Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3

Donnerstag 8.6. Ruhetag in Sexten

Morgens schneit es, es ist neblig bis in das Tal hinunter, da mag man gar nicht aufstehen. Es ist nichts zu sehen von der Sextener Sonnenuhr mit Neuner-, Zehner-, Elferkofel usw. So irgendwann nach 9 Uhr hellt es aber doch auf. Was macht man an einem Ruhetag am besten, natürlich eine Radtour. Ich fahre Richtung Dreischusterhütte in das Innerfeldtal mit einer wunderschönen Blumenflora: Trollblumenwiesen, Soldanella, kleine Enzianpolster und anderes. Hier gibt es auch den Frauenschuh, den ich aber vergeblich suche. Als ich nach einer Stunde die Dreischusterhütte auf 1517 m erreiche, bricht die Sonne durch, aber von den wilden Felsspitzen rings umher ist nichts zu sehen. Ein Stück fahre ich noch mit dem Fahrrad weiter, aber dann geht es wegen des groben Schotters nicht mehr, der Talschluss ist ohnehin wenige hundert Meter weiter. Also wird das Fahrrad an einen Baum gelehnt, abgeschlossen und der Rucksack geschultert. Auf geht's, wollen doch mal sehen, wie hoch man hinaufkommt. Es bietet sich der gut markierte Weg 105 zur Dreizinnenhütte an. Wie ich sehe, folgt mir niemand, da, wo Schnee liegt, sind auch noch keine Fussspuren zu erkennen, also ist vor mir auch keiner. Das hat man nicht so gern, wenn man allein steigt. Aber der Weg ist bestens gangbar, das Gelände ungefährlich und das Wetter scheint so hinzuhalten. So geht es neben einem Bachtobel nach oben. So ab 2000 m nimmt der Schnee zu, und ich habe bald nasse Füsse. Da steht vor mir ein Gemsbock, wohl schon etwas betagt, und glotzt mich frech an. Ich gucke genau so zurück und überlege, ob die Biester einen vielleicht auch angreifen. Das tut er aber nicht, sondern entschwindet bald im Latschengestrüpp.

Ich steige weiter bergan und kriege so langsam etwas Bammel. Den Fuss sollte man sich hier, allein auf weiter Flur, nicht verknacksen. Nach jeder Anhöhe über mir hoffe ich auf den Übergang zur Dreizinnenhütte, aber wie das in den Bergen so ist, es geht immer wieder noch ein Stück weiter. Zum Schluss komme ich in einen Schneetobel hinauf, dort wird der Schnee knietief. Danach geht es links weiter, wo eine Schneewehe auf dem Weg liegt, jetzt ist Schluss. Auf einem grossen Felsblock lasse ich mich nieder und lege den Hut unter die Sitzfläche, damit es nicht so kalt ist. Rings umher ziehen die Nebelschwaden und geben zeitweise den Blick auf die schroff aufragenden Felswände frei. Dabei schneit es ein wenig, so mache ich mich wieder an den Abstieg. In den Spuren vom Aufstieg geht es ganz gut, man muss nur aufpassen, dass man nicht ausgleitet.

Umkehrpunkt ...
Nach einer Weile beginnt es stärker zu schneien, sodass mich nach dem Hut verlangt, doch der ist nirgends zu finden. Dann kann er nur oben auf dem Felsblock liegengeblieben sein - das ist ja fatal. Erst gebe ich eine innerliche Verzichterklärung ab, dann aber setzt sich doch die Liebe zu dem alten Hut durch, der auf allen Touren seine Dienste getan hat, auf die 10 Minuten kommt es nun auch nicht mehr an, nasser können die Füsse nicht mehr werden. Also nochmal rauf, der Hut liegt noch da und wird auf den ihm zustehenden Ort plaziert. Nun geht's endgültig an den Abstieg. Knapp unterhalb des tiefen Schnees kommen nun endlich zwei von unten, oben hellt es auch weiter auf. Aber ich gehe nicht nochmal rauf, dazu sind mir die Füsse zu kalt geworden. Nachher begegnen mir nochmal zwei, ein älteres Ehepaar, die sind sich schon uneins, ob sie noch weiter rauf sollen. Nach Woher und Wohin fragt mich der Mann dann allen Ernstes inmitten der umgebenden Dolomitenbergwelt, wie Dortmund gegen Schalke gespielt hätte - da muss ich passen.

