Ruegen 31.3.-10.4.90

Planung

Viele Träume kann man sich jetzt erfüllen, wenn man Landschaften neu entdecken will. Wohin kann man also statt nach Spanien oder anderswo reisen? Ganz oben steht sicher der Wunsch nach einem Besuch der Insel Rügen. Da heißt es in Hinblick auf die Osterferien rechtzeitig planen. Schon im Februar werden zwei Briefe an die Kurverwaltung, Touristenbüro -oder wie immer das heißen mag- nach Saßnitz und Binz auf die Reise geschickt mit der Anfrage nach einem Privatquartier. Wochenlang kommt keine Antwort, aus Berlin erhalten wir irgendwann ein Hotelverzeichnis der gesamten DDR. Inzwischen habe ich auf eine Zeitungsannonce in der Braunschweiger Zeitung geschrieben. In der zweiten Märzhälfte kommt dann die ersehnte Zuschrift: eine Familie B. in Binz bietet uns ein Ferienquartier für fünf Personen in beheizbaren Bungalows, das hört sich sehr vielversprechend an. Noch am gleichen Tag geht die Zusage raus. Wenig später erhalten wir auch Antwort auf die Zeitungszuschrift: eine Frau Müller bietet uns ein Quartier mit Verpflegung in Groß Zicker an. Leider muß ich hier nun absagen, man kann nur auf einer Hochzeit tanzen. Wir lassen uns unsere Zusage in Binz noch gegenbestätigen, dann bleibt nur noch ein Problem, indem wir unsere beiden "Großen" davon überzeugen müssen, daß man für 10 Tage auch einmal auf Parties, Freund und Disko verzichten kann. Das gelingt mehr schlecht als recht, aber schließlich rückt der Reisetermin heran. Reiseführer, Karten, Pässe, Finanzen, Kuscheltiere, sogar das notwendige Gepäck findet dann noch Platz im Auto. Drei Fahrräder kommen aufs Dach, Blumen, Hase, Hund und Ratte (Verena hat gerade ihre Punk-Phase) sind versorgt - nun kann es losgehen.

Samstag, 31.3. Anfahrt

Verena und Annika sind gerade von ihren "Abschiedsparties" nach Hause gekommen, da stehen wir schon wieder auf. Bald nach 7 Uhr machen wir uns auf den Weg in einen Urlaub mit vielen Fragezeichen. Wir fahren über Gifhorn, Uelzen, Lüneburg, Lauenburg, wo mit dem Grenzübergang nach Boizenburg die DDR erreicht wird. Im vergangenen Sommer haben wir mit dem Fahrrad für diese Strecke über eine Woche gebraucht, heute sind es keine 3 Stunden. Die Grenzabfertigung geht schnell, wir bekommen auch unsere Stempel in die Pässe. Daß wir weder Devisen noch Importartikel einführen, glaubt man uns auch. Nur Geld können wir nirgends umtauschen. Nun beginnt das Abenteuer!

An der Grenze ist man eifrig dabei, die Sperranlagen abzubauen, teilweise stehen nur noch die Pfosten, an einer anderen Stelle baut man gerade den Maschendraht ab. Wir fahren durch Boizenburg und erinnern wir uns an unsere Radtour im vergangenen Sommer, wo wir auf der anderen Seite der Elbe den Kirchturm sehen konnten, uns aber nicht träumen ließen, daß wir ein dreiviertel Jahr später hier mit dem Auto entlang fahren könnten.

Nach Boizenburg versuchen wir uns an einer Nebenstrecke, aber mit den Rädern auf dem Dach ist die Strecke zu holprig. Ein Ortskundiger beglückt uns mit der Auskunft, daß die Straße die nächsten Kilometer in gleichem Zustand weitergeht. So fahren wir zurück auf die Hauptstraße und auf der B5 bis Ludwigslust. Hier biegen wir gewohnheitsgemäß erstmal wieder falsch ab und finden uns auf der Strecke nach Berlin. Die Straßenbeschilderung ist noch etwas ungewohnt. Auf der 106 geht es dann aber doch Richtung Schwerin. Für eine Besichtigung der durchfahrenen Orte können wir uns heute keine Zeit lassen, es liegt noch eine ganz schön lange Strecke vor uns. Weiter geht es bis Wismar. Trotz gereckter Hälse bekommen wir von der Ostsee aber noch nichts zu sehen.

In Neubukow machen wir eine kleine Pause. Während der Rest der Familie auf dem Marktplatz vor sich hinkaut, vertrete ich mir die Beine einmal um die Kirche herum. Eine Hinweistafel auf Heinrich Schliemann verweist darauf, daß dieser Ort einen großen Sohn hervorgebracht hat.

Bald ist man danach in Rostock. Hier sieht man beim Durchfahren doch ein wenig von der Stadt, einige ansprechende Neubaugebiete überraschen uns. Von Rostock nach Stralsund geht es dann schon auf die letzte Etappe.

Mit steigenden Erwartungen erreichen wir am frühen Nachmittag schließlich Stralsund. Von Stralsund sehen wir kaum etwas, stattdessen reihen wir uns in den noch erträglichen Verkehr ein und befinden uns unversehens auf dem Rügendamm, der Brücke über den Strelasund. Links hinter uns zeigt sich die Kulisse von Stralsund, beim Fahren kann ich nur kurze Blicke riskieren. Auf der Brücke haben sich viele Angler versammelt, aber wir können nicht anhalten und sind - schwups - auf Rügen. Nun müßten eigentlich die inneren Glocken läuten, man müßte eine Gänsehaut kriegen oder so etwas. Doch ganz so dramatisch geht es nicht zu, wir küssen auch nicht die Erde wie der Papst es zu tun pflegt. Doch die Sonne haben wir mitgebracht - oder war sie hier schon vor uns da? Nun fahren wir Richtung Bergen zwischen weiten Feldern, man hat nicht den Eindruck, sich auf einer Insel zu befinden. Verena meint ohnehin, daß die Insel Fehmarn schöner sei, vielleicht ist dieser Eindruck jetzt doch etwas verfrüht. Sicher ist die Verkehrsstraße nach Bergen auch nicht das schönste, was Rügen zu bieten hat. Auch Bergen zeigt sich aus dieser Perspektive nicht so reizvoll, Neubaugebiete verstellen die Sicht auf den älteren Teil des Ortes. Wir fahren ohnehin um den Ort herum. Wenig später verfahren wir uns nochmal, nur nach einigem Hin und Her entschließen wir uns für die ausgeschilderte Abzweigung nach Binz über Lubmin und Prora. Stefanie gibt den entscheidenden Tip: man muß hinten aus dem Auto gucken. Wenn man dann den Zielort auf dem Hinweisschild lesen kann, weiß man, daß man auf der falschen Strecke ist und man dreht besser um. So schaffen wir es dann doch, von Prora geht es auf schnurgerader Betonstraße schließlich nach Binz. Gemischte Gefühle, wie sieht unser Reiseziel aus? Kaum in Binz angelangt, haben wir gleich großes Glück, wir lesen "E.-Weinert-Str.", genau da müssen wir hin. Dabei hatte ich schon insgeheim so eine halbe Stunde für die Suche einkalkuliert.

