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7.1.90 Mit dem Rad in die DDR

Unter dieser Überschrift erschien schon im Dezember in der Braunschweiger Zeitung die Ankündigung einer Radfahrt, organisiert vom ADFC und der Fahrrad AG der Uni. Es soll rund um den Großen Fallstein gehen, also etwa der Strecke, die wir Heiligabend auf der Rückfahrt entlanggefahren sind. Da muß man natürlich mit. Thomas und Kollege B. sind auch leicht zu überzeugen, so fahren wir - weil wir heute faul sind - bis zum Ortseingang von Börßum mit dem Auto. Weitere 30 Radfahrer kommen mit dem Fahrradbus, 20 Unentwegte sind schon in Braunschweig gestartet. Gegen 11.30 sind alle versammelt und es kann losgehen. Mit dem Wetter haben wir großes Glück, es herrscht zwar Frost, aber mit malerischem Rauhreif und Sonnenschein. Auf Nebenwegen geht es los Richtung Mattierzoll, entlang dem Entwässerungsgraben im großen Bruch läßt es sich ohne jeden Autoverkehr auf schnurgerader Wegstrecke fahren. Zwischen 12 und 1 Uhr erreichen wir die Grenze, obwohl die Autos nun vierspurig abgefertigt werden, hat sich ein längerer Stau gebildet. Das liegt am schönen Wetter und daran, daß an diesem Wochenende in Quedlinburg ein Stadtfest stattfindet, zu dem die Menschen aus der Region Braunschweig/Wolfenbüttel eingeladen wurden.

Als wir die Autoschlange passieren, beschweren sich doch allen Ernstes ein paar Autofahrer, daß wir uns nicht hinten anstellen. Das kann man auch nicht ernst nehmen, so fallen wir mit über 50 Radfahrern über die Übergangsstelle her. Das hat es hier noch nicht gegeben, ein Reporter vom Radio FFN ist eigens dazu eingeladen worden und macht Interviews. Wir stehen daneben, wie er den DDR-Zollbeamten befragt und hören mit, daß dieser in Magdeburg wohnt, sonst in Marienborn Dienst tut, und nun aushilfsweise hier ist. Sensationell! Ansonsten zieht sich die Abfertigung der Radfahrer recht in die Länge, anscheinend haben wieder einige keine Pässe mit.

Endlich geht es weiter. Als so große Gruppe werden wir von allen Seiten mit Hallo begrüßt. In Hessen geht es gleich rechts ab Richtung Deersheim, so bekommt man den Ort gar nicht richtig zu Gesicht, aber wir kennen ihn ja schon. Wir fahren jetzt direkt östlich vom Großen Fallstein. Nach wenigen km kommt ein fliegender Kurier von hinten und meldet eine Panne. Da wird eine Pause am Wegrand eingelegt, es dauert wohl über eine halbe Stunde, bis die Havaristen eintrudeln. Dann geht es an Deersheim vorbei, lieber wären wir durch den Ort gefahren, aber zunächst bleiben wir noch bei der Gruppe. Es folgt eine langgezogene Steigung nach Osterwiek, hier zieht sich das Feld kilometerweit in die Länge. Am Ortseingang steht mit gezücktem Mikrofon wieder der Radioreporter.

Hier soll man sich sammeln: Aber das gefällt uns nicht, denn da steht ein Schild mit der Aufschrift "Osterwiek, besuchen sie die historische Altstadt", und das macht einen ganz ungeduldig. Wir stehlen uns also davon und besichtigen schon mal die malerischen Straßen. Zwei Straßen sind Fußgängerbereich, hier kommen wir unfreiwillig mit einem Polizisten in Kontakt, der uns von den Rädern expediert. Thomas versucht zu argumentieren, daß bei uns Radfahren in den Fußgängerzonen erlaubt sei (was aber nicht stimmt). Nur in Holland ist es wohl erlaubt, allerdings auch nur, wenn ausgeschildert. Darum soll es jetzt auch gar nicht gehen, schiebend also gelangen wir durch ein kleines Tor auf den Kirchplatz. Die Kirche ist beeindruckend, die mächtigen Türme sind durch einen Querbau verbunden. Die Türen sind alle zu. Wir fahren wieder zurück, man sieht in den Nebenstraßen wieder die verwahrlosten Häuser, gekümmert hat man sich jeweils wohl meistens nur um die innere "Puppenstube" der historischen Ortskerne.