Der Rest des Abstiegs ist nun schnell geschafft, obwohl ich den markierten Weg irgendwann verfehle. In dem übersichtlichen Gelände kann man in dem Bachtobel von Stein zu Stein hinunterhüpfen. Das Fahrrad befindet sich noch an Ort und Stelle. Inzwischen hat es oben doch wieder zugezogen, da kann ich dann beruhigt ins Tal abfahren ohne etwas zu verpassen. Auch ein weiterer Ausflug ins Fischleintal lohnt sich so nicht. In 10 Minuten bin ich die Abfahrt hinuntergesaust, aber der Fahrtwind fährt mir gehörig in die schneegekühlten Schuhe, obwohl ich die Socken noch vorher ausgewrungen habe. Um 15.30 Uhr bin ich wieder im Quartier und schlaffe ab, es hat wieder angefangen zu regnen.

Sexten mit seiner Sonnenuhr
Gegen 18 Uhr ist plötzlich bestes Wetter, die Sonne bricht durch und die Berge schälen sich tatsächlich nach und nach aus ihrer umhüllenden Watteschicht. Von meiner Unterkunft führt direkt eine Strasse nach oben, also nichts wie da rauf, diesmal aber zu Fuss. Endlich präsentiert sich das Sextener Panorama mit Rotwand, Zwölferkofel usw.

Die Dreischusterspitze, gibt sich als letzte zu erkennen. Spät erst mache ich mich an die Rückkehr und bin erst nach 20 Uhr wieder unten. Am nächsten Morgen bezahle ich für die zwei Tage DM 44.- (umgerechnet).

Freitag 9.6. Sexten - Cortina 75 km


Sextener Rotwand am Kreuzbergsattel
Um 8 Uhr wird bei bestem Wetter gestartet, die Berge sind alle frei. Es geht hinauf zum Kreuzbergsattel 1636 m. Für die eben 6 km brauche ich bei den ca. 400 m Anstieg eine Stunde. Kurz vor der Passhöhe verläuft ein betonierter Schützengraben aus dem letzten Krieg. Oben ist eine herrliche Aussicht, im Süden zeigen sich ganz neue Berge, die mich auf der weiteren Tagesfahrt begleiten werden.

Die Abfahrt wird wieder sehr kalt, denn es hat in der Nacht Frost gegeben. Sausend geht es nach Padole, wo eine Nebenstrasse über den St. Antonio Pass abzweigt.

Padole
In Padole ist gerade Wochenmarkt, hier ist nicht nur die Sprache, sondern auch der Baustil und die ganze Atmosphäre italienisch. Daran muss man sich erst wieder gewöhnen. Nach St. Antonio geht es steil hinauf, meistens muss geschoben werden. Der Pass ist wieder 1468 m hoch, aber dann geht es hinunter nach Auronzo auf 864 m Höhe. Die Abfahrt ist sehr steil, das viele Bremsen ist anstrengend. Irgendwann halte ich an einer sonnigen Mauer inmitten vieler Blumen an und raste. Nach zwei weiteren Kurven ist Auronzo erreicht, es bietet sich ein herrlicher Anblick vor einem wilden Tal, über dem die drei Zinnen (oder was ich dafür halte) thronen.

Auronzo
Dieses Tal fahre ich nun hinauf, es gilt wieder, fast 1000 m zum Misurinasee und Drei Kreuze Pass auf 1809 m zu klettern. Da das Tal sich lang hinzieht, gewinnt man die Höhe allmählich. Immer wieder passiert man verlassene Hotels und Ferienhäuser, die nur während der Saison zum Leben erwachen. Dafür ist jetzt so gut wie kein Verkehr dort hinauf. Am Talende geht es rechts rum Richtung Norden und man fährt genau auf die Cristallogruppe zu. Mit Schieben und Fahren abwechselnd pumpe ich mich langsam empor. Kurz vor der Abzweigung zum Misurinasee soll es laut Karte wieder eine Abkürzung geben, die endet in der einen Richtung an einem Wildbach, in der anderen in einem Hochmoor. Also doch über die Strasse nach Misurina, um den berühmten See zu sehen. Bald ist man dort, vorne liegt das Misurinahotel, was zur Zeit anscheinden als Kinderheim dient. Ein paar Busse stehen herum und man ergeht sich auf einem komfortablen Rundweg um den See. Tretboote warten auf Zuspruch.

