Kapitel 1: Ankunft, Markttag in Ierapetra
Kapitel 2: Sitia, 7 Bergdörfer
Kapitel 3: Lasithi, Kritsa
Kapitel 5: Ag. Nikolaos, Spinalonga

Festos und Matala

Am Dienstag können wir erst gegen halb neun Uhr losfahren, weil unsere Chefs nicht eher aufkreuzen, um uns das Auto zu übergeben. Heute habe ich beim Fahren keine schwitzigen Hände mehr, man ist an das Fahren nun gewöhnt. In Ierapetra will ich erst mal tanken. Bei der ersten Tankstelle funktioniert aber die Zapfsäule nicht und man winkt uns weiter, bei der zweiten klappt es dann. Zunächst ist die Strecke nicht so interessant, man fährt zwischen großen Flächen mit Treibhäusern dahin, wo Tomaten, Gurken und anderes Gemüse angebaut wird.

Bevor die Straße in die Berge abbiegt, liegt noch ein niedlicher Ort, der heißt Mirtos. Die Straße windet sich hinauf über die südlichen Ausläufer des Dikti Gebirges. Schöne Blicke aufs Meer, die wenigen Orte an der Küste sind nur durch Stichstraßen von hier oben aus zu erreichen. Wieder ist die Vegetation zauberhaft, die Luft ist geschwängert vom Geruch des Thymian und anderer Kräuter. 30 km geht es rauf und runter, dann erreicht man die Hochebene von Ano Vianos. Das ist eine kleinere und heimeligere Ausgabe der Lasithi Ebene.

Der Ort Vianos ist an den Berg geklebt. Am Ortseingang gibt es ein Problem, ein großer Laster kommt entgegen. Nun werden die Männer, die vor den Tavernen am Straßenrand die Zeit totschlagen, aber munter. Mit ihren Krückstöcken zeigen sie auf eine Ausweichbucht auf der linken Seite, in die wir hinein zu manövrieren haben. Als das geschafft ist, kann der Laster passieren. Wir fahren weiter und die Männer schlagen weiter die Zeit tot.

Es geht weit hinunter und man läßt das Dikti Gebirge hinter sich. Der Charakter der Landschaft ändert sich, eine weite Ebene, die landwirtschaftlich genutzt wird. Hin und wieder sieht man Gerstenfelder, die werden bereits abgeerntet. Wenn man Glück hat, ist es ein Esel, der mit Getreide- oder Heuballen beladen seines Weges zieht. Wir geraten in den Ort Pirgos, wo die weiter führende Straße nicht ausgeschildert ist. So finden wir uns plötzlich inmitten von Marktständen wieder, um die man vorsichtig herum kurven muß. Touristen sieht man hier nicht, es macht alles einen sehr ursprünglichen Eindruck. Das wir nun da mit dem Auto durch müssen, das ist wahrhaftig nicht beabsichtigt.

Wir verlassen den Ort dann auch konsequenterweise in der falschen Richtung und kommen in Charakas raus. Parallel zur Küste zieht sich hier ein lang gezogener Bergzug hin, der heißt Asterousia Gebirge. Kurz hinter Pirgos kann man eine Felsgruppe sehen, die sieht aus wie eine Miniaturausgabe der drei Zinnen in den Dolomiten. Wir müssen von Charakas aber erst mal wieder ein paar km in nördliche Richtung fahren, um die Hauptstrecke wieder zu erreichen. Diese Straße säumt eine abgeholzte Eukalyptusallee. Zwar schlagen die auf halber Höhe abgeschlagenen Stämme wieder aus, aber es tut einem in der Seele weh, wenn man sich diese Allee in ihrer vormaligen Schönheit vorstellt.

Heidi studiert eifrig die Karte, und das ist ganz gut, so verpaßt sie den Anblick von zwei überfahrenen Hühnern auf der Fahrbahn. Die Hühner laufen hier überall frei herum, wie man denn die Eier einsammele, rätselt Heidi. Es folgen die Orte Agii Deka und Mires, die haben einen Flair wie man sich den Wilden Westen vorstellt. Vorhin in Pirgos da war noch der Esel das vorherrschende Verkehrsmittel. In diesen beiden Orten hat man es schon zu kleinen Treckern in unterschiedlich technischem Zustand gebracht.

