut.

Unsere Reiseleiterin ist nun eine Dame, ich glaube mit dem Namen Anette, auch eine Deutsche, die an einem Spanier hängengeblieben ist. Die macht nun ihre Sache sehr gut und erzählt viel Wissenswertes von Land und Leuten. Westlich von Palma befindet sich das Tal der 1000 Windmühlen. Es handelt sich aber um Windpumpen, die zur Bewässerung dienten. Heute zerfallen sie zumeist, wenn sie nicht mit staatlicher Hilfe wieder hergerichtet werden..

Wir fahren durch die Orte Llucmajor, Campos und Santanyi. Alles ist um diese Tageszeit wie ausgestorben, es ist Siesta-Zeit, außerdem ist am ersten Mai auch hier Feiertag. Die Siesta von mittags bis nachmittags gegen vier verbringen die Spanier - nicht nur auf Mallorca - vor dem Fernseher. Die Fernsehprogramme sind darauf eingerichtet und bringen vornehmlich Werbung. Die amerikanischen Billigserien, die werden dann beim anschließenden Einkaufsplausch durchgehechelt. So nähert man sich wohl weltweit nicht der vieldiskutierten Multi- sondern leider eher einer Fernseh-Monokultur.

In den verwinkelten Gassen dieser Orte hat der Busfahrer sein Tun, um die engen Straßenecken herum zu manövrieren, oft erkennt man an einem hervorstehenden Balkon die Spuren weniger erfolgreicher Versuche. Vom Bus aus kann man die Romantik der Szenerie nur erahnen, eine Radtour in späteren Jahren mit den Möglichkeiten einer intensiveren Aufnahme bietet sich an.

Mit dem Rad sind übrigens eine ganze Menge unterwegs, meistens aber geduckt dahinbrausende Rennfahrer, die sich hier unter idealen Bedingungen auf die Saison vorbereiten. Ob sie auch die blühenden Wiesen sehen, gelbe und weiße Margariten, wo es nicht allzu trocken ist. Leider blüht der Mohn nicht so üppig wie erhofft, nur in einer Niederung ist alles blutrot übergossen, da halten sogar die Leihwagenfahrer zum Fotografieren an.

In der Gegend herrscht Obstanbau vor, Feigen und Datteln, Oliven, Apfelsinen und Zitronen oder Bäume mit den Schoten der Johannisbrotfrucht. Zwischen den Anwesen ziehen sich handgesetzte Trockenmauern hin. Dafür gibt es in Pollenca eine Spezialschule, allein ein ganzes Jahr Theorie gehört zur Ausbildung. So ein Facharbeiter schafft dann am Tag einen Meter Mauer, Frage, was das dann kosten mag. Es ist unvorstellbar, wie die kunstvollen historischen Mauern aus der Maurenzeit in den unzugänglichen Berggegenden entstanden sind, welcher Einsatz an menschlicher Arbeitskraft dafür nötig war.

Auf dieser Strecke gibt es auch die vielen verlassenen und verfallenden Fincas, die man heute günstig erwerben kann, wenn man weiß, was man sich da einhandelt. Immer wieder sagen wir: Da ist eine für uns! In einem schloßartigen Anwesen wohne eine deutsche Familie schon seit Jahren, teilt uns Anette über Mikrofon mit, und die Hälse drehen sich nach rechts in Richtung auf ein zinnenbewehrtes Gemäuer.

Schließlich erreichen wir Cala Figuera, ein idyllischer Hafenort an einer kleinen Bucht, 20 Min. Aufenthalt. Ein Rätsel wird uns mit auf den Weg gegeben, hier sei der größte Beschiß abgelaufen, ob wir drauf kämen. Ich tippe auf Fischerboote von Fischern, die keine mehr sind. Erstmal Fototermin: "Wenn's di dohanne naschtelsch, kriag i das Leuchttürmle mit nei" - das sind wohl Schwaben. Ich mache auch ein Bild von der malerischen Bucht, eine Hibiskusblüte im Vordergrund.


Cala Figuera

Der kleine Rundgang fällt knapp aus. Heidi findet es himmlisch, ich bin mehr skeptisch und finde es zu sehr touristisch. Vor dem Bus klären uns Mitreisende über das aufgegebene Rätsel auf. Man hat hier die Außenaufnahmen zu der Fernsehserie "Hotel Paradiso" gedreht, das Hotel ist aber gar nicht hier. So fallen immer wieder die Fernsehfanatiker mit gezückter Kamera hier ein und sind dann maßlos enttäuscht, das gesuchte Hotel nicht vorzufinden. Dann lieber auf ins Lottertal zur Schwarzwaldklinik.

Es geht weiter nach Porto Cristo, wo sich die berühmten Drachenhöhlen befinden. Diese werden wir aber nicht besichtigen, weil das eine Massenabfertigung ist, wo man die meiste Zeit der Führung mit den mehrsprachigen Ausführungen vollgelabert wird, die man inmitten der Menschenpulks sowieso nicht versteht. Stattdessen bekommen wir eine exklusive Führung in den Cuevas dels Halms, soll heißen Traum eines Engels. Auch hier riesige Parkplätze, wie schön mag das hier in der Hauptsaison sein, da pulst das Leben.