Ein deutsches Ehepaar steigt aus dem Auto, bei dem die Kühlung noch rauscht, wirft einen kurzen Blick auf die Wiese neben dem Parkplatz und die Frau sagt: "Du, Korl, dat is woll Enzian". Weiter halten sie sich aber nicht mit botanischen Studien auf, sondern machen sich sogleich ans Fotografieren der Szene. Die allerdings ist schon grossartig, ausser Cristallo und drei Zinnen kenne ich die umgebenden Berge nicht alle namentlich. Nachdem ich meinen Landjäger verzehrt habe, geht es auf zum letzten Anstieg zum Pass Tre Croci. Wieder wird ein Verteidigungsgraben passiert, ein Zeichen, dass man gleich oben ist. Dort öffnet sich wieder ein neues Panorama der Berge um Cortina, direkt vor einem liegt die Tofanagruppe. Rechterhand kann man die wilden Felswände des Cristallo ganz nah studieren. Kletterer sind nicht zu entdecken. Hinten liegt die Marmarolegruppe, deren schneebedeckte Nordseite man während des ganzen Aufstiegs zur linken hatte.


Misurina See

Cortina mit Tofana

Cortina mit Cristallo
Die Abfahrt nach Cortina in weitgeschwungenen Kurven macht wieder einen Mordsspass. Obwohl es erst 16 Uhr ist, muss ich hier Quartier nehmen, danach kommen die Pässe Falzarego oder Giau aber keine geeignete Ortschaft. In Cortina finde ich mich erstmal nicht zurecht und drehe eine unfreiwillige Ehrenrunde auf der verkehrsreichen Durchgangsstrecke. In der Touristeninformation kann man mir nur Hotels offerieren, weil es keine Privatquartiere gäbe. Zum langem Rumsuchen habe ich auch keine Lust, so lande ich im Hotel Montana wieder gleich an der Kirche. Das kostet aber auch nur so gegen DM 45 und ist damit erschwinglich. Sonst ist Cortina vom Touristenrummel geprägt, hat daher viele Geschäfte und andere Freizeiteinrichtungen und ist damit ein stinknormaler Ort. Abends esse ich noch eine Pizza im Garten eines Restaurants, dann komme ich aber doch ins Frieren, ganz so warm ist es abends in dieser Höhe noch nicht.

Zu Hause feiert meine Sportgruppe heute das "Kuhstallfest", ich bedauere es aber nicht, meine Zeit in den Dolomiten zu verbringen.

Samstag 10.6. Cortina - Vigo 80 km

Ich stehe um 7 Uhr auf, der Himmel ist wolkenlos. Leider gibt es Frühstück erst ab 8 Uhr. Da es ohnehin extra berechnet wird, mache ich mich stattdessen noch vor 8 Uhr auf den Weg. Erstmal raus aus Cortina, es geht in Richtung Falzaregopass. Über Cortina steht eine Steilwand, die von der Strasse traversiert wird. Durch einen kleinen Tunnel überwindet die Strasse die steilste Stelle. Direkt davor ist ein Aussichtspunkt, wo man das tolle Panorama von Cortina noch einmal bewundern kann. Wie alle aufgeblasenen Orte sieht auch Cortina aus der Ferne besser aus. Weiter geht es hinauf bis zur Abzweigung zum Pass Giau. Ich hatte mir vorgenommen, bei gutem Wetter diese Route zu wählen, weil sie eine Nebenstrecke ist. Also links ab, leider erstmal bergab. Das wird natürlich bald wieder gutgemacht, durch lichten Bergwald geht es wieder aufwärts. Rechts über einem die wilden Wände der Tofana. Vor einem Bachtobel finde ich rechts an der Böschung eine Trinkflasche Marke Eddi Merckx, die scheint unversehrt zu sein. Nachdem ich sie gründlich gesäubert habe, leistet sie mir im Laufe des Tages und der weiteren Tour wertvolle Dienste. Wasser gibt es überall aus Trogbrunnen oder direkt aus den Bächen, mit einer Brausetablette erhält mein ein vorzügliches Getränk.