Wirsteigen also nun sogleich mit staksigen Beinen aus dem Auto. Auf der Einfahrt steht ein Passat neuesten Modells, des Hausherrn Stolz. Und schon der Opa, die Oma, Frau B. erscheint - "schon gesehen, was sie erwartet". Herzlich werden wir begrüßt und in unser Quartier eingeführt. Das große Fragezeichen löst sich auf, alles prima, zwei gemütliche Zimmer, das schönere wird selbstredend den Kindern zugeschanzt. Trotz der langen Fahrt sind wir noch gut bei Kräften. Also erstmal ausladen und einrichten. Damit wir überhaupt erstmal zu Geld kommen, tauschen wir vorher "über den Küchentisch" zum Kurs von 1:3 Ostmark ein. Später sagt die Oma auf die Frage, ob ihnen der Umtausch auch nichts ausmacht: "wir tauschen Tag und Nacht".

Nun geht es erstmal ab in den Ort. An einem Pizza-Lokal kommen wir vorbei, das werden wir allerdings nie betreten, weil es immer voll ist. Gleich danach der Strand, die Ostsee in tiefem Blau, das Wasser glasklar, rechts die bewaldete Steilküste der Granitz, links rundet sich die Küste entlang der Schmalen Heide bis Saßnitz und der Stubbenkammer dahinter.

r03_1 r03_2 Am Strand von Binz

Wir sind begeistert. Natürlich habe ich vorher schon intensiv " Rügen belesen ", so finde ich, nun doch sehr beeindruckt: "So habe ich es mir vorgestellt". Entlang am weißen Sandstrand staksen wir bis vor das beeindruckende Kurhaus. Es macht alles einen sehr vornehmen Eindruck. Bei näherem Hinsehen zeigen sich wie an vielen ehemals sicher eleganten Bauten aber auch hier manche baulichen Mängel. Doch wir wissen ja bereits, welche Folgen die Vergangenheit hinterlassen hat und was in Zukunft noch zu leisten sein wird.

Jetzt gehen wir erstmal einen Kaffe trinken. Für das Kurhaus sind wir uns noch nicht fein genug, daher finden wir uns im Cafe Moewe ein. Zuerst muß man die Garderobe abgeben, mangels Kleingeld wird uns die Garderobegebühr von wenigen Pfennig gestundet. Im Cafe wird man sehr zuvorkommend bedient, das sind wir gar nicht gewohnt. Wenn man dann die Preise kalkuliert, plagt einen das Gewissen, da kommen bei Kaffee, Kuchen, Eis und Tonic Rechnungen von unter 10 M zustande, und das bei einem Kurs von eins zu drei. Immerhin kann das geplagte Familienoberhaupt dabei heute wie in den weiteren Tagen dann doch jederzeit ohne finanzielle Gewissensbisse mit fünf Personen Zeche machen.

Zu den Preisen muß sicher bemerkt werden, daß sie der Kaufkraft der Bürger aus dem eigenen Land entsprechen müssen. Für uns aus dem reichen Westen verursacht das zunächst Gewissensbisse, von diesem Preisniveau zu profitieren. Zumindest ist es überraschend, daß man gar nicht so viele "Wessis" antrifft, bei den Preisen wäre doch eine Invasion von "Billigurlaubern" kein Wunder. So sind wir in dieser Vorosterzeit noch "Early Birds".

Nach dem Cafe informieren wir uns über die Möglichkeiten, ein Abendessen einzunehmen, heute ist das Lokal Vineta angesagt, ab 17 Uhr geöffnet. Da ziehen wir nochmal weiter am Strand entlang bis zum letzten Anwesen Richtung Granitz, was sich als Buntgarnspinnerei entpuppt. Einige Fischerboote liegen am Strand, wie man das so von Kalenderbildern kentn. Auf dem Weg zurück bewundern wir die bizarren Kiefern und andere Bäume. Doch die Häuser sind in unterschiedlichem Zustand, neben gut renovierten Bauten finden sich auch recht verwahrloste Gebäude. An einem größeren Mietshaus hängen Transparente aus den Fenstern; "Wann kommt der versprochene Neubau?" Wie sieht es wohl innen aus. Da wohnen Menschen, wir aber stehen als Touristen davor und machen uns über die Unterschiede in dieser Welt Gedanken.

Schließlich landen wir im Vineta, suchen uns die Gerichte aus auf der Speisekarte, die vom Februar datiert ist. Danach sind wir gut versorgt. "Nach Hause" kann man nun schon sagen, und einigermaßen müde fallen wir heute bald in die Betten.

Mangels anderer Gelegenheiten besteht unser Nachtleben aus emsigem Getrappel - raus aus den warmen Betten - auf die Toilette quer über den Hof - zurück in das noch warme Lager - begleitet von dem Rauschen der Spülung. In der Hast knallen die Türen, das läßt sich zum Glück noch abgewöhnen. Großes Geschrei auch, wenn eine Spinne sich an die Wand oder unter den Teppich veirrt hat. Wohlgemerkt ist das nicht als Kritik gemeint, zu Hause kommt das auch fast täglich vor. Wir schlafen in der übrigen Zeit wie die Murmeltiere, sogar unsere Mama bei Vollmond. Manchmal werden die Abende auch spät, wenn Stefanie mit Mama UNO (nicht NATO) spielt. Als es herauskommt, daß Stefanie ständig in die Karten guckt, geht man gegen Ende des Urlaubs auf Patience über.

Trotz Nachtleben sind wir doch jederzeit pünktich um 9 Uhr zum Frühstück bereit. Und das lohnt sich. Diverse Brötchen, Wurst, Käse, gekochtes Ei (selbstgelegt von Hühnern, die wohlregiert von Prachtexemplar von Hahn den Verfasser vor Neid erblassen lassen). Bis auf einmal ist die Sonne jeden Tag so freundlich, uns genügend für einen Frühstückstisch im Freien warm zu halten.

Sonntag, 1.4.

Aufwachen, besagtes Frühstück und stahlblauer Himmel: Kaiserwetter. Jetzt geht es aber los. Wir erkunden Rügen. Man hat ja div. Reiseführer gelesen und weiß, wo die größten Sensationen dieser Insel zu finden sind. Sicher sind das die Kreideklippen in der Stubnitz. Wir fahren die Straße, die wir auf der Herfahrt gekommen sind, schnurgerade bis Prora. Hier schlagen die Russen die Zeit und die Landschaft tot. Ein verrosteter Lastwagen im Militärgelände gibt die Stimmung an. Auf der anderen Seite der Straße herrscht die NVA (Nationale Volks Armee), da sind neben militärischen Einrichtungen auch Erholungsheime für die Angehörigen der NVA-Mitarbeiter eingerichtet. Gutbestückte Wäscheleinen zeugen von der Emsigkeit der Anwohner. Kurz nach Prora ist mal eben eine Eisenbahnschranke geschlossen. Das ganze zieht sich über eine dreiviertel Stunde hin, ein Güterzug steht auf der Strecke und wartet auf einen D-Zug. In der DDR sind Warteschlangen ein Hort der Kommunikation, das nützen wir aus. Nach Studium der Vegetation - immerhin befinden wir uns in der Schmalen Heide - ergibt sich auch das eine oder andere Gespräch mit den Leidensgenossen. Da ist ein Taxifahrer mit einem voluminösen Skoda, Bj. 70. Da ist er ganz stolz drauf. Mein Schuh wäre offen - ach ja - 1. April. Das haben wohl auch die Bahnbeamten im Sinn. Endlich ist der D-Zug kein Aprilscherz, und wir können weiterfahren.