Voraus blinken nun schon die Schneefelder des Ida Gebirges. Auf einem der paar Hügel, die sich aus der Ebene erheben, liegt dann auch endlich unser Ziel, die minoische Palastanlage Festos. Auf dem Parkplatz ist kaum ein Platz zu kriegen. Wie die Spinne aus dem Netz taucht ein schwarz bebarteter Anheizer auf, der möchte einem ein Lokal in der weiteren Umgebung aufschwatzen. Den können wir noch abschütteln, aber an der Eintrittskasse zur Ausgrabungsstätte müssen wir dann doch tief in die Tasche greifen.

Nun irren wir erst mal zwischen den Gemäuern herum, die kaum kniehoch noch erhalten bzw. ausgegraben sind. Hin und wieder mußten auch Betonverstärkungen herhalten, brüchigen Partien die Stabilität zu geben. Im Gegensatz zu der Ausgrabungsstätte von Knossos südlich von Herakleion, Ende des letzen Jahrhunderts von dem Engländer Evans ausgegraben, hat man hier auf umstrittene Rekonstruktionsversuche verzichtet. Berühmt - weil auf Ansichtskarten zu sehen - ist die Freitreppe. Das soll wohl mal eine Art Zuschauertribüne gewesen sein. In einigen Ecken stehen mannshohe Amphoren. Wir fragen uns nach dem Verwendungszweck. Sie waren wohl die Vorläufer des Kühlschranks und dienten zum temperierten Aufbewahren von Lebensmitteln. Wie aber hat man die Güter aus den tiefen Gefäßen herauf befördert. So lange Arme können doch auch die Minoer nicht gehabt haben.

Eine Gruppe interessiert dreinschauender Besucher wird von einer kundigen Dame angeführt. Da schlendern wir mal eben nebenher. Wir machen das ja gern, ob in der Kathedrale von Palma de Mallorca oder in der Festung Carcassonne. Da haben wir manche erstaunliche Weisheit zu hören gekriegt. So auch hier, ich lüge nicht, wie alle Kreter, wie ein Kreter mal gesagt haben soll. Es heißt also: "Das Baumaterial der Minoer waren Steine. Die Fugen bestanden aus Lehm, nicht aus Zement." Ob man auch mehrgeschossig gebaut habe, fragt eine interessierte Dame. Ja, und darüber habe sich die Dachkonstruktion befunden. Da staunen wir aber.

Also das mit den Amphoren und den langen Armen kriegen wir sowieso nicht raus. Ein bißchen belesen sind wir aber auch. Die minoischen Bauwerke entbehren jeder militärischen Zielsetzung. Das liegt daran, daß es eine so starke Seemacht gab, daß ein Überfall auf die Insel ausgeschlossen werden konnte. Außerdem hatten das Sagen anscheinend weibliche Geschöpfe, wie aus den Darstellungen von Knossos interpretiert wird. Vielleicht hat man eine Arbeitsteilung vorgenommen, die Männer auf See geschickt und die Frauen haben sich einen schönen Tag gemacht. Aber wer hat dann die Paläste gebaut? Heute hat man auf Kreta eher den umgekehrten Eindruck, da macht sich manches männliche Geschöpf auf der jeweiligen Dorfstraße einen schönen Tag, und die Frauen häkeln?.

Fragen über Fragen, und noch 20 Minuten bis Matala. Das muß nun auch noch geschafft werden. Die Bucht von Matala ist umgeben von weichen Sandsteinfelsen, in deren gebankter Schichtung sich teils natürlich entstandene, teils künstlich angelegte Höhlen befinden. Matala war in den 60er Jahren ein weltweit bekanntes Eldorado für Hippies, Aussteiger und Blumenkinder. Diese Zeiten sind vorbei, man hat die Blumenkinder durch Verbote vertrieben, auch mit der Rauschmittelversorgung kam man wohl nicht mehr so recht nach. Heute ist diese Bucht ein gern besuchtes Ziel von Busreisenden und Mietwagenfahrern. So reiht sich dann auch ein Restaurant an das andere. Sicher sitzt man nicht schlecht bei der Aussicht auf die weißen Berge im Westen, das blaue Meer und die gelben Sandsteinbänke mit den geheimnisvollen dunklen Höhlen. Wir nehmen mit einem Felsvorsprung vorlieb, rauchen eine und lassen das alles auf uns wirken.