Straße zum Pass Giau
Weiter geht es aufwärts, meistens wird geschoben. Etwa in Höhe der Baumgrenze kommt mir ein schwarzer Mercedes entgegen, ein Leichenwagen mit Hamburger Kennzeichen. Ich mache mir schon Gedanken, was da passiert sein mag, vielleicht wird ein abgestürzter Bergsteiger überführt. Im Vorbeifahren sehe ich aber Bettwäsche im hinteren Teil des Wagens, die schlafen also da, wo sonst die Särge transportiert werden. Was den Leuten alles so einfällt !

Nach der Baumgrenze bekommt man einen freieren Blick und es ist nicht mehr ganz so steil. Es zieht sich noch ganz schön hin, zuguterletzt führen zwei langgezogene Kehren durch Schneefelder bis auf die Passhöhe des Giau auf 2230 m. Drei Stunden habe ich für den Anstieg von Cortina gebraucht. Was mich beim Erreichen der Passhöhe empfängt, verschlägt mir die Sprache, da hat mant das ganze Dolomitenpanorama ausgebreitet vor sich, von Marmolata bis Sella.

Paß Giau
Eine halbe Stunde bleibe ich hier, dann muss wieder abgefahren werden, weil heute noch ein zweiter Pass wartet.

Warm angezogen geht es fast 1000 m hinunter. Bei starkem Gefälle und engen Serpentinen geht das wieder nur ganz vorsichtig. Ein paarmal halte ich an, um mich aufzuwärmen und Bremsen und Felgen abkühlen zu lassen. Ziemlich weit unten gelangt man dann an die Abzweigung Colle Santa Lucia, hier ist auch wieder eine einmalige Landschaft.

Nach Santa Lucia muss erst wieder aufgestiegen werden, nach der langen Abfahrt fast eine Wohltat. Nach Passieren des Ortes aber geht es endgültig hinunter, gleich zu Beginn der Abfahrt noch ein normaler Rastplatz. Wie ich aber talwärts über die Brüstung schaue schon wieder ein atemberaubender Ausblick: fast senkrecht geht es hinunter, der Ort Rocca Pietore liegt direkt ca. 300 m unter einem. Richtung Westen erstreckt sich das Petorinatal, durch das hindurch der Weg hinauf zum Fedaia Pass führt. In der Wand unten blühen Küchenschellen Nun soll es hinunter nach Rocca gehen, aber die Strasse ist gesperrt. Da müsste ja ein ganzes Tal umfahren werden, 30 km Umweg ! Da kommt gerade ein Schulbus und ein Motorrad die Strasse herauf, na dann werde ich ja wohl auch da irgendwie durchkommen. Es klappt auch, einmal liegt ein tonnenschwerer Felsblock auf der Strecke, deswegen ist sie wohl gesperrt.


Santa Lucia

...

Rocca Pietore
Von Rocca Pietore geht es nun hinauf zum Fedaia Pass unterhalb der Marmolada. Den zweiten 2000 m Pass an diesem Tag gehe ich nicht mehr ganz so frisch an. Es steigt sehr stark an und ich schiebe die meiste Zeit. Aber ich habe genug Zeit und plane wieder drei Stunden Anstieg ein. So wähle ich wieder eine Ortsdurchfahrt anstelle der grossen Strasse. Es gibt interessante Holzspeicherhäuser zu sehen. Und dann kommt die grosse Überraschung. Während sich die Hauptstrasse in Serpentinen um den Ort herumwindet, über eine Talbrücke und einen Tunnel schliesslich den oberen Talbereich erreicht, gelangt man unten lang in die Sottogudaschlucht. Dort führt der alte nur einspurig befahrbare Weg hindurch. Es ist alles da, enge Schluchten, tosendes Wasser, ein Wasserfall und eine kleine Kapelle.
Sottogudaschlucht
Am Ausgang der Schlucht stösst man wieder auf die grosse Strasse und befindet sich in einem jetzt verlassenen Skizentrum. Von hier aus startet man im Winter per Schlepplift oder verwegen angelegter Seilbahn auf den Marmolada Gletscher. Ein Seitental zweigt hier ab, hier stehen noch alte Heuhütten, die vor den Hotels da waren und erzählen könnten, wie mühsam man seinem Broterwerb nachgehen musste, als der einzige gefahrvolle Weg durch die Schlucht hier heraufführte und nicht der Tourist sondern das Vieh das tägliche Brot einbrachte. Dermassen philosophierend verbringe ich noch eine angenehme Rast und steige dann weiter auf.