Wir fahren über Saßnitz, am Ende des Ortes geht es unerwartet auf einer kleinen Straße weiter in die Stubnitz, Richtung Königsstuhl, da muß man gewesen sein. Während die beiden Großen hartnäckig in ihren mitgebrachten Büchern lesen, bewundern wir die Waldanemonen, die in dem stahlenden Sonnenschein wie ein Teppich aus Sternen den Waldboden bedecken. Die Straße erinnert an Strecken in den uns bekannten Mittelgebirgen. Wir kommen an den Parkplatz Herthaburg, Ausgangspunkt für die Kurzwanderer zum Königsstuhl. Die ersten Busse aus Holstein oder Ruhrgebiet - noch sind es nur zwei - lassen auf die in Zukunft zu erwartenden Menschenmassen an dieser in Deutschland wohl einzigartigen Attraktion schließen. Doch wir sind ja "Early Birds", zwischen den Trabis stellen wir unser Auto ab und begeben uns auf den Weg zum Königsstuhl. Für die Außenseiter: das ist die größte Kreideklippe Rügens mit über 100 m Höhe, herrlichem Ausblick, in der Hautptsaison nur über Eintrittshäuschen zu betreten.

r05_1 r05_2 Am Königsstuhl

Jetzt ist es noch umsonst, wir treten ein in dieses Heiligtum. Links und rechts geht es steil hinab, von den bizarren Kreideklippen sieht man dagegen wenig, weil sie einem zu Füßen liegen. Nach dem weiten Blick über die blaue See, machen wir uns an den Abstieg hinunter an den Strand, der hier aus wohlgeformtenSteinen besteht. An dem steilen Abhang blühen Anemonen, Himmelschlüssel und Leberblümchen. Heidi hangelt sich mehrmals vorsichtig über die abschüssigen Wegstrecken, dann kommt ganz unten noch eine Leiter über den letzten Abbruch der Steilküste. Hier teilen sich die Geister. Heidi und die "Launis" (Zitat Stefanie) kehren wieder um. Wir beiden dagegen klettern die Leitern hinunter und laufen ein paar 100 m am Wasser entlang. Viele Steine liegen herum, die meisten rund geschliffen. Von unten hat man nun einen schönen Blick auf den Königsstuhl und die anderen steil aufragenden Kreideklippen.

Als wir wieder an eine Leiter kommen, riskieren wir den Aufstieg durch eine steile Schlucht. Das Wagnis wird belohnt, denn auf diesem Weg eröffnen sich einzigartige Ausblicke auf die See, Caspar David Friedrich drängt sich geradezu auf.

r06_1 r06_2 "Caspar David Friedrich"

Aufatmend erreichen wir schließlich wieder die Höhe und laufen entlang der Abbruchkante zurück. Wir kommen nochmal an einen spektakulären Aussichtspunkt: dem Victoriablick, so benannt zu Ehren der Gattin von Kaiser Wilhelm I, die weiland auch hier weilte. Man steht auf einer Holzkanzel fast senkrecht über dem Strand, hundert Meter unter einem sehen die Menschen wie die Ameisen aus.

Zurück auf dem Königsstuhl finden wir unsere Lieben sich sonnend und lesend wieder. Wir gehen hinunter zu dem Restaurant, das hat zur Zeit noch nicht geöffnet. Nach einer kurzen Rast pilgern wir noch zum nahegelegenen Herthasee. Hohe Wälle zeugen von der urzeitlichen Herthaburg. Der See liegt sehr malerisch im Wald. Den Höhepunkt bildet eine kleine Wasserschlange, die sich zum Sonnen auf einen Baumstamm begibt.

r06_3 Herthasee

Zurück fahren wir durch den Nordwestteil der Halbinsel Jasmund, die Landschaft ist wunderschön. Man sieht das Kap Arkona, der Große Jasmunder Bodden liegt vor einem. Die Orte sind recht romantisch. Über Sagard fahren wir wieder Richtung Saßnitz, am frühen Nachmittag sind wir zurück in Binz. Der schöne Sonnenschein lockt alle an den Strand. Meine Unternehmungslust ist noch nicht gestillt, ich starte per Fahrrad zum Jagdschloß Granitz. Es geht ordentlich bergauf über holpriges Pflaster, auch mancher Trabi hat sein Tun, dort hinaufzukommen. Es herrscht heute am Sonntag ein ordentlicher Betrieb, ich schaue mir das kleine Schlößchen von außen an und fahre dann an der anderen Seite den Berg wieder hinunter. Über Granitz geht es zurück nach Binz, wo die anderen inzwischen am Strand eine Bank erobert haben und die Sonne genießen.

r07_1 Jagschloß Granitz

Zu Abend essen wir in der Kurhausklause, dort ist es sehr gemütlich, und wir nehmen die folgenden Abende auch dort unser Essen ein. Die Speisekarte ist zwar hier wie überall in den staatlich geführten Lokalen dieselbe, aber es schmeckt uns gut. Daß wir aus dem Westen sind, verraten wir sofort mit der Frage, was eine "Soljanka" sei. Der Ober antwortet nur "Was, die kennen sie nicht?". Früher die Restesuppe der Russen gehört sie heute zum Standardangebot einer jeden Restauration in der DDR.

Montag, 12.4.

Wieder herrscht Superwetter, aber erstmal wollen wir das Geschäftliche erledigen. Wir versuchen, uns ordnungsgemäß anzumelden und die Kurtaxe zu entrichten. Das klappt noch nicht so ganz und wir werden auf den nächsten Tag vertröstet. Ebensowenig klappt das mit dem offiziellen Geldumtausch in der Bank. Geld kann man nur in der Bank in Bergen tauschen - das ist für mich das Stichwort. Während sich die sonnenhungrige Familie am Strand wohlsein läßt, breche ich auf, um auf Umwegen nach Bergen zu radeln. Erst längs der Strandpromenade, dann auf der nicht so reizvollen Straße nach Prora. Nun mache ich mich auf die Suche nach der Steinheide, einem bekannten Naturschutzgebiet. Hinter dem vom Vortag bekannten Bahnübergang biege ich auf einem sandigen Weg links in den Wald. Zum Glück sind dort Hinweisschilder angebracht, sonst würde man wohl schwer den Weg finden. Vor einem Wildgatter endet der Fahrweg, ein paar gehörnte Waldtiere beäugen mich neugierig. Am Gatterzaun entlang führt ein Trampelpfad direkt in die Steinheide. Von einem Aussichtspunkt hat man einen schönen Blick über diese sonderbare Landschaft. Buschgruppen stehen zwischen Geröllfeldern aus Feuerstein. Die Geröllschicht soll mehrere Meter dick sein. Das Wildgatter teilt die Steinheide, man will damit bezwecken, daß die Vegetation die Geröllfelder nicht überwuchert, sondern vom Wild abgeäst wird.