Cuevas des Halms (Postkarte)
In der Höhle verschlägt es mir als Höhlenfuzzi angesichts des Tropfsteinreichtums auch die Sprache. Ein Raum wird als Saal der Angelhaken angepriesen, da sind die Tropfsteine mit in alle Richtungen auswuchernden Fortsätzen besetzt, Excentriques nennt man das in Fachkreisen. Die physikalischen Hintergründe für die Entstehung dieser Gebilde hat man noch nicht ergründen können.

Höhepunkt des Rundgangs ist dann ein tiefgelegener See, da kommt zunächst lautlos ein Boot mit Lichterketten herangeglitten, dann erklingt Geigenmusik, alle Besucher stehen wie versteinert und sind fasziniert. Wenn das Boot dann mit ersterbender Musik wieder in seiner Parkbucht verschwindet, erfolgt ein allgemeines Aufseufzen. Der nüchterne Besucher kann sich dann kopfschüttelnd seine Gedanken machen, ob Kitsch oder nicht Kitsch...

Blinzelnd tritt man wieder in das Tageslicht. Auf dem Rückweg passiert man noch so manche geheimnisvolle dunkle Spalte, die den Höhlenfreund zu einer neugierigen aber mangels Zeit und Ausrüstung erfolglosen Inspektion einlädt. Die Höhlen in diesem Gebiet sind erst 1904 entdeckt worden, da wünscht man sich doch wieder, die 401. Höhle auf Mallorca aufzutun.

Das nächste Ziel ist eine Perlenfabrik in Manacor. Noch auf dem Parkplatz hält Heidi vor staunenden Mitgästen ein Standreferat über Entstehung, Farbspiel und Qualität der Mallorcaperle. "Da erzählst du wieder einen vom Pferd" raune ich ihr zu, ernte aber nur einen vernichtenden Blick.

Die Fabrik in Manacor ist heute verwaist, weil ja Feiertag ist. Nur ein paar Vorzeigearbeiterinnen hat man aufgeboten, die emsig drehend und mit Lötbrennern flämmend das widerborstige Material zu kugeligen Gebilden formen. Laut Aushängetafeln wird auf einen Alabasterrohling Fischgrätenmasse aufgeschmolzen, mühsam, mühsam, angesichts der millionenfach angebotenen Perlenmengen kaum vorstellbar.

In den Verkaufsräumen kann man sich dann auch vor den überwältigenden Auslagen kaum retten. Wir ziehen uns auf einen Kaffee zurück und schlendern zurück zum Bus. Bis alle Schäfchen eingesammelt sind, dauert es noch eine Weile, mit einer halben Stunde Verspätung geruhen dann zwei schwäbische Damen sich von den Vitrinen losreißen zu lassen.

Nachdem endlich alle im Bus sind, fährt dieser genau 300 m weiter in die nächste Hofeinfahrt und alle dürfen wieder aussteigen. Es soll die "Überraschung" folgen, von der die Anette schon die ganze Zeit spricht. Es handelt sich wieder um eine Verkaufsschau, allerdings kann man hier an die 30 Sortene Liköre verkosten. Vorher kann Heidi es sich nicht verkneifen der schwäbischen Dame ihre Meinung zu sagen. "I han au scho auf andre warte müsse" weiß sie darauf auf patzige Weise zu antworten.

Mit klebrigen Schuhsohlen tappt man nun von Zapfhahn zu Zapfhahn. Was da in die Probiergläschen rinnt ist so süß, daß es einen jedesmal schüttelt. Man ist sicher gut beraten, ein paar Stationen zu überspringen, wenn man bis zum Ende durchkommen will. Als wieder alle im Bus sitzen, fehlt nur noch eine: die schwäbische Dame. Da man sie nun schon kennt, kann sie persönlich aus den Verkaufsräumen expediert werden. Im Bus empfängt sie nicht gerade ein Pfeifkonzert, so aber doch einige Unmutsäußerungen.

Es wird noch eine Geschichte erzählt: bei einer früheren Busfahrt sei auch mal eine ältere Dame nicht zu dem vereinbarten Zeitpunkt am Bus erschienen. Man habe sie dann an einem der Zapfhähne ihrer Wahl vorgefunden, wo sie sich eine eigens dafür erworbene Karaffe vollaufen ließe. Ob der Kuriosität dieses Einfalls hat man sie wohl gewähren lassen, dafür hat man eben nun diese Geschichte.

Die Folgen unserer Verspätung zeigen sich dann in Inca, wo wir wieder auf die anderen drei Busse stoßen. Diese haben eine dreiviertel Stunde auf uns warten müssen, bevor die einzelnen Reisegesellschaften nun wieder in die Heimatorte verteilt werden. Die andere Gruppe hat auch etwas Pech gehabt, indem das mit der Eisenbahnfahrt wegen Überfüllung nicht geklappt hat.

Wir haben an dem heutigen Tag ein volles Programm, denn in der Bar findet auch noch ein Folkloreabend statt. Die beiden Damen aus Leipzig, ganz in grau, sitzen schon hinter einem Kakao. Dann geht es los, ein männlicher und drei weibliche Akteure sind als Spanier verkleidet und tanzen zur Musik vom Band, gelegentlich bessern sie die Rhythmen durch eigenes Castagniettengeklapper auf. Wenn man mitgezählt hätte, wüßte man es genauer, viele hundert Male erklingt der Ausruf "Oh Le!!!", meistens provozierend an das Publikum gewandt, um die Stimmung anzuheizen. Angesichts der grazilen spanischen Darbietungen gleicht die Menge der Zuschauer aber eher einer Herde von Dickhäutern.

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