Album 2    Panorama Album

6 Dienstag, 24.5., Olkusz, 105 km

Bevor ich losfahre, mache ich noch ein Bild von der Schwarzen Madonna, aber das ist nur ein Konterfei und draussen am Gebäude angebracht. Leider ist das Bild unscharf, aber man findet im Internet Bilder der Dame in allen Variationen.

Von der heutigen Tour verspreche ich mir viel. Sie führt durch den besagten Jura. Da befinden sich unzählige Felsklippen und schroffe Erhebungen, manchmal ist sogar eine Burgruine oben drauf. Leider spielt heute das Wetter nicht mit, es ist sehr diesig und man kann nicht fotografieren. Es nieselt, aber es herrscht Rückenwind. Die Kamera wandert heute aus der exponierten Lenkertasche in die Gepäckabteilung, und das ist gut so, denn die Wege werden sich heute nicht so optimal präsentieren. Den Anfang macht ein Schotterweg durch einen Wald. Mitunter muss man aber auch schieben, weil es zu sandig wird.

So geht es wie oft in solchen Fällen, man folgt dem ausgeschilderten Radweg eine Weile, doch wenn sich dann eine günstige Landstrassenverbindung anbietet, zieht man diese dann doch vor. Z.B von Zarki nach Podlesice, wer es genau wissen will. Dann probiere ich es noch einmal mit der Radroute, und da gerate ich wieder auf eine regelrechte Querfeldeinstrecke - nicht durch Felder, sondern steil bergauf durch einen Wald. Das Fahrrad muss teilweise getragen werden. Wie weit kann man auf diese Weise heute überhaupt kommen? Als es wieder bergab geht, wird die Strecke etwas besser und man findet sich unversehens an einem Hotel in dieser gottverlassenen Gegend wieder. Es handelt sich um das Ausflugsziel Zamek Morsko, auch hier ein Felsenberg mit einer Burgruine. Nun ist Schluss mit lustig und ich fahre schliesslich den Rest bis Olkusz auf der Landstrasse 791.

Noch eine Rast im Wald mit einer Schokolade, die noch von zu Hause stammt. Die heisst "Kernbeisser" und ist mit ganzen Nüssen versehen. Das bekommt einem meiner verbliebenen Zähne schlecht (Eckzahn unten links). Aber der hatte schon länger gewackelt. Noch ein Zwischenfall: vor mir stehen auf der Strasse zwei Autos und ein paar Gestalten gestikulieren, ich solle anhalten. "Stop, Dobre" rufen sie. Falls die Hilfe brauchen, bin ich - weiss Gott - der falsche, ich habe weder Wagenheber noch Abschleppseil dabei, und blitzartig fällt mir ein, dass das auch ein Trick sein könnte, um sich mal eben die Lenkertasche oder sowas inspizieren zu lassen. Also rausche ich vorbei, obwohl ich wenig Chancen hätte, wenn die wirklich etwas von mir wollten. Das ist wohl nicht der Fall, in einem der nächsten Orte werde ich von den beiden Autos überholt und bin dann auch bald in Olkusz.


Hier fährt man autofrei...

Olkusz

Ein Haus mit vielen Angeboten

Auf dem Ring bzw. Rynek ist vor dem Rathaus ein Stadtplan. Da sind etliche Hotels eingezeichnet. Zwei davon finde ich nicht. Zurück zum Stadtplan, und da ist noch eins gleich um die Ecke, Motel Victoria. Da komme ich gut unter. Zu essen gibt es Chinesisch Huhn, lecker. Dazu schöne Musik, z. B. "Mississippi roll along" doch wenn ich mich nicht irre, nähern wir uns nicht allmählich der Weichsel? Nach zweimal "Desperado" (Baccara) breche ich zu einem Rundgang auf. Die Stadt bietet aber nicht viel doch es herrscht ein reges Leben.

Am Abend repariere ich erfolgreich eine Hosennaht (das Knie guckte raus) mit Sekundenkleber. Aufpassen mit den Fingern, die kriegt man sonst nicht wieder auseinander. Auch die Augen sollte man sich nicht zukleben - steht auf der Packung, aber das tut man dann denn doch nicht...