r09_1 r08_1 r08_2 Die Steinheide

Weiter geht es Richtung Lietzow enlang der Eisenbahn, links schimmert er kleine Jasmunder Bodden im Sonnenlicht. Wenn nicht gerade ein Zug durchfährt, herrscht eine himmlische Ruhe, nur die Seevögel machen ihr Geschrei, aber das gehört hierher. Eine armlange Schlange - wohl eine Ringelnatter - kreuzt den Weg und verschwindet im Gras. Es ist sommerlich warm - wie im Paradies.

r09_2 r00_1 Am kleinen Jasmunder Bodden

(Um den 20. April, keine vier Wochen später, wird im Fernsehen gezeigt, wie genau an dieser Stelle die Ueberreste eines großen Fischsterbens in Güterwaggons abtransportiert werden. Ursache: wegen jahrelang eingeleiteter ungeklärter Abwässer aus der Stadt Bergen und anderen Orten in den kleinen Jasmunder Bodden ist es zu einer schlagartigen Vermehrung von Algen gekommen, die ein auf Fische tödlich wirkendes Nervengift erzeugen.)

r27_2 Blühede Pestwurz

Der Weg wird immer schmaler, schiebend gelange ich aber doch nach Lietzow. Rechterhand liegt der große Jasmunder Bodden. Auf der Hauptstraße fahre ich durch die schwarzen Berge bis Prisvitz, wo ich mich wieder einer Nebenstrecke anvertraue. Rechtshaltend erreiche ich schließlich eine Anhöhe mit dem Ernst Moritz Arndt Turm. Das ist auch eines der Wahrzeichen Rügens, mein Besuch dort oben ist eher zufällig, weil ich von dessen Existenz gar nichts wußte. Ich klettere ein paar Meter zu dem Turm hinauf, die Eingangstür ist sogar offen. Ein Handwerker informiert mich aber, daß eine Turmbesteigung zur Zeit wegen Schlosserarbeiten noch nicht möglich ist.

r09_3 Ernst Moritz Arndt Turm

Ich fahre hinunter nach Bergen, kurz vor 14 Uhr bin ich da und mache vor der Bank auf einer Bank die wohlverdiente Rast. Nur mit dem Geldumtausch klappt es wieder nicht, denn ich habe den Reisepaß nicht mitgenommen. Das macht aber nichts, sogleich mache ich mich wieder auf den Weg. Ich fahre nach Putbus, einem Ort, der von einem Fürst Malte als Residenz ausersehen und erbaut wurde. Spektakulär ist der "Circus", ein kreisrunder Platz umstanden von klassizistischen Bauten. Die waren sicher auch schon mal weißer. Daran anschließend befindet sich ein verwilderter Park mit vielen exotischen Baumarten. Leider haben aber viele Bäume bereits das Zeitliche gesegnet, sind umgestürzt oder gefällt. Vom Südende des Parks ist man nach 2 km in Lauterbach, einem kleinen Fischerort am Rügischen Bodden. Ganz nahe liegt die Insel Vilm, wo laut DDR-Reiseführer Seeadler und andere sonderbare Vögel hausen. Für die ßonderbaren Vögel" ist aber die Nistzeit nunmehr abgelaufen.

r10_1 r10_2 Putbus r10_3 Lauterbach

Jetzt geht es nach Vilmnitz, hier sind viele strohbedeckte Katen entlang der Straße. Eine schöne Allee führt zurück Richtung Binz, am Wege liegen viele kleine Hügel, die Hünengräber beherbergen.

r13_4 Hünengrab

Gegen 16 Uhr bin ich zurück in Binz, einigermaßen durchgeschüttelt von den zumeist nicht sehr bequemen Wegen.

Beim Abendessen in der Kurhausklause sitzen zwei Westberliner am Tisch, die nicht müde werden, sich über die Zustände in der DDR aufzuregen: keine Anlegeplätze usw. Wir halten uns da raus. Der eine von den beiden betreibt tagsüber um die Ecke einen Verkaufsstand, wo zu saftigen Preisen Westwaren verkauft werden. Nach dem Essen machen wir einen schönen Spaziergang über den Kirchberg, durch ein Gartenviertel und hinab zum Schmachter See. Ein paar Leute kommen von einer Versammlung. Mit einem unterhalten wir uns kurz. Man versucht in Eigeninitiative eine private Quartiervermittlung aufzubauen. Begleitet von zahlreichen Fledermäusen gehen wir den schönen Weg am See entlang zurück in unser Quartier.

Dienstag, 3.4.

Das Wetter hat sich verschlechtert, noch ist es aber sonnig. Zuerst erledigen wir die Sache mit der Kurtaxe. Heute klappt es, wir sind die dritte Familie in diesem Jahr, die sich anmeldet. Anschließend begeben wir uns auf eine Wanderung nach Sellin. Dorthin führt ein schöner Wanderweg durch das Waldgebiet der Granitz. Oberhalb des Steilufers hat man oft einen schönen Blick auf die Ostsee. Die Arbeit des Meeres kann man gut studieren, Erdrutsche und hinabgestürzte Bäume zeugen vom steten Nagen des Wassers an der Küste. Der Weg führt ständig rauf und runter. Das setzt nicht alle in Entzücken. Mehrmals werde ich gefragt, wie weit es noch ist, ich sage jedesmal: "20 Minuten", was schließlich auch stimmt. Von einer anderen Familie erfahren wir unterwegs, daß der "Rasende Roland", die Kleinbahn von Göhren über Binz nach Putbus, gegen 17 Uhr in Sellin abfährt. Noch ist uns nicht klar, wie wir die Stunden bis dahin rumbringen sollen.

Angekommen in Sellin, trübt sich das Wetter ein und es beginnt leicht zu regnen. Wir bemühen uns erstmal um eine Eßmöglichkeit, leider sind aber alle Gaststätten geschlossen. Nur an einem Imbißstand bekommen wir ein paar Würstchen. In Sellin herrscht rege Bautätigkeit, an der Hauptstraße werden mindestens zwei oder drei Pensionen und Ferienheime für den Besucheransturm gerüstet. Die Straße führt direkt zum Meer und endet dort. Der Strand hier ist nicht so schön wie in Binz. Wir zockeln zurück durch den ganzen Ort zum Bahnhof. Eine beleibte und sehr freundliche Frau klärt über die Verkehrsverbindungen auf. Eine Möglichkeit besteht darin, mit dem Bus nach Göhren zu fahren, dort ist ein Heimatmuseum, was uns die Zeit verkürzen könnte. An der Bushaltestelle ist aber zu lesen, daß der Bus nach Göhren nur feiertags fährt. Erstmal setzen wir uns auf die Bank, die Stimmung ist nun auf dem Nullpunkt.

Zum Glück hat Heidi auf dem Hinweg aufgepaßt, um die Ecke befindet sich das Cafe "Frohsinn". Dort fallen wir ein, es ist angenehm warm und wir bekommen Kaffee und Kuchen. Zuvor erkunde ich nochmal die Busverbindung, an einem Kiosk erfahre ich, daß der Bus doch fährt. Die Tafel mit dem Fahrplan ist allerdings an dem Mast hinunter in die Gosse gerutscht und läßt sich nur auf unbequeme Weise lesen. Kurz vor 15 Uhr steigen wir ein Richtung Göhren. Wenig später mitten in einem Wald heißt es "nach Göhren umsteigen". So habe ich genügend Gelegenheit, einer älteren Frau beim Aus- und Einsteigen zu helfen, wofür sie mir fast um den Hals fällt, vielleicht auch unfreiwillig.