Auf dem Weg zum Fedaia-Paß
Hier wird es so unangenehm steil, dass an Fahren nicht zu denken ist. Die Strasse führt zudem fast geradeaus nach oben, da gibt es kaum Abwechslung. Damit man auch was zu ärgern hat, läuft bis hinauf zum Pass ein Schlepplift für die Skifahrer nebeher. Während ich zwei Stunden brauche, um mich da hochzuarbeiten, ist man mit dem Lift sicher in einer Viertelstunde oben. Nun, im Moment ist ja kein Betrieb, sonst würde man wohl eine Menge zu hören kriegen.

Fedaia-Paß

Marmolada
Das letzte Stück des Passes ist grosszügig mit Kehren und einer Rampe ausgebaut, da kann man sogar wieder fahren. Oben angelangt ist der neue Ausblick aber enttäuschend, vielleicht liegt es auch am Wetter, das sich mittlerweile wieder verschlechtert hat. Die Marmolada ist nicht so beeindruckend von hier aus, der Stausee ist halb leer und eine weite Aussicht hat man auch nicht. Bei der Abfahrt nach Canazei im Fassatal fängt es prompt wieder an zu regnen, sodass ich wieder etwas verfroren unten ankomme. Schwierigkeiten gibt es wieder in einem Tunnel wegen des nicht funktionierenden Lichtes.

Im Fassatal fahre ich von Canazei noch ein paar Kilometer abwärts, lasse Langkofel und Sella hinter mir und gelange über Campitello nach Vigo di Fassa. Ab hier geht's auf den Karerpass, daher ist das Ende der heutigen Etappe mit 2000 bewältigten Höhenmetern angesagt. Für 30 DM bekomme ich ein Zimmer und esse abends eine hervorragende Pizza im Restaurant La Grotta.

Sonntag 11.6. Vigo - Male 120 km

Start bei gutem Wetter aber beginnender Einwölkung um 8 Uhr Richtung Karerpass auf 1745 m . Der Anstieg von 400 m ist kein Problem und nach einer Stunde bewältigt. Ab jetzt merke ich eine Stärkung der Kondition, daher kann ich sehr ausdauernd klettern. Nach dem Karerpass fahre ich rechts ab Richtung Nigersattel. Rechts über einem liegt der Rosengarten und die Vajolettürme. Ein wenig scheint noch die Sonne, dann zieht es mehr und mehr zu.

Rosengarten am Nigerpaß
Der Himmel über Bozen aber ist makellos. Es geht 1500 m hinunter, denn Bozen liegt nur auf 265 m. Diese Abfahrt zieht sich sehr lang hin und ist auch nicht so steil, hübsche Orte wie Tiers werden passiert. Der erste Blick hinunter auf Bozen ist wieder sehr beeindruckend. Die anfangs idyllische Strasse wird nun wieder zu einer breit ausgebauten Hangtrasse, aber der Verkehr ist mässig. So kommt man hinunter in das Eisacktal, wo es rechts zum Schlern und zur Seiseralm hinaufgeht. Durch das Tal quälen sich nun neben der Eisack, die wohl am meisten Gefahr läuft, den kürzeren zu ziehen, auch noch die Eisenbahn, die Autobahn und die Bundesstrasse. Auf der fahre ich den Rest unter dichtester Verkehrsbedeckung bis Bozen. Ich kann zu Hause anrufen, nachdem mir ein freundlicher Hausdiener 2000 Lire in Münzen wechselt. Obwohl nun herrlich die Sonne scheint, will ich mich nicht lange aufhalten, hier ist zuviel Trubel, ein ordentliches Stück Arbeit wartet an diesem Tag auch noch auf mich. Ich versuche, eine Strasse Richtung Mendelpass zu finden, fahre aber zunächst nur nach Gefühl.