7 Mittwoch, 25.5., Krakau, 60 km

Wir fahren heute weiter entlang der Radroute, aber meistens irgendwie parallel dazu, um den schlechten Wegstrecken aus dem Wege zu gehen. Das Wetter ist wieder optimal. Die nächste Stadt heisst Krzeszowice, wieder ein Gaumenbrecher. übrigens plagt mich der Zahn und ich fürchte um eines der grössten Vergnügen beim Radfahren: dem abendlichen Essen. Hinter Krkretschowitze ist eine Bahnlinie zu überqueren, die Schranken sind geschlossen. Die Fussgänger und Radfahrer schert das wenig, sie kriechen unter der Schranke durch. Dann kann man das ja auch so machen.


Angenehmer Rastplatz

Teczynski Park

Gleich wird gesprengt...

Dann geht es in den Wald, und da ist schon wieder eine Schranke. Ein Bauarbeiter mit Sprechfunkgerät steht ausserdem davor und verweigert einem die Durchfahrt. Mangels sprachlicher Verständigung vermittelt ein "Bum Bum!" mit entsprechender Geste die Erkenntnis, dass es sich um eine Sprengung in der Nähe handelt. Er zeigt auch auf die Uhr, das wäre dann in 10 Minuten. Da kann man warten. Bald grummelt es dann auch irgendwo, leider kann ich nicht mitteilen, um was für eine Sprengung es sich gehandelt hat. Die Schranke wird geöffnet.

Am Ende des Waldes geht es erst unter einer Autobahn durch und wenig später drüber weg. Eine schöne Landschaft rings umher. In der Ferne kann man auch etwas erkennen, was die Stadt Krakau sein könnte. Es dauert dann noch eine Weile, bis man dort die Randgebiete durchfahren hat, schliesslich aber landet man auf dem berühmten Platz Rynek Glowny im Zentrum. Das ist ein Ameisenhaufen, wo die Menschen hin und her eilen, wo sie wohl alle hinwollen? In den Freiluftrestaurants sitzen die Gäste und sonnen sich. Mitten auf dem Platz steht das Rathaus - nein, es sind die ehemaligen Tuchhallen, dort befindet sich auch die Touristeninformation. Quartier gebe es keins, alles voll. Ob das stimmt, weiss ich nicht, denn die wollen mir auf eigene Faust ein Appartement vermitteln. Das hat seinen Preis, den ich lieber nicht nenne, aber ich füge mich drein, ich bin in einer Notlage. Deswegen lasse ich mir auf dem Stadtplan auch zwei Zahnärzte markieren. Geld muss ich in dieser Situation nun auch noch aus dem Bankomat besorgen (Deutsche Bank) und dann bringt mich einer mit den Schlüsseln zu dem Appartement. Ein netter Bursche, er studiert und verdient sich in der Info sein Geld. "You must have much time" sagt er, als ich von früheren Radtouren berichte. Die Zeit habe ich, aber erst jetzt.

Das Appartement (Ul. Grodzka) ist wirklich Superklasse und seinen Preis wert - wenn man es mit mehren Personen bewohnen würde. Da könnte man zwei Familien unterbringen. Aber ich bin nur ein Einzelmann. Nach dem Duschen wird nicht lange gefackelt und ich mache mich auf zu der nächsten Zahnarztpraxis, die müsste in der Nähe des Wawel sein. Damit erfahren wir auch, was der Wawel ist. Es ist das Königsschloss, eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges. Kein Interesse heute, aber die Zahnarztpraxis ist an der im Stadtplan markierten Stelle nicht aufzufinden. Ich bereite mich innerlich schon vor auf einen Abbruch der Tour und Rückfahrt mit dem schönen Zug Wawel Richtung Hamburg. Da ist aber nun eine Turist Agency (Reisebüro) oder so, und da kann man ja mal fragen. "I need a doctor for my teeth" sage ich und fasse mir an den Mund. Ja, da sei gleich um die Ecke ein 24 h (rund um die Uhr) Cardiologie Zentrum. Tatsächlich, neben einer Kirche (Augustianska). Nun stolpere ich hinein, in diese Einrichtung. Gleich in ein Behandlungszimmer. Da geht es zu wie beim Friseur. In jeder Ecke steht ein Behandlungsstuhl und die Delinquenten leiden unter surrenden Bohrern. Eine Dame expediert mich sogleich da wieder raus, immerhin kann ich noch durch Gesten und "I need help" meinen Wunsch vermitteln.