In Göhren regnet es inzwischen recht stark, kurz vor einer größeren Jugendgruppe flüchten wir uns in das Museum. Hier ist die Kultur des Mönchguts dokumentiert. Das Mönchgut ist die Südostspitze von Rügen, früher gesichert durch den Mönchgraben zwischen Sellin und Baabe. Durch die Abgeschiedenheit dieses Landstrichs hat sich die Kultur bis in jüngste Zeit ungestört erhalten, inzwischen hat aber auch der Tourismus seinen Einzug gehalten. Zwei Museumsführer bemühen sich redlich, der albernden Schulklasse die historischen Hintergründe nahezubringen. Wir schlängeln uns dieweil wieder hinaus. Vor dem Regen flüchten wir nun in einen Laden und kaufen zum Heben der Stimmung Kekse und Baumkuchen. Nebenan liegt die Kirche mit einem Grabhügel daneben, bei dem Wetter kümmern wir uns leider nicht näher darum. Wir trotten stattdessen zum Bahnhof, wo noch eine dreiviertel Stunde Zeit bleibt. Diese sitzen wir leicht frierend ab. Endlich erscheint der Rasende Roland, schnaufend und qualmend läuft er in den Bahnhof ein. Wir gucken uns die altertümliche Lokomotive an, da läßt diese ein so durchdringendes Zischen vernehmen, daß es Stefanie fast aus den Schuhen fegt. Heizer und Lokomotivführer lachen sich eins. Die Lokomotive wird an das andere Ende umrangiert, dann geht es endlich los. Wir sind froh, uns wieder aufwärmen zu können, nach einer halben Stunde sind wir wieder in Binz. Abends schmeckt uns das Essen wieder gut, wir haben sogar Glück, daß wir die letzten zwei Rumpsteaks ergattern.

r12_1 Bahnhof Göhren r12_2 Der rasende Roland

Mittwoch, 4.4.

Das Wetter ist noch nicht wesentlich besser, so fahren wir mit dem Auto los nach Bergen, um nun endlich den offiziellen Geldumtausch zu erledigen. Am Schalter werden alle Personalien in einen Computer Marke Robotron eingegeben, man macht es sich nicht leicht. Weiter interessiert uns Bergen heute nicht, wir fahren über eine Nebenstrecke über Sehlen weiter nach Garz. Von Garz nach Putbus soll eine der schönsten Alleen Rügens führen. Das mag stimmen, noch sind die Alleebäume aber nicht belaubt, sodaß der sicher eigenartige Tunneleffekt noch nicht so spürbar ist. In Putbus gucken wir uns nochmal den Park an. Vorbei an der Orangerie, der Kirche im Park und den Lustterrassen am Parksee, wo früher das Schloß von Graf Malte gestanden hat, gelangen wir an ein Wildgehege. Rot- und Damwild beäugt neugierig die Besucher und wartet auf ein freßbares Trinkgeld. Putbus hat einen großen rechteckigen Marktplatz, auch umstanden von Bauten im klassischen Stil. Wenn man das alles auf Vordermann brigt, ist das wie eine Puppenstube. Eine Bäckerei wird noch überfallen, dann marschieren wir zurück zu besagtem Circus, wo das Auto abgestellt ist.

Nochmal geht es nach Lauterbach. Heute erleben wir dort etwas Interessantes. Die Fischer sind fleißig dabei, ihren Fang zu verarbeiten. Es sind Buden aufgestellt, in denen die Fischer die Heringe aus den Netzen entwirrren und in Eis verpacken. Das ergibt ein malerisches Bild. Wir kommen uns als faule Touristen mit Fotoapparat und neugierigen Fragen etwas komisch vor. Beim Fotografieren sagt der eine "da kommen wir wohl in der Bild-Zeitung". Leider nicht, obwohl das Blatt allerorts überaus beliebt ist. Die Leute sind freundlich und erzählen uns ein wenig über ihre Arbeit. Als Andenken begleiten uns auf dem Rückweg diverse Heringsschuppen, die an den Schuhsohlen hängengeblieben sind.

r13_1 r13_2 r13_3 Fischer in Lauterbach

Am Nachmittag wird gefaulenzt, nur zum Kaffeetrinken im Kurhaus raffen wir uns auf. Dafür setzt sich am Abend in der Kurhausklause ein einsamer Gast an unseren Tisch. Bald sind wir in ein interessantes Gespräch vertieft, über Politik, Vergangenheit und Zukunft. Unser Tischgenosse ist ein Physiker aus Berlin, der hier an einer Tagung teilnimmt. Die Adressen werden ausgetauscht und wir hoffen auf weitere Kontakte. Unversehens ist es 22 Uhr geworden, als die Stühle auf den Tisch gestellt werden, müssen wir uns auf den Heimweg machen.

Donnerstag, 5.4.

Im Gegensatz zum Rest der Familie bin ich morgens zufrieden, wenn kein Strandwetter ist. Da kann man eher eine Unternehmung in Gang setzen. Schon am Vortag hatten wir uns nach einer Zugverbindung nach Stralsund erkundigt. Das ist also heute angesagt. Allerdings sind wir gewarnt worden, das soll nicht so zügig vor sich gehen. So ist es dann auch, in Bergen steht der Zug wohl über eine halbe Stunde tatenlos herum, aber wir haben es ja nicht eilig. In einem heftigen Hagelschauer fahren wir endlich über den Rügendamm und steigen in Stralsund aus. Im Bahnhof ist ein überdimensionales Panoramabild der Insel Rügen zu bewundern. Typisches Aprilwetter, nach dem Hagel wandeln wir nun bei strahlendem Sonnenschein auf dem Triebseer Damm Richtung Marienkirche. Die sieht eher wie eine Burg als wie eine Kirche aus, mächtige Türme und Kirchenschiffe, alles in Backstein. Bevor wir die Marienkirche erreichen, sehen wir, wie ein Ehepaar, augestattet mit dem Schlüssel, in der Kirche verschwindet. Also schnell im Dauerlauf hinterher, inzwischen ist schon wieder von innen verriegelt. Zum Glück waren wir noch schnell genug, unser Klopfen wird noch vernommen und wir dürfen mit hinein. Nur mitnehmen dürften wir nichts, dafür haben sich die anderen Herrschaften durch Hinterlegen des Reisepasses beim Abholen des Schlüssels verbürgt. So lassen wir Altar, Taufbecken, die herrliche Orgel und die Grabplatten an Ort und Stelle. Am beeindruckendsten ist der Blick nach oben, die Decke kann man fast nur mit dem Fernglas betrachten. Einige alte Fresken sind wohl erst bei Restaurationsarbeiten freigelegt worden. An anderen Stellen entdeckt man aber auch grün bemoostes Mauerwerk, wo Feuchtigkeit eindringen kann. Viel Arbeit und Geld wird noch aufzuwenden sein, um das alles in den Zustand zu versetzen, der diesem und anderen Baudenkmälern zusteht.

