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26.12.89 Radtour Duderstadt - Nordhausen

Ich habe noch nicht genug, hauptsächlich liegt das am Wetter. Die Sonne scheint so schön, da muß man einfach raus. Da der Tag nach Weihnachten ohnehin von Hausarbeit geprägt sein wird, hole ich die Genehmigung für eine Tagestour ein. Erst einmal sitzt man vor der Karte und hat freie Auswahl. Bei den vielen Möglichkeiten, innerhalb einer guten Autostunde ein Ziel zwischen Mecklenburg und Thüringen zu erreichen, fällt die Wahl nicht leicht. Ich entscheide mich für das obere Eichsfeld, das sich von Duderstadt aus anfahren läßt. Dann kann man sich so Richtung Nordhausen und den sagenumwobenen Kyffhäuser vorarbeiten.

Im Morgengrauen - das ist um diese Jahreszeit nicht allzu früh - fahre ich los. Es geht über Herzberg, Gieboldehausen und Duderstadt bis Gerblingerode, wo ich gegen halb 10 Uhr eintreffe. Hier ist der Grenzübergang nach Worbis. Auf einem großen Parkplatz wird das Auto abgestellt, das Fahrrad ausgeladen und die Tasche gepackt. Dann fahre ich an einer nur kurzen Autokolonne entlang zur Grenzkontrolle. Ich bin noch gar nicht ganz da, da ruft mir der Grenzer schon zu, ich könnte gleich wieder umkehren, der Übergang sei nur für Autos. Das schockt mich nun nicht so sehr, notfalls kann ich ja wieder in das Auto steigen. Ein westdeutscher Grenzer erklärt mir aber den Weg zu dem 3 km entfernten Fußgänger- und Pedalritterüberweg.

Ich bin froh, daß ich diesen über Feldwege mit vielen Abzweigungen finde. Eine Gruppe von Wanderern entsteigt den Autos. An der Kontrollstelle heißt es: "Na, er hat seinen Globus vorne drauf", damit ist die Karte am Lenker gemeint. Der Beamte vom Zoll will es hier genau wissen, wieviel Geld ich dabei hätte und ob ich Waren in die DDR einführen wollte. Ich habe zwar einen Korb hinten auf dem Gepäckträger, das gibt aber wohl doch noch keinen Anlaß, einen größeren Schmuggeltransport zu vermuten. Das ganze war wohl auch nicht so ernst gemeint, nun kann ich endlich in die Pedale treten.

Man kommt gleich in den kleinen Ort Ecklingerode, hier geht man heute seiner geregelten Arbeit nach und nimmt von mir als Radfahrer keine Notiz. Dabei wollte ich doch wieder so viel winken. Entlang eines kleinen Flußtales kommt als nächstes der Ort Brehme. Danach geht es hinauf, hier ist genau die Wasserscheide zwischen Weser- und Elbe-Einzugsgebiet. So bis auf ca. 400 m muß man wohl klettern, da kommt man schon ins schwitzen. Oben wird erstmal Rast gemacht. An der Straße liegt ein merkwürdiges Haus, in einem Anbau sind lauter kleine Verschläge. Wenig später schlagen dort Hunde an, ein Mann guckt kurz um die Hausecke, verschwindet aber wieder. Ob das ein Quartier für die "Grenzhunde" ist? Hat wohl auch ausgedient. In Richtung Osten geht es nun hinab in das Tal der Bode, diese entspringt in den nahen Ohmbergen und mündet in Wipperdorf kurz vor Nordhausen in die Wipper.

Zuerst kommt der Ort Holungen, der sich heute tüchtig einnebelt, da kaum Wind herrscht. Im Ort sieht man kaum mehr etwas von der Sonne. Kurz hinter dem Dorf liegt ein großer Abraumberg von einem Kalischacht. Hier hängen noch Plakate von Planerfüllung usw. herum. Daneben sind ein paar häßliche Wohnblocks für die Arbeiterfamilien. Die müssen hier wohl auch sehr abgeschieden wohnen. Ein Gelände mit Schrebergärten verrät etwas über das Freizeitfreuden derer die hier leben.

Weiter geht es über Bischofferode, Großbodungen und Kleinbodungen. Es wird immer dunstiger. Noch bevor ich die Bundesstraße 80 von Worbis nach Nordhausen erreiche, fahre ich im dichtesten Nebel. In der Hoffnung, daß sich dieser irgenwann auflöst, geht es von Wipperdorf weiter nach Nordhausen. Auf den Höhen scheint noch die Sonne, aber sobald es wieder hinunter geht, taucht man in den eisigen Nebel ein, es ist gleich ein paar Grad kälter. Daß man sich Nordhausen nähert, ist auf diese Weise nicht festzustellen, nachdem ich die Abzweigung der B 243 vom Grenzübergang Mackenrode passiert habe, ist der Verkehr zusammengebrochen, die stehenden Autos verstänkern die Luft. Außerdem sind hier einige Industriebetriebe, da herrscht eine wohl nicht mehr harmlos zu nennende Smogsituation.

Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung ich mich halten muß, um in die Ortsmitte zu kommen. Ich frage einen Arbeiter und komme in ein ganz interessantes Gespräch über die politische Lage. Von einer "schleichenden Wiedervereinigung" und "Gorbatschow, einem feinen Kerl" ist die Rede. Ich mache mich auf den weiteren Weg. Die Autos untereinander grüßen sich hier wieder, als Radfahrer bin ich außen vor und werden ignoriert. Eine Gruppe fideler Krankenschwestern steht an der Straße, leider gilt deren Interesse auch mehr den passierenden Westbussen.

An einer Kreuzung scheine ich der Ortsmitte ziemlich nahe zu sein, nochmal frage ich nach dem weiteren Weg. Diesmal erklärt man mir eher unfreundlich - das gibt es also auch - daß es auf einem ansteigenden unbefestigten Weg zum Dom gehe. Es sieht hier zwar aus wie hinter'm Bahnhof, trotzdem schiebe ich hinauf und komme auch zwischen älteren Häusern raus. An den Resten einer Stadtmauer mache ich Rast und "genieße" die nicht vorhandene Aussicht. Man hört nur die Verkehrsgeräusche von unten. Durch den Nebel ist es so ungemütlich, daß ich mich nicht hinsetzen mag. So schiebe ich weiter durch die baufällige Straße. Auf einmal stehe ich vor dem Dom, sehe ihn aber nur unvollständig, die Türme verschwinden im Dunst.

Im Dom kann man nur in einen Vorraum, der eigentliche Innenraum ist nicht geöffnet. Ich gehe weiter, mein Unternehmungsgeist ist stark gebremst, ich befürchte, die Orientierung zu verlieren. Dem Fahrer eines westdeutschen Autos geht es wohl genauso, der hält an und fragt nach dem Weg zur Ortsmitte. Ob und wo es die gibt, weiß ich genauso wenig, nur den Weg zum Dom kann ich ihm zeigen. An Straßenzeilen mit verwahrlosten und leerstehenden Fachwerkhäusern vorbei gerate ich wieder auf die B 4, die nach Norden in den Ostharz führt. Da fährt auch eine Straßenbahn entlang. Ich kalkuliere die noch verfügbare Zeit. Um noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein, muß ich mich an den Rückweg machen. Mit dem Kyffhäuser wird das bei diesem Wetter ja auch nichts.

Jetzt weht der zwar schwache aber eiskalte Wind mir entgegen, verbissen fahre ich vor mich hin, umgeben von dem weiterhin dichten Nebel. Diese Sache macht keinen Spaß, das ist wohl doch nicht die richtige Jahreszeit. Ich kann mich auch nicht erinnern, schon einemal in der Weihnachtszeit Radtouren unternommen zu haben, in diesem Jahr ist eben alles anders.

Etwas abgekämpft komme ich wieder nach Wipperdorf, es geht über einen Bahnübergang, die Schranke ist unten, eine willkommene Pause. Neben mir steht ein Lieferwagen, die wundern sich wohl und kurbeln schließlich das Fenster runter. "Auf Rundfahrt durch die DDR?" , und wie die Eindrücke seien, werde ich gefragt. Ich sage nur, das Wetter sei nicht das geeignete zum Radfahren und erfahre daraufhin, daß ich Eis im Bart habe. Das wußte ich auch vorher schon. "Ganz schön mutig" finden die beiden noch, ob sie damit die Erstickungsgefahr meinen?

Die Bahnlinie scheint als Nebelgrenze zu fungieren, bald darauf wird die Luft klar. Ich bin nicht mehr gut in Form, die Strecke zieht sich sehr in die Länge. Es ist auch nicht so schön, auf der Bundesstraße zu fahren, aber zu mehr reicht es nicht mehr. Nach Gebra fährt man durch das Eichsfelder Tor an den Bleicheroder Bergen entlang. In Sollstedt ist wieder ein Kalischacht. Dann kommen die drei Orte Breitenworbis, Kirchworbis und Worbis. In Worbis fahre ich noch ein wenig herum, aber viel ist nicht zu sehen. Mechanisch geht es weiter, endlich wird Teistungen erreicht, danach muß ich abbiegen, um wieder nach Ecklingerode zu kommen.

Am Ortsausgang ist früher die DDR-Grenzabfertigung gewesen, jetzt steht aber alles leer, man hat die Abfertigung ja direkt an die Grenze verlegt. An der Straße nach Ecklingerode steht ein Schild: "Nur mit Sondergenehmigung zu befahren", das ist inzwischen durchgestrichen. Jetzt geht es nochmal über einen Berg, ich schiebe und die Stimmung bessert sich. Zum Grenzübergang führt dann auch eine sausende Abfahrt hinunter. Kurz vor 17 Uhr bin ich wieder am Auto. Das waren genau 100 km, die mir nicht leicht gefallen sind, fürs erste habe ich einmal genug vom Radfahren.


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