Kaum im Wartezimmer, da sitzen schon drei andere, werde ich schon wieder in ein separates Behandlungszimmer gebeten. Zwei Damen kümmern sich sogleich um mich, leider können wir sprachlich nicht so gut kommunizieren, die Damen radebrechen nur mühsam in Englisch. Aber die Sache ist einfach zu beurteilen: der Zahn muss raus, wir einigen uns auf das Wort "Extract". Es muss aber auch noch geklärt werden, was mit dem Ersatzteil geschieht, das ohne die Eckzahnbastion nur schlecht funktionieren würde. "Prothese Specialist, one hour" - wenn das nichts ist, damit war ja gar nicht zu rechnen. Nun nehmen die Dinge ihren Lauf, Anästhesie, ob Allergie oder Hypertonie? Hab ich nicht! Also die Spritze, die soll nach 10 Minuten die Betäubung bewirken. Ich werde dann gefragt, ob sie auch wirkt und nicke mit dem Kopf, obwohl es nur leicht kribbelt in der Unterlippe. Von früheren Begebnissen weiss ich, dass man eigentlich das Gefühl haben müsste, die halbe Gesichtshälfte hänge einem herunter. Dann kommt die Zange. Geruckel und ein Ruck. Und nun höre ich die Engel singen!!!  Die Dosis der Anästhesie hat die ärztin wohl aus Vorsicht vor einem Kollaps bei einem so herein gestolperten Patienten auf das Minimum beschränkt. Aber die Sache ist vorbei, Tupfer, und der Engelchor ebbt so langsam ab bzw.: wie schön, wenn der Schmerz nachlässt. Dann darf ich mich für 20 Minuten wieder in das Wartezimmer setzen.

Dann wird ein fachgerechter Plastiline-Abdruck der Unterkieferangelegenheit angefertigt und ich werde für eine Stunde entlassen. Die führt mich zurück in das Appartement, wo ich zwei Schmerztabletten zu mir nehme und mich erst mal lang mache. Dann wieder in die Praxis, das Ersatzteil ist inzwischen perfekt ergänzt und sitzt besser als zuvor. Ich bin wieder ein Mensch!!! Nun bekunden mir die Damen, dass ich ja auch für die Sache bezahlen müsse und schreiben einige Zahlen auf ein Blatt Papier. Ich verstehe das nicht, mit den Zahlen kann ich nichts anfangen. Und dann stimmt es doch: das Extrahieren kostet 20 EUR, die Ersatzteilergänzung 15 EUR. Das ist ja nicht zu fassen! Bei uns wird immer ein Kostenvoranschlag gemacht, den die Krankenkasse genehmigen muss, und dann zahlt man immer noch ein Vielfaches der eben genannten Beträge dazu. Ich bedanke mich überschwänglich, und - wieder in Freiheit - reibe ich mir die Augen, man könnte heulen vor Glück. Leider komme ich nicht auf die Idee, den Damen abschliessend noch einen Blumenstrauss zu bringen, nun habe ich hoffentlich doch meinen Dank auf diesem Wege zum Ausdruck gebracht.

So, das war etwas ausführlich, verständlich, oder? Jedenfalls ist mir meine Unterkunft auf einmal nicht mehr zu teuer, ausserdem wird das Abendessen eingespart, eine Krakauer Wurst ist leider nicht drin. Ein abendlicher Rundgang in dieser sehenswerten Stadt - die grösste Perle der Tour und die goldene Palme ist damit verliehen. Obwohl noch viele Perlen auf uns warten. Ich hoffe ihr kommt weiter mit!

Den Rest des Abends lassen wir es ruhig angehen und man ernährt sich flüssig. Bier hat auch Kalorien, da braucht man sich um die Bettschwere dann irgendwann keine Sorgen mehr zu machen.

Bei der Gelegenheit wird auch mal wieder die Radhose gewaschen, deren Ledereinsatz nur schwer trocknet. Da kann man sich mit einer Konstruktion behelfen, indem man die Hose mittels zweier gefüllter Getränkeflaschen über der Herdplatte plaziert. (Das ist womöglich nicht zur Nachahmung empfohlen).