An einem Kiosk frage ich nach der Richtung. Ein älterer Mann auf einem Moped zeigt die Strasse entlang, wo es weitergeht und redet noch einiges, was ich nicht weiter beachte. Ich fahre los und gleich darauf überholt mich der Opa auf dem Moped und gestikuliert, dass ich hinterherfahren soll. Das finde ich ja super, nur heisst es auf die Tube drücken, denn der fährt ungeniert über 30 Sachen. So rase ich durch dichten Verkehr hinter dem Opa her, an den Ampeln sieht man sich sowieso wieder. Schliesslich hält er an und bedeutet, dass er hier wohne, ich muss nur die nächste Strasse links und dann immer geradeaus fahren. "Passo Mendola viel Strasse" meint er abschliessend, und ich bestätige dass mit einer Geste, die bergauf bedeutet. Nachdem ich mich bedankt habe, geht es also raus aus Bozen, aber der Verkehr ist mörderisch. Dann merke ich auch, woran das liegt: ich befinde mich auf der Südtiroler Weinstrasse nach Kaltern.

Die Abzweigung zum Mendelpass muss aber irgendwann kommen. Das dauert leider noch ein wenig, es ist sehr heiss und die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Es steigt dabei auch schon ganz schön, einmal muss ich mitten im Fahren abspringen, weil mir der Schweiss in die Augen läuft und das höllisch brennt. Ausserdem knackt die Pedale derart, dass ich Bedenken habe, dass das noch lange gut geht. Da ist eine Tankstelle, aber die hat zu. Es stehen ein paar leere Öldosen herum, in denen noch Reste schwappen. Ich versuche, damit die Pedale zu schmieren, tatsächlich legt sich das Knacken so nach und nach und tritt dann während der restlichen Tour nicht wieder auf.

Bald erreiche ich die ersehnte Abzweigung, da hört der Verkehr schlagartig auf. Erstmal durchatmen, aber noch ein paar Kilometer weg von der Schnellstrasse, dann mache ich Rast. Als ich so halbwegs wieder bei Kräften bin, kommen eine Anzahl Jugendlicher, alle auf Mountainbikes, den Berg hinauf gekeucht und fallen schier vom Rad. Sie lagern sich am Strassenrand schräg gegenüber und sind mit sich selbst beschäftigt. Als ich wieder losfahre, muss ich also erstmal forsch starten, um kein Gesicht zu verlieren.

Ich fahre also zügig los bis zur nächsten Strassenbiegung in der Absicht, dann ausser Sichtweite bei Bedarf gleich absteigen zu können. Wider Erwarten komme ich aber gut in den Takt. In zunächst weiten Schleifen geht es bei nicht allzu steiler Steigung immer durch Wald und daher herrschen erträgliche Temperaturen. Eine Felstrasse liegt weit oben im Hang, als die erreicht ist, wird aber doch geschoben, denn hier gibt es viel zu sehen. Links geht es senkrecht runter, da geht man wie auf Wolken. Schlern und Rosengarten liegen nun schon in einiger Entfernung über dem Bozener Tal, direkt unten liegt Kaltern mit dem gleichnamigen See. Aus dem wird sicher der berühmte Kalterer See abgefüllt. Nach dieser Abwechslung ist das letzte Stück des Passes schnell überwunden und ich komme einigermassen frisch oben an. Das waren 20 km mit Anstieg von 260 m auf gut 1000 m.

Aufstieg zum Mendelpaß
Auf dem Pass ist ordentlich was los, am Sonntag fahren da viele hinauf, das war auch schon an dem Verkehr zu merken. Hier sind eine Menge Souvernir- und andere Geshäfte, plötzlich sehe ich auch viele Fahrradfahrer, auf dem Anstieg war das nicht so. Womöglich fahren die hier auch mit dem Fahrrad im Kofferraum hinauf. Es ist jetzt 16 Uhr, da kann ich noch ein ordentliches Stück weiterkommen. Die Abfahrt führt in das breite Talbecken des Rio Novella über Orte Malosco, Fondo, Brez, Cloz, alles idyllische Orte italienischen Charakters.

Malosco
Wieder sehe ich eine Schlucht von rechts in das Tal münden, fahre dann über eine Brücke, die gerade 20 m lang sein mag. Gerade noch sehe ich, dass es dort ganz tief hinunter geht und halte schnell an, um über das Geländer zu schauen. So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen. Da ist der Bach wohl 50 m tief unter der Brücke in einer stockdunklen Schlucht eingeschnitten, die vielleicht 5 m breit ist, fast wie eine Gletscherspalte. Hundert Meter weiter bietet sich nochmal das gleiche Bild bei einem anderen Bach. Wenn es so etwas im Harz gäbe, wäre der schon deswegen weltberühmt, aber hier liegt das so rum. Jetzt bin ich bei jeder Brücke am äugen, ob noch einmal so eine Sensation auftaucht.