Hinter uns ist auch eine Höhle, wenn das Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hat, kann man einen steinernen Pfeiler erkennen, den man zum Abstützen der Decke stehen gelassen hat. Gegenüber krapseln die Figuren zwischen den Felsen umher, die haben aber Eintritt bezahlt, wie man an dem alles umgebenden Maschendrahtzaun erkennen kann. Wir wollen ja nicht immer nur lästern, aber es wurde uns berichtet, daß es in den Höhlen nicht immer gut riecht, weil mancher Besucher das tut, was er lieber woanders machen sollte.

Wir wandern über den heißen Strand zurück, kein Vergleich zu heißem Kies. Prompt werden wir von einer Touristin angesprochen, mit der wir schon auf Festos die Ehre hatten. Ob das nicht zu heiß wäre, so barfuß auf dem Sand, was eine Liege für eine Stunde wohl kosten möge? Wir wissen es auch nicht, wir sind ja aus dem Südosten. Das Mädchen im Habitus eines buddhistischen Mönchs mit kurz geschorenen Haaren und orange farbenem Sackkleid hat sich vielleicht auch um ein paar Jahre geirrt.

Wir klappen das Schiebedach unserer Nuckelpinne wieder auf und machen uns an die Rückfahrt. 140 km liegen vor uns, ob man über Herakleion fahren sollte, auf vielleicht besseren Straßen? Aber das wäre noch mal 60 km weiter. Die Landschaft auf der Herfahrt war ja auch nicht vom schlechtesten, und nun haben wir alles in der Nachmittagssonne vor uns.

Wir machen noch einen Halt in Gortys, einer weiteren Ausgrabungsstätte dorischen und römischen Ursprungs. Hier wurden die ältesten Gesetzestafeln Europas gefunden. In einem nahen Hain soll Zeus die Europa verführt haben. Woanders ist zu lesen, das sei in der Bucht von Matala passiert. Schwer nachvollziehbar. Auch in Gortys wird wieder Eintrittsgeld erhoben, man kann aber auch auf der anderen Straßenseite durch weitläufige Ausgrabungsfelder streifen, aber dazu reicht unsere Energie bei der immer noch fast senkrecht stehenden Sonne nicht mehr.

Dieser Ort scheint auch eine Wallfahrtsstätte für Rucksacktouristen zu sein, denn davon lagern eine ganze Menge am Straßenrand und warten auf den Bus nach Herakleion. In unserer Westernstadt Mires warten noch viel mehr Leute, das kann ja heiter werden.

Als wir wieder bei den überfahrenen Hühnern vorbeikommen, wissen wir, daß wir auf der richtigen Straße sind. Der Ort Pirgos beschert uns wieder eine Ehrenrunde, der Markt ist aber inzwischen vorbei. Mit der Nachmittagssonne im Rücken fahren wir wieder in die Berge. Jetzt sieht die Strecke ganz anders aus als heute morgen, aber das liegt wohl an der anderen Richtung. Wir sehen eine Ziege, der hat man einen Beutel über den Euter gestülpt, ihr Lämmchen trottet im wahrsten Sinne belämmert hinterher. An einer anderen Stelle schneidet einer Thymianbüsche, die sich sicher an Ortsunkundige gut verkaufen lassen. An den Zweigen der Kiefern sehen wir immer wieder sonderbare Tüten oder Netze hängen. Sowas hatte ich auf meiner Radtour auch schon mal gesehen. Vielleicht sind es Hummel- oder Bienennester.

Bis Ierapetra zieht es sich noch in die Länge. Vor dem Ort, wo die vielen Treibhäuser sind, wundern wir uns über die vielen Schwertransporter, die meistens quer auf der Straße manövrieren. Diesmal finden wir es heraus: von Ierapetra aus werden die Gemüseerzeugnise nach ganz Europa exportiert.

Wir sind froh, als wir wieder am Strand sind, allzuviel Erholungswert hat so ein Autotag wahrlich nicht. Der Elebniswert ist dagegen enorm.


Kapitel 5: Ag. Nikolaos, Spinalonga