Im Radio höre ich dann auch noch die Schlager: The Lion sleeps tonight..., I am sailing... oder What a wonderful World...

8 Donnerstag, 26.5., Nowy Targ, 94 km

Die Schlüssel meiner Unterkunft muss ich wieder in der Touristeninformation abgeben, die öffnet leider erst um 9 Uhr. Schön wär's ja, aber es ist um die genannte Zeit noch keine Menschenseele anzutreffen. Schliesslich taucht eine Dame auf und der übergebe ich die Schlüssel. So kann ich erst um 9.15 losfahren, bei dem blauen Himmel scharrt man natürlich wieder mit den Füssen. Aus einer so grossen Stadt wie Krakau ist nur schwierig herauszufinden. Ich vertraue mich einer sechsspurigen Autobahn an, wo einen der Verkehr kaum belästigt, weil genügend Platz ist. Die Richtung scheint zu stimmen und ich komme dann wohl in der Stadt Wielczka raus, von wo aus eine ruhige Strasse mit der Nr. 964 weiter nach Süden führt.

Nach ein paar Steigungen und holperigen Abfahrten kommt dann schon wieder eine Strassensperre. Ein Polizist leitet den Verkehr um. Mir erklärt er wortreich, warum und wieso und wolang. Da ich kein Wort verstehe, gucke ich immer dümmer drein. Zum Glück versage ich mir die Körpergeste für eine Sprengung (wie gestern), denn sonst hätte man mich wohl kaum nach der Dummguckerei durchgelassen. Nach der zustimmenden Geste des Polizisten mache ich mich eilig um die nächste Kurve davon. Im nächsten Ort klärt sich die Sache: Hunderte von Menschen nehmen andächtig an einer Prozession teil. Trachten und Uniformen, ein Hochwürden unter einem Baldachin, und da wird mir klar: heute ist Fronleichnam. So stehe ich unversehens inmitten einer Prozession und bin so frech, ein Foto aus der Hüfte zu schiessen. Dann ziehen sie alle unter Gesängen an einem vorbei - ich bekomme eine Gänsehaut oder sowas, aber die Engel höre ich nicht mehr singen!

Als die Strecke wieder frei ist, geht es nach Dobczyce und dann das Tal an dem Fluss Krzywsorzeka (das versuche mal einer auszusprechen) hinauf. Reines Genussfahren! Am Ende des Tales muss man über eine Passhöhe und hat dort einen herrlichen Rundblick über die Beskiden, so heissen hier alle Bergzüge. Nach einer Abfahrt stösst man auf die Hauptstrasse 28 nach Rabka Zdroj. Von dort kann man dann wieder eine Nebenstrasse finden die das Tal Poni Czanka hinauf führt. Hier fällt einem erstmals ein eigenartiger Baustil auf: die Häuser haben sonderbare Spitzgiebel. Schliesslich steigt die Strasse immer steiler an, bald wird sie nicht mehr fahrbar und dann zu einer regelrechten "Killersteigung" (25% vielleicht). Schieben und Fuss vor Fuss setzen ist angesagt, das kennt man ja, Schwitzen. Hinter jeder Kurve erwartet man "die Kante", aber sie kommt und kommt nicht.

Es kommt ganz anders. Man trifft am höchsten Punkt auf die Hauptstrasse 47, so hat man den Höhengewinn verkehrsfrei bewältigt und kann nun mit dem starken Verkehr (viele Reisebusse) wenigstens bergab fahren. Aber noch eindrucksvoller: voraus liegt ein felsiges Hochgebirge mit Schneefeldern, und das ist die Hohe Tatra, das kleinste Hochgebirge der Welt - wie es heisst.

Anmerkung über Tatra und Inselsituation dieses Gebirges

Trotz dieser schönen Aussicht und auch wegen der knapp überholenden Reisebusse muss man sein Augenmerk verstärkt auf den rechten Strassenrand richten, wo so manches Schlagloch droht, denen man schlecht ausweichen kann, wenn man gerade knapp überholt wird. Na ja, es geht bergab und man rollt hinunter in die Stadt Nowy Targ. Da ist bald das Hotel Limba in der Nähe des allgegenwärtigen Rynek gefunden.