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Nach dem Besuch der Marienkirche geht es über den Leninplatz, hier ist zur Zeit ein Rummel aufgebaut. Apollonien- und Ossenreyer Str. sind Fußgängerzone, hier ist ein ordentliches Menschengewimmel. Nur die Grundfarbe ist grau, die Gebäude und Geschäftsauslagen sind wenig farbenfroh. Wir kommen an einem Lokal vorbei "Gastmahl des Meeres". Eine Warteschlange im Vorraum läßt uns aber weiterziehen. Später lese ich im Reiseführer, daß das hier eines der besten Lokale an der ganzen Ostseeküste sein soll. Das sieht man ihm nicht an, es sieht eher aus wie ein ganz normales Imbißrestaurant. Wenig später sind wir auf dem Alten Markt mit dem Rathaus, das stark an das Lübecker Rathaus erinnert. Während Stefanie und ich ein wenig herumwuseln, haben die anderen den Ratskeller entdeckt und gehen schon mal vor. Wir beiden machen dafür dann einen unfreiwilligen Ausflug in die "Katakomben" des Rathauses, indem wir die falsche Zugangstreppe wählen. Zwischen Toiletten, Heizungskeller und Küche irren wir erfolglos herum, finden dann aber endlich doch den richtigen Einstieg. Garderobe abgeben, das kennen wir ja nun schon. Der Rathauskeller macht einen historischen Eindruck, schöne Gewölbe und so. In alten Zeiten Treffpunkt der Patrizier und wohlhabenden Geschäftsmännern der Hanse, heute eine HO-Gaststätte. In der Speisekarte ist eine kurze Abhandlung darüber zu lesen, daß heute jeder Werktätige usw. gern gesehener Gast ist.

Erwartungsvoll bestellen wir unser Essen, ich wähle ein Heilbuttgericht nach Tagesangebot. Weiteres wollen wir nicht berichten, vielleicht profitiert eines Tages auch die Küche des Stralsunder Ratskellers von der "Wende".

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Wieder an der frischen Luft verlaufen wir uns in den Hof des Johannis Klosters. Die zugehörige Kirche ist als Ruine Mahnmal für die Zerstörung im Jahre 1945. In den umgebenden Straßen beißen sich die Gegensätze, neben gut instandgesetzten Häusern mit gepflegten Fassaden findet man abbruchreife Hinterhofszenerien. Wir suchen nun das berühmte Meeresmuseum im Katharinenkloster auf. Hier muß man sich schon Stunden Zeit nehmen, vieles Wissenswerte über das Leben in den Meeren und Ozeanen, über Fischfang, Aquarien- und Korallenwunder gibt es zu bestaunen. Auch über die sagenumwobenen Meeresungeheuer hat man sich Gedanken gemacht, doch das Rätsel von Loch Ness wird auch nicht gelöst. Ein bißchen Illusion bleibt noch übrig.

Museum macht müde, ein Kaffee wäre nicht schlecht. Längeres Suchen bleibt einem aber nicht erspart. Völlig zwecklos ist es, etwa in der Frankenstraße nach einem Lokal zu suchen, hier sind zum großen Teil die Erdgeschosse der Häuser zugemauert. Da ist nicht mehr viel zu retten, obwohl das Straßenbild erhaltenswert wäre. Wir kommen wieder direkt auf den Leninplatz, wo inzwischen der Rummel in Gang gekommen ist. Aufatmend betreten wir ein Kellerlokal, da werden wir sehr nett bedient und genießen Kaffee und Kuchen. Anschließend geht es über den Rummel. Stefanie will mich zu einer Schießbude überreden. Um mich nicht zu blamieren, rede ich mich mit Wehrdienstverweigerung heraus. Stattdessen gibt es ein paar Lose, bei denen Stefanie ein Paar Boxhandschuhe in Daumennagelgröße gewinnt. Da ist sie ganz stolz.

Es wird Zeit, wieder Richtung Bahnhof zu wandern, durch das Kütertor marschieren wir auf der Küterbastion über den Knieperteich. (Alle diese Namen entnehme ich beim Schreiben nachträglich dem Reiseführer). Aber wir waren da, haben Stralsund gesehen, und sind beeindruckt, daß das überhaupt möglich geworden ist. Hin und wieder ist vielleicht immer noch der Gedanke angebracht, daß man ein Jahr zuvor noch nicht davon träumen konnte.

Ganz profan kehren wir auf dem Weg zum Bahnhof aber noch in einem "Kaufhaus der Jugend" ein, um die nötigen Kekse für die Rückfahrt einzukaufen. - Dieser Konsumterror der Wessis!" - Auf der Straße zum Bahnhof wandern wir durch Straßen mit Bürgerhäusern der Jahrhundertwende, hier kann man leben, vielleicht besser, als in den Trabantenstädten.

Die Rückfahhrt mit der Bahn verläuft reibungslos, die Aprilsonne bei glasklarer Luft beleuchtet die Landschaft malerisch. Zurück in Binz wird das Abendessen nur provisorisch gestaltet - die Kurhausklause hat heute Ruhetag. Die einen machen per Boiler Suppendosen warm und essen dann auch noch daraus, der andere begnügt sich mit einem Wurstende.

Freitag, 6.4.

Mangels Interesse der Restbagage machen sich mal zur Abwechslung Heidi und ich allein auf einen Spaziergang. Die Sonne meint es sogar gut mit uns. Den Schmachter See haben wir noch gar nicht erkundet, und der liegt nur wenige hundert Meter von unserem Quartier entfernt. Vielleicht kann man diesen ja umrunden. Ob das möglich ist, wissen nicht mal die Einheimischen. Dieser Spaziergang wird am Ende in eine vierstündigen Wanderung ausarten, zudem gewürzt mit dem Kennenlernen von neuen Menschen, aber das ist erstmal noch nicht abzusehen. Wir wandeln zunächst ganz gemütlich am Seeufer entlang, Sumpfdotterblumen blühen, Wasservögel lagern auf der blauen Wasserfläche. Ein Trampelpfad am Seeufer entlang könnte gar nicht schöner sein.

Doch wie es Trampelpfaden so eigen ist, enden sie irgendwo in der Botanik, auch hier ist das wieder ganz besonders der Fall. Wieder rettet uns der rasende Roland, zumindest durch dessen Gleisführung inmitten der Natur, auf der sich trefflich wandern läßt. Während ich mir Gedanken über den Rückweg mache, marschiert Heidi munter drauf los, was sonst gar nicht ihre Art ist. Vielleicht ist der Storch am Himmel schuld - ist es überhaupt einer - man muß schon genau beobachten. Zu dieser Jahreszeit ist es zwar unwahrscheinlich, daß der Adebar schon wieder sein Sommerquartier aufsucht. Aber alles stimmt, schwarz weiße Schwingen, die Beine hinten raus, langer Hals, alles was ein Storch so an sich hat.