Wir haben bereits beschlossen, daß wir uns von der Gruppe trennen wollen, denn es sind nur wenige km zurück Richtung Hornburg, und dann ist die Tour schon zuende. Bis zum Dunkelwerden bleibt uns aber noch genug Zeit, die Kreise etwas größer zu ziehen. Wir stoßen auf einige Versprengte, die sich nun nach Studium der Karte auf den Rückweg machen in der Annahme, die Gruppe sei schon weitergefahren. Zwei Ecken weiter kommt aber die ganze Blase herangerollt, die haben über eine halbe Stunde da in der langweiligen Toreinfahrt herumgestanden. So können wir uns wenigstens ordnungsgemäß abmelden. Auf geht's, ich fahre erstmal gemächlich voran, bis Kollege B. einen Spurt anzieht und die Führungsarbeit übernimmt. Auch Thomas blüht nun auf, obwohl er heute einen alten Dreigangesel gesattelt hat. Mein gewohntes Tourentempo muß ich in dieser Gesellschaft schon steigern, so komme ich auch ins Schwitzen, was ich sonst eher vermeide. Wir fahren entlang der Ilse über Berßel nach Wasserleben und Veckenstedt. Dies sind reine Bauerndörfer, sofern von den Bauernhöfen noch was übrig ist. In einem der Orte fällt eine Kirche mit einem Fachwerkturm ins Auge.

In Veckenstedt fahren wir nicht mehr nach Ilsenburg weiter, sondern quer nach Stapelburg. Ein ziemlicher Berg dazwischen ist nochmal eine ordentliche Herausforderung. Oben hat man eine schöne Aussicht zurück Richtung Ilsenburg und Wernigerode, da qualmt es wieder ganz schºn. Nun geht es hinab nach Stapelburg. Noch vor dem Ort beginnt der Autostau. Die Autos stehen mit abgestelltem Motor, offenen Türen und miteinander redenden Menschen, ein "Hort der Kommunikation". Einige rufen uns im Vorbeifahren zu "Ihr habt's gut", das sehen wir auch so.

An der Kreuzung regelt ein Polizist den ruhenden Verkehr, auf der anderen Seite stehen die Autos bis hinter Ilsenburg. Wir lassen uns auf den Weg nach Lüttgenrode über Abbenrode schicken. In Lüttgenrode haben wir heute Gelegenheit, die verfallene Kirche genauer zu inspizieren. Ein Drittel des Kirchenschiffes ist regelrecht zusammengebrochen. Auf der anderen Seite des Kirchturms hat man eine Scheune angebaut, auch diese verfällt. Das ganze Gelände ist wohl Teil einer ehemaligen Domäne, das Herrenhaus steht ein paar Meter weiter und der Spruch "...hat auch schon bessere Tage gesehen" drängt sich auf. Dieses Haus wird aber noch genutzt, wir haben aber nicht weiter nachgeforscht. Aus einem der alten Häuser schaut ein älterer Mann heraus, mit dem sich aber irgendwie nicht recht reden läßt.

Wir fahren quasi hinten aus dem Ort heraus, es geht einen kleinen Weg steil hinab, ich schiebe lieber, weil ich meinen Bremsen nicht traue. Wir schlagen uns nun durch - anders kann man das nicht nennen - nach Stötteringen. Die Straße ist nicht befestigt, wir können sie nur benutzen weil es gefroren hat. Im aufgetautem Zustand bleibt man hier sicher stecken. Wir wundern uns, daß selbst hier noch Autos aus der BRD herumschleichen. Einer fragt an uns an einer Kreuzung mitten in der Botanik, ob es in der Richtung, aus der wir kommen, nach Lüttgenrode gehe. Nachdem wir das mit Bestimmtheit bejahen können, fragen wir gleich zurück: "Und hier geht es nach Stötteringen", was auch bestätigt wird. So ist jeder zufrieden. Wir kurven also weiter um die Schlaglöcher herum und kommen dann auch bald nach Bühne und Rimbek, wo die Frau mit dem Honigkuchen wieder im Gange ist. Wir fahren heute aber vorbei. Der Ort ist wieder voll mit Spaziergängern, da müssen wir vorsichtig dran vorbei. Dann schieben wir wieder über die Grenze. Während wir die letzten Kilometer durch Hornburg nach Bºrßum fahren, wird es allmählich dunkel. Die Tour war 80 km lang, da reicht es mal wieder.


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