Nowy Targ

Ein fideler Knabe steht staunend in der Tür, weil da lange Warteschlangen vor dem gegenüberliegenden Eisstand (LODY) auf ihr Fronleichnams-Eis hoffen. Und ich dachte, das sei ein Kino.

Der fidele Knabe heisst Robert und versieht den Hoteldienst. Wieder bin ich so glücklich, so fein unterzukommen, für 10 EUR. Leider ist festzustellen, dass am Hinterrad meines Sykkel (Fahrrad für's Leben) aus Stord, Norwegen - hallo Terje-, eine Speiche gerissen ist, zum Glück auf der guten Seite, d.h. nicht auf der Ritzelseite.  So muss vor dem Duschen diese Angelegenheit erledigt werden. Vier Ersatzspeichen führe ich mit. Kein Problem, "You are fast" sagt Robert und ich sage in "Lübke Englisch": "I did it not for the first time". Er könnte nun auch in gleichem Stil antworten: "That overrushs me".

Bedenken bleiben trotzdem, wenn nun eine Speiche nach der anderen reisst, kommt man bei drei verbliebenen Ersatzspeichen auch nicht so weit. Und die Strassenverhältnisse sind eben nur suboptimal. Und dass gestern ein Gast da war, der zu Fuss aus Deutschland gekommen sei, das erzählt mir mein Robert auch noch. Essen gibt es im Restaurant gegenüber, leider habe ich das Gericht nicht protokolliert, aber es war keine Pizza. Jedenfalls wohl ein Gericht, an dem man nicht zu schwer zu beissen hat (Kalbsbraten war es dann wohl).

9 Freitag, 27.5., Bardejov, 124 km

Eigentlich sollte es an dem Fluss Dunajec weiter gehen, aber ich gerate auf eine Strasse (49), die in südliche Richtung genau auf die Felsenpartien der Hohen Tatra zuführt. Das ist ja auch nicht schlecht - bei der Aussicht! Um meinem (groben) Plan zu folgen, geht es dann doch irgendwann links ab, das heisst Richtung  Osten.

Kopfschirm
Eine Reise in Richtung Osten und Süden hat den Nachteil, dass man in den Morgen- und Vormittagsstunden der Sonne entgegen fährt und dabei die für das Fotografieren gut beleuchteten Szenen oftmals nur im Blick zurück erhascht. Ausserdem blendet es mitunter, deshalb kann ich auf einen Kopfschirm bzw. Baseballmütze nicht mehr verzichten. Dass ist auch gut gegen Sonnenbrand, der bei mir sogar unter den Kopfhaaren entstanden war. Den Sonnenbrand auf Armen und Oberschenkel pflege ich mit Penatencreme(!) zu behandeln. Was einem Kinderpopo gut tut, hat auch seine Wirkung auf die von der Sonne strapazierte Haut.


Wilder Fluss

Hohe Tatra

Stausee Dunajec

Die Strecke ist so gut wie verkehrsfrei und führt über Orte wie Lapsze Wyzne oder Lapsze Nizne. Auch ein Berg ist zu überqueren, dann rollt man hinab zu dem Stausee des Flusses Dunajec, und dort ist der Grenzübergang in die Slowakei. Danach wird an der nächsten Wechselstube die Geldbörse geleert und das restliche polnische Geld in Slowakische Kronen umgetauscht. Der Kurs ist etwa 1:10, d.h. die Kronen haben  also eine Null mehr aufzuweisen.


Fluss Dunajec

Staukonstruktion mit Burgruine

Flossfahrt

Gleich hinter der Grenze begleitet mich - zumindest akustisch - mal wieder ein Kuckuck. Der hat wohl keine Sprachprobleme, die Kuckucke hören sich überall gleich an. So auch der Pirol mit seinem Ui-U-Io. leider ist dieser gelbe Vogel, der bei uns wohl schon selten ist, aber auch nicht zu Gesicht zu kriegen. Später sehe ich noch eine Bachstelze mit gelber Brust, mal sehen, wie dieser Vogel heisst.

Es handelt sich offenbar um die Schafstelze, oder Gebirgsstelze, die beide in Mitteleuropa und auch in den Balkanländern vorkommen.