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Unser See, den wir umwandern wollen, verläßt uns rechterhand und geht in Verlandungsgebiet, d.h. Sumpfgelände über. Wir kommen an ein Haus im Grünen, kein Mensch ist jedoch zu sehen. Auf einer Weide grasen Schafe. Wir müssen zurück auf die Bahnstrecke, weil Heidi vor einem Schafbock doch wieder allzuviel Respekt entwickelt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf den Bahnschwellen bis zur Hauptstraße Sellin - Bergen weiter zu hoppeln. Mit dem Fotoapparat im Rucksack hofft man natürlich auf das Eintreffen des Rasenden Rolands, der hier in der Pur-Natur mit seiner Dampfkulisse ein vortreffliches Motiv abgeben würde. Endlich ein Tuten. Mehrere Minuten warte ich mit gezückter Kamera auf die Rauchfahne, aber dann kommt von hinten eine viel weniger malerische Draisine, in Gelb gehalten, da packe ich den Fotoapparat zähneknirschend wieder ein. Bald packe ich ihn aber wieder aus, trotz der langweiligen Straße bietet die kleine Ortschaft Pantow mit zwei strohbedeckten Katen einen reizvollen Anblick.

r18_2 Pantow

Ungewiß, wie der Weg weiter gehen könnte, so kommen wir an einen Waldrand, da ist ein Parkplatz, ein russisches Tankfahrzeug parkt dort. Immerhin zweigt hier wieder ein Trampelpfad ab. Ein paar Häuser Richtung See haben wir auch schon vorher ausgemacht, da muß ja ein Weg hinführen. Das klappt auch, wir kommen auf einen Fahrweg und marschieren nun straks auf die besagten Häuser zu. Hier sind sogar Menschen anzutreffen, ein Auto vor einer der strohbedeckten Katen läßt uns darauf hoffen, wenigstens über den Weiterverlauf des Weges Auskunft zu erlangen. Wir kommen mit einem Ehepaar ins Gespräch, das eines der Häuser hier als Ferienhaus eingerichtet hat. Bald sind wir wieder in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Schließlich werden wir eingeladen, uns das Haus von innen anzusehen. Es gibt eine Reihe von gut ausgestattenten Räumen, sodaß eine größere Familie gut unterkommen kann. Wir werden sogar ermuntert, uns einmal zu einem Urlaub anzumelden. Auf Stühlen in der Sonne sitzend setzen wir den Schnack noch ein wenig fort, dann werden die Adressen ausgetauscht und wir ziehen weiter. Noch eine dreiviertel Stunde marschieren wir durch den Wald, bis wir wieder in Binz eintreffen.

Für den Abend haben wir uns eine Belohnung verdient. Auf Empfehlung von B.s fahren wir nach Saßnitz, wo wir nach einigem Suchen das Fischrestaurant am Hafen finden. Die Bewirtung und das Essen sind hier vorbildlich. Der anschließene Gang durch einige Hintergassen von Saßnitz ist weniger erbauend. Grau und teilweise in trostlosem Zusatand sind viele Häuser, die fast alle aus der Vorkriegszeit stammen.

Samstag, 7.4.

Das zunächst schöne Wetter lockt uns an den Strand. Stefanie und ich nehmen derweil die noch ausstehende Erkundung Richtung Norden am Strand entlang in Angriff. Links zieht sich die mit Kiefern bestandene Schmale Heide entlang. Etwa in Höhe von Prora beginnt ein Sperrgebiet, der Strand endet an einem Zaun. Gleich hinter den Dünen befinden sich hier die Erholungsheime der NVA, entsprechend kasernenmäßig sieht es dort aus. Die Heime ziehen sich in einem einzigen Trakt wohl fast einen Kilometer hin. Sie stammen auch noch aus der Vorkriegszeit im Zuge der KdF Aktionen. Sie sind gut durchnumeriert, sodaß ein jeder sich zurechtfinden kann.

Wenig begeistert von dieser Örtlichkeit machen wir uns auf den Rückweg. Das Wetter wird wieder schlechter, so verziehen wir uns bald in unser Quartier und erledigen die Schreibarbeiten. Am Nachmittag erst werden wir wieder aktiv. Geplant ist ein Besuch der "Zeitungsannonce", nämlich von Frau Müller in Gr. Zicker. Anschließend wollen wir im Cliff-Hotel in Sellin speisen. Zunächst absolvieren wir den offiziellen Besuch des Jagdschloß Granitz, mit Besteigung des Turmes (ohne Heidi). Im Turm führt eine eigenartig verzierte Wendeltreppe an der Innewand des Turmes wie ein einem Schneckengang hinauf. Die Aussicht ist beeindruckend, gerade fährt der Rasende Roland mit gewaltiger Rauchfahne in den Bahnhof Binz ein. Im Norden sieht man Kap Arkona. Nach Süden öffnet sich ein schöner Blick auf die Insel Vilm und das Mönchgut.

r19_1 r20_2 r20_3 Blicke vom Turm

In Sellin suchen wir zuerst das Cafe Frohsinn auf, aber heute ist es zu voll. Ein anderes gemütliches Cafe in der Hauptstraße dient als Ersatz. Trotz des heftigen Windes gehen wir anschließend noch einmal an den Strand. Wenn man über ein paar Steine und um ein paar Ecken klettert, erreicht man eine Steilküste, die sich fast nur aus Sand aufbaut und der Abtragung besonders ausgesetzt ist. Überall rieselt der Sand nach unten. Die oberhalb angelegten Bauwerke werden die Ewigkeit hier nicht erleben.

Dann geht es erstmal zum Cliff Hotel, alle sind neugierig. Dieses Etablissement war bis vor einigen besagten Monaten hermetisch abgeriegelt und nur ZK-Mitgliedern und anderen Priveligierten zugänglich. Jetzt ist es für die Öffentlichkeit geöffnet. Diese \ffentlichkeit präsentiert sich vorwiegend durch Autos der oberen Preisklasse mit westdeutschem Kennzeichen, die direkt vor dem Hoteleingang geparkt sind, genau wie es vor dem "Maritim" in Braunlage und sonstwo aussieht. Trotzdem gehen wir hinein und schauen uns mal um, um später zielgerichtet auf das Speiselokal zusteuern zu können. Die Frage, ob man am Abend hier essen könne, wird positiv beantwortet, so können wir uns beruhigt erstmal an die weitere Inselerkundung machen. Ueber Baabe fahren wir nach Süden. Nun wo man darauf achtet, kann man auch die Reste des Mönchgrabens zwischen Sellin und Baabe erkennen. An der Straße sind viele Campingplätze und Ferieneinrichtungen zu sehen, im Sommer ist es hier sicher weniger beschaulich.

Auf einer Nebenstraße biegen wir schließlich ab nach Gr. Zicker. Dieser Teil der Insel ist gar nicht so flach, ein kahler Höhenrücken von über 60 m Höhe erhebt sich neben dem Ort. Gr. Zicker ist wieder sehr malerisch und gepflegt. Erst das letzte Haus ist das von uns gesuchte. Statt zu klingeln nähere ich mich einem bellenden Neufundländer. Das Schild "Bissiger Hund" hat schon an der Pforte den Rest der Familie zu geduldigem Warten veranlaßt. So muß ich den Dompteur spielen, schließlich ist der Hund ganz freundlich und die Frau Müller kommt auch heraus. Sie ist natürlich etwas enttäuscht, daß wir seinerzeit abgesagt haben. Jetzt steht ein Auto aus Salzgitter vor dem Haus. Es geht alles nicht von heute auf morgen, aber über Mangel an Gästen wird sich hier bald niemand mehr beklagen. Die Landschaft ringsumher ist ganz herrlich und total abgeschieden. Zum Dämpfen der Stimmung läßt sich das berüchtigte Atomkraftwerk Greifswald-Lubmin jenseits des Greifswalder Boddens gut ausmachen.