Nachdem ich aber eine Zeitlang nur in harmlose Bächlein geschaut habe, gibt sich das wieder. Die Fahrt geht flott mit Rückenwind und meistens bergab. Ein paar Gewitterschauer stören nicht sonderlich. Einmal will ich mich kurz unterstellen, gerate aber an eine Carabinieri-Station, wo ich gleich wegkomplementiert werde. Bevor man zum Lago di St. Giustina, einem Stausee, gelangt, wird noch einmal eine grossartige Schlucht durchfahren. Nun geht die Fahrt in das Val Melecchio di Sol, das zum Tonalepass hinaufführt. Es ist mittlerweile 18 Uhr, aber es herrscht ein schöner Rückenwind und es ist nach den kalten Hochgebirgsstrecken hier sommerlich warm. So geht es in flotter Fahrt noch über eine Stunde weiter bis Male, dem ersten grösseren Ort, der sich für eine Übernachtung anbietet.

Nach Passieren einiger Hotels, die teuer aussehen, gerate ich an das Hotel Puller, das einen einfacheren Eindruck macht. In der Eingangshalle sitzen eine Menge älterer Damen herum, da ziehe ich mir in einer Garageneinfahrt erstmal die Trainingshose über, um nicht zu nackt da aufzukreuzen. Wie ich dann endlich richtig in dem Haus drin bin, bin ich ganz benommen, das wimmelt nur so von alten Schachteln. Womöglich ist das ein Altersheim. Zwei weitere ältere Damen entpuppen sich als die Geschäftsführerinnen, die eine kann leidlich deutsch. Mir wird sofort ein Zimmer zugewiesen. Ausserdem werde ich gebeten, auch mein Essen daselbst einzunehhmen. Ich würde informiert, wenn aufgetragen wird.

Natürlich habe ich einen Mordshunger und finde das alles prima. Als ich dann samt Gepäck in mein Zimmer stolpere, kann ich mir das Lachen nicht verkneifen. Jetzt heisst es, sich schnell fertigmachen, also duschen, schamponieren, die verknitterten Sachen aus den Gepäcktaschen zerren und sich vornehm anziehen. Gegen 20 Uhr klingelt dann das Telefon: "Es ist bereit" höre ich. Also hinunter in den Speisesaal, der im alten Stil mit Kristalleuchtern und antiken Möbeln eingerichtet ist. Die Tische sind vornehm gedeckt mit mehreren Bestecken, einer Batterie von Weingläsern, Brotkorb und allem, was dazu gehört. Die ganze Korona sitzt bereits aufgereiht zum Dinieren und ein heiteres Schnabulieren erfüllt den Raum. Mir wird ein Platz zugewiesen, zwei Bedienungen tragen nun von Servierwagen auf. Zuerst gibt es eine Suppe, die auf Wunsch mit Semmelbrocken und Parmesan verfeinert wird.

Zu trinken wird Vino offeriert, aber bei meinem Durst möchte ich lieber ein Bier, das führt zu einigen Umständen. Erst ist kein Öffner da, dann spritzt das Bier aus der Flasche und ein Aufwischlappen muss her. Die arme Hausmamsell ist ganz durcheinander. Schliesslich steht das Bier, eine Riesenflasche auf dem Tisch. Jetzt kann weiter aufgetragen werden. Es folgen mehrere kleine Steaks mit Paprika und einem Karottenkartoffelpamps. Kein Problem bei dem Hunger. Nachdem das verzehrt ist, wird Käse gereicht. Ich lasse mir zwei ordentliche Brocken auftragen und verzehre dazu zwei Brötchen. Dann folgt noch eine Portion Eis zum Nachtisch, von mir aus könnte das noch so eine Weile weitergehen. Doch nun bricht die Gesellschaft zu einem Verdauungsspaziergang auf, dem ich mich aber nicht anschliesse.

Nach einem auch sehr guten Frühstück am nächsten Morgen kostet die ganze Angelegenheit DM 45.


Kapitel 3