Unterhalb des Stausees herrscht ein reger Flossbetrieb, wo die jauchzenden Touristen in Shorts und mit Sonnenhüten sich von landesüblich(?) gewandeten Flössern den Fluss hinunter staken lassen. Sie erreichen erstaunliche Geschwindigkeiten: bis 15 km/h, das kann man ermitteln, indem man auf der Landstrasse nebenher fährt. Diese ist übrigens in vorbildlichem Zustand, ein Umstand, der einem an allen Grenzübergängen auffällt. Vielleicht sind da schon EU-Mittel geflossen. Nach angenehmer Fahrt verlassen wir nun das Tal des Flusses Dunajec und fahren auf der Strasse 543 nach Star Lubovna. In einem Dorf kann man von der Hauptstrasse über die Dorfdurchfahrt abbiegen und findet sich schon wieder in einer anderen Welt. Da sind hübsche kleine Häuschen. Als ich mir einen Rastplatz gesucht habe, tritt eine ältere Frau aus ihrem Hoftor, mit Kopftuch und Leggins, die fast bis unter die Achselhöhlen reichen. Sonst trägt man wohl noch einen weiten Rock darüber, aber sie weiss ja nicht, dass da ein vor sich hinkauender Radler, von weit her angereist, Eindrücke sammelt. Auf ein Foto verzichte ich. Als ich ein paar Häuser weiter aber einen Schuppen fotografiere, läuft mir ein Mann mit nacktem Oberkörper und Handkarre ins Bild, das war gar nicht vorgesehen.

Wir begeben uns auf die Strecke 68, die direkt nach Presov führt und leider stark befahren ist. Eine andere Alternative ist die Strasse in Richtung Bardejov, und ich meine gelesen zu haben, dass das einer der schönsten Orte hierzulande sein soll. Ausserdem sind das 11 km weniger und auf der Strasse 77 dorthin herrscht nur spärlicher Verkehr. Es muss noch einmal das Tal gewechselt werden, das bedeutet eine Steigung zu bezwingen, dann kann man an dem Flüsschen Topla hinab rollen. Es zeigen sich auch die ersten Zigeuner und deren Behausungen, die sich meistens an den Ortsrändern zu befinden scheinen. Einmal geht einer am Strassenrand mit einem kleinen Mädchen und einem kleinen Jungen an der Hand am Strassenrand entlang. Ausserdem schiebt er noch eine Karre mit drei weiteren Kindern vor sich her. Was für ein tolles Bild wäre das, aber im Reiseführer steht, Zigeuner sollte man um Himmels willen nicht fotografieren, sie würden dann glauben, man stiehlt ihnen ihre Seele. Also lässt man's lieber.


Bardejov

Wir kommen für heute in Bardejov an, und da kann wohl kein Besucher enttäuscht sein. Es gibt einen herrlichen zentralen Platz mit Rathaus und Kirche. Die Hausgiebel sind alle vorbildlich restauriert, als wenn man hier das Verschönern der Häuser in der Volkshochschule lernen würde! Also gleich ein Panoramabild in der Nachmittagssonne. Nun muss ich mal wieder eine Unterkunft suchen. Gleich hinter der Kirche ist ein grosser Kasten und da steht HOTEL dran. Ein junger Mann vor der Tür folgt mir, wie ich da erwartungsvoll Rad und Gepäck hinein schiebe. Was er mir anbieten könnte? Es handelt sich um eine Bar, Hotel - das war einmal. Mit meinem Rad an der Bar einen trinken, das wäre ja nicht schlecht, aber eigentlich hatte ich das nicht vor. Also schieben wir wieder raus und der junge Mann zeigt in eine Richtung, wo eine Unterkunft zu finden sei.