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Wir verabschieden uns, fahren noch ganz hinunter über Thießow bis nach Kl. Zicker. Hier ist Rügen und - so kommt es einem vor - auch die Welt zuende. Nun aber ab zum Cliff Hotel, der Hunger ist schon groß. Dort wird uns nun aber von einem lackierten Kellner Bescheid gegeben, daß alles vorbestellt sei. In einer Kellerbar könne man auch essen. Nochmals zockeln wir quer durch die Hotelhallen, wie jedesmal an der Rezeption vorbei, wo man schon auf uns aufmerksam wird. Vorbei an einem Hallenbad mit einem Badenden und zwei Bademeistern finden wir endlich das Kellerlokal. Dort stehen aber nur kleine Häppchen auf der Speisekarte - nichts für unseren Hunger. So trinken wir kurz ein Wasser, Tonic oder O-Saft und machen uns wieder auf die Socken. Nochmal an der Rezeption vorbei, dann sind wir wieder draußen und das ganze ZK mit seinen Nobelherbergen kann uns mal. Zum Ueberfluß lege ich mich beim Zurücksetzen auf dem Parkplatz noch mit einem unauffällig plazierten Fahrradständer an. Es entstehen zum Glück keine bleibenden Schäden.

Zurück in Binz geht es wieder in die Kurhausklause. Mit dem Platz gibt es heute Probleme, der Eingang ist mit einer Kette zugehängt. Irgendwie hintenherum kommen wir aber doch hinein und finden einen Tisch. Später klagt uns die Kellnerin ihr Leid. Da man total unterbesetzt sei, hängt man einfach eine Kette vor die Tür, wenn es einem zuviel wird. Wir sind jedenfalls froh, daß wir endlich was zu essen bekommen.

Sonntag, 8.4.

Aprilwetter, nachts hat es gefroren, jetzt wechseln sich Sonne und Hagelschauer ab. Wir müssen noch tanken, das wird in Saßnitz erledigt. Danach wollen wir uns Kap Arkona anschauen.

r22_1 Schloß Spyker

Kurzer Halt bei Schloß Spyker, dann fahren wir in den Sonnenschein und erreichen nach dem Ort Glowe die Schaabe, einer schmalen Landzunge hinüber nach Witow, dem Norddteil Rügens. Ein kurzer Gang zum Strand zwischen dem Kieferngehölz gibt uns einen Eindruck von diesem Landschaftsteil. Kap Arkona liegt schon ganz nah vor uns. Ueber leider sterbende Alleen sind wir bald in Putgarten und fahren eine kleine Straße rechts ab nach Vitt. Das soll ein malerischer Fischerort sein, aber die Wirklichkeit übertrifft diesmal unsere Erwartungen. Wie vergessen aus den Zeiten von Asterix ducken sich ein paar strohgedeckte Häuser in eine kleine Senke zwischen umgebenden Hügeln. An der See unten hat man einen schönen Blick auf das Kap.

r23_1 r23_2 r23_3 In Vitt

Die Anhöhen und das Steilufer sind mit Sanddornbüschen bewachsen. Ein reizvoller Weg führt von Vitt oberhalb der Steilküste schließlich zum Kap Arkona. Die Sicht ist so klar, daß wir ein oder zwei dänische Inseln erahnen können. In dem verlassenen älteren Leuchtturm fliegen die Dohlen ein und aus. Der ältere Leuchtturm soll von Schinkel erbaut sein.

r24_1 Kap Arkona

Die Rückfahrt verlegen wir auf die Westseite von Rügen über Wiek zur Wittower Fähre. Hier ist die Landschaft sehr flach und weniger reizvoll. Enttäuschend sind einige kilometerlang abgeholzte ehemalige Alleen. An der Fähre müssen wir eine Weile warten, wie wird das erst in der Hauptsaison sein. Es gibt ein paar schöne Gärten und ein Schild: "Vorsicht vor dem bißchen Hund". Beim Auffahren auf die Fähre mache ich mich unbeliebt, weil ich dem Einweisenden nicht richtig Folge leiste und nicht weit genug rechts ranfahre. So paßt nur ein Auto weniger auf die Ladefläche. Älles bringen Sie uns noch bei, die wissen ja auch alles besser..." oder sowas kriege ich zu hören. Na, das tut mir leid. Obendrein verpasse ich fast die Runterfahrt von der Fähre auch noch, weil ich noch mal unter der Stoßstange nach Spuren vom Fahrradständer beim Cliff Hotel gesucht habe. So kann ich gerade noch schnell ins Auto springen und dem Vordermann nacheilen, da steht der Rest der Familie schon am Ufer und lacht sich kaputt. Gar nicht so leicht ist das mit der ständigen Verantwortung.

r24_2 Wittower Fähre

Bald sind wir dann wieder zurück und machen Siesta. Am frühen Nachmittag gehen wir zum Essen um die Ecke in ein am Vortag neu eröffnetes Restaurant. Endlich mal nicht die Einheits-Speisekarte, sondern sogar Chinesisches. Allerdings ist es auch merklich teurer. Von der Qualität des Essens sind wir nicht begeistert, für den Anfang sollte man sich wohl mehr anstrengen. Unser Urteil wird uns später von B.s bestätigt, obwohl sie mit dem Inhaber befreundet sind. Abschließend noch ein Besuch im Cafe Möwe, so klingt dieser vorletzte Tag auf Rügen aus.

Montag, 9.4.

Die Sonne scheint zuguterletzt wieder, allerdings ist es so empfindlich kalt, daß man sich kaum auf eine Bank setzen kann. Heidi muß ohnehin zum Friseur, wo sie Ihre Dauerwelle noch preiswert auffrischen lassen kann. Wir anderen schlendern herum, ein paar Photos werden noch gemacht, die Luft ist glasklar. Nur in einer Straße ist das anders, dort qualmt und stinkt ein brennender Müllbehälter vor sich hin und hüllt die Umgebung in braune Schwaden ein. Bis zum Abend ändert sich daran nichts, es fühlt sich offenbar keiner verantwortlich für derartige -vergleichsweise geringe- Mißstände.

r25_1 Zentrum in Binz r25_2 Fenstervielfalt

Am Nachmittag gehe ich mit Stefanie noch einmal zum Schmachter See, um die Aussicht zu genießen. Auf der steten Suche nach einer "A;bkürzung" geraten wir heute auf ein Privatgelände, wo ein Pensionär sein Segelboot für die Saison klarmacht. Da wird auch wieder ein längerer Plausch draus, sodaß Stefanie von einem Fuß auf den anderen tritt. Bis Holland will unser Segler in diesem Sommer schippern, jetzt wo die Tore zur Welt offen stehen.

r26_1 Eine knorrige Angelegenheit r27_1 Abschied vom Schmachter See

Zum Abendessen wird uns eine weitere Gaststätte empfohlen, der "Granitzer Grund" in Granitz. Da sitzt laut lärmend eine fröhliche Gruppe sächselnder Ausflügler, die mit dem Bus vorgefahren sind. Die wenigen restlichen Plätze sind natürlich belegt. Wir werden auf eine viertel Stunde später vertröstet. In der Zeit läßt sich schnell noch ein