So werde ich für heute Gast der Pension Semafor, da ist alles erst kürzlich renoviert oder ausgebaut und entsprechend ordentlich eingerichtet. Nach dem Duschen treibt es mich zum Essen und der nette Herr Kaminski (Ingenieur) empfiehlt mir das Pizzalokal BELLO hinter der Kirche, gleich neben dem ehemaligen Hotel. Dort kann man auf einer überdachten Holzterrasse speisen. Es ist warm heute und viele Gäste bevölkern dieses und andere Freiluftrestaurants. Ich bekomme eine prima Pizza, aber leider, leider spielt das Messer nicht die Rolle, die ihm zugedacht ist. Da kann man nach Herzenslust säbeln und hebeln, das nützt alles nichts. Also versucht man bei der Bedienung zu reklamieren, ob man ein anderes Messer bekommen könnte. Da winkt sie nur ab, da hätte man kein besseres. Leider bin ich zahntechnisch nicht in der Lage, die Pizza einfach abzubeissen, wie es andere Gäste nach ebenfalls vergeblichem Herumsäbeln tun. So habe ich für den heutigen Abend nach der ganzen Strampelei auch etwas für die Armmuskeln getan.

Zurück in der Pension Semafor meint der nette Herr Kaminski, beim nächsten Mal solle man eines seiner Messer mitnehmen. Das merkt euch mal, liebe Leser, falls ihr nach Bardejov kommt, was zu wünschen wäre.



10 Samstag, 28.5., Kosice, 89 km

Eine hübsche junge Dame, die sehr nett mit den Augen klimpern kann, serviert mir das Frühstück (Spiegelei mit Schinken). Das wird die nette Frau Kaminski sein. Man hätte schon einmal Australische Radler zu Gast gehabt, und das seien alles Vegetarier gewesen...

Das Wetter hat sich so entwickelt, dass die übliche Fahrradkleidung wegen der Hitze nicht mehr angesagt ist, sondern in solchen Fällen geniesse ich das Fahren in Turnhose und offenem Hemd, dass dann neben dem Fahrtwind um einen herum flattert. Die Route führt nun über die mit 545 bezifferte Strecke, kein nennenswerter Verkehr, leicht hügelige grüne Landschaft. In einem Ort (Janovce) werde ich hereingelegt. Aufgrund einer vielversprechenden Beschilderung mache ich einen Abstecher in Erwartung einer historischen Holzkirche. Es handelt sich aber nur um eine mickrige Holzkonstruktion, 3 m hoch und weiter nicht sehenswert.


Ein glückliches Paar...

...und noch ein glückliches Paar

Viel sehenswerter ist eine Szene, die ich im Vorbeifahren nur im Augenwinkel einfange. Aber dann sofort gebremst, ein paar Meter zurück, und - ich will nicht angeben, aber so ein Foto gelingt nicht jeden Tag und könnte bei einem Wettbewerb einen Preis gewinnen: ein Einwohner, schmunzelnd und in Eintracht mit seiner offensichtlich geliebten Kuh. Vielleicht das fast beste Foto der Tour.

Leider - oder nicht leider -, muss ich Moment (Do, 16.6., 20.15) meine Berichterstattung unterbrechen. Im Fernsehen (NDR III) kommt ein Bericht über die abenteuerliche Schmalspurbahn im rumänischen Wassertal - hallo Terje! Darüber später mehr.

Nun geht es wieder weiter, wir biegen ein auf die vierspurige Europastrasse 73, voraus die Trasse, rechts Rapsfelder. Wenn man sich nicht sicher ist, ob diese Strecke für Radfahrer überhaupt erlaubt ist, können einen die hin und wieder in der Gegenrichtung käfernden Radfahrer beruhigen. Es gibt auch einen Randstreifen, wo Platz genug ist. Im Gegensatz zu den Entgegenkommenden rolle ich aber bergab mit Rückenwind. Die Stadt Presov kommt näher, zunächst nicht so ansprechend - wie immer, Industrieanlagen und viel Verkehr.

Das Zentrum präsentiert sich dagegen wieder wie ein Bilderbuch, noch dazu bei der Beleuchtung heute morgen - oder besser mittag.


Presov

Die Kirche steht inmitten der Flanierzeilen, es ist kein geschlossener Platz wie in Bardejov, sondern eine langgestreckte Strassenszene. Oberbusse mit Stromabnehmern fahren auf der Fahrbahn. In der Kirche hat gerade eine Hochzeit stattgefunden, nun wird fotografiert und das Brautpaar muss sich zweisam an einem Trinkbrunnen laben. Ich versuche auch, mein Foto von dem Hochzeitspaar zu schiessen, aber so richtig wird das nichts. Das Panorama dagegen ist sehenswert. In der Touristeninformation versuche ich noch mein Glück, eine Karte a'la Czestochowa für eine Radstrecke nach Kosice zu erstehen. Aber das glückt nicht. Ich bin wieder auf eine der unzureichenden Skizzen aus dem Internet angewiesen.

Es reicht aber aus, eine ansprechende Nebenstrecke zu finden. Bei einer Rast ertönt plötzlich ein vernehmliches Klappern, und wenn man sich ein paar Meter von dem schattenspenden Plätzchen entfernt, hat man freie Sicht auf ein Storchennest, wo sich ein glückliches Paar gerade überschwenglich begrüsst. Ein paar Zeitgenossen sitzen nebenan auf einer Treppe, jeder mit einer Flasche Bier oder so was in der Hand, die Zeit ab. Die kümmert das alles nicht so, die sind das gewohnt - das Klappern meine ich.

Es gibt nun seitab rechts einen  Ort, der heisst Kysak, und von da aus kann man dann ganz gemütlich im Tal eines Flusses namens Hornad die Reststrecke nach Kosice abfahren. Vorher gilt es dazu noch die eine oder andere Steigung zu überwinden. Das ist weiter kein Problem, abgesehen von der Hitze. Bei Steigungen schaue ich mir immer die Blumen am Wegrand an, besonders, wenn geschoben werden muss. Und Blumen gibt es genug. Wir erreichen Kosice, das umgeben ist von riesigen Siedlungsblocks. Aber wir wissen ja schon, der Kern ist schmackhaft. So ist es auch hier. Am Hotel Amabassador fahre ich allerdings doch lieber vorbei. Trotzdem stolpere ich dann schliesslich doch in eine nicht so preiswerte Einrichtung, und die nennt sich Hotel Slovan. Aber man kann dort mit Fahrrad und Gepäck durch die automatischen Türen bis zur Rezeption vordringen, das schätze ich immer besonders. Mein Zimmer ist im 8. Stock, da wird erst mal ein Panoramafoto gemacht, dann geduscht, Socken gewaschen und aufgehangen, und für einen selbst wird eine Weile abgehangen.

Ein Rundgang in Kosice. Da ich an keiner Stadtführung teilnehme, kann ich über historisches nicht so viel - bzw. gar nichts - berichten. Es reicht mir immer schon wenn man auch so ins Staunen kommt. Jedenfalls herrscht ein reges Leben, eine Hochzeitsgesellschaft ist auch hier zugange und lächelt einem Fotografen zu. Ich stehe etwas abseits, deswegen lächelt mir keiner zu, trotzdem finden wir ein Bild der Veranstaltung nun auf diese Weise im Internet.  Dann besuche ich  wenigstens den Dom von innen, da spielt gerade einer auf der Orgel nach der Melodie "Tochteher Zion, freuhehe freue Dich..." Als das Stück endet, klatscht einer - wie unfein, das hätte der mal bei der Schwarzen Madonna versuchen sollen (da kamen die Gesänge allerdings aus der Konserve).

So, nun gehen wir wieder mal Pizza (Pizzeria Modena) essen, wo soll man auch sonst hin. Da die Osteuropäer offensichtlich Pizzafans sind, bin ich hier ja bestens aufgehoben. Langweilt vielleicht ein wenig - immer nur Pizza? Man kann aber auch den kleinen Mädchen am Nebentisch zuschauen, die verzückt in ihr Handy funkeln und sich hin und wieder SMS-Mitteilungen quer über den Tisch zukommen lassen, wie das nur funktionieren mag?

Nun ist man selber ja auch nicht von gestern - oder? In den Hotelauslagen entdecke ich spät am Abend (21.30), dass es einen Internetraum für kostenlose Benutzung gibt. Da lasse ich mir noch an der Rezeption den Schlüssel geben und beantworte meine Mail von vor ein paar Tagen. Dass die dann an mich selbst geht und nicht an meine liebe Tochter Stefanie, fällt mir erst später ein. Das lässt sich aber am nächsten Morgen noch beheben. Ich hatte mir tatsächlich die Mail selber geschickt. Sie war schon angekommen.

(So geht es einem, wenn man 34 Jahre lang beruflich in Sachen EDV tätig war)


Kapitel 3: Tokaj - Satu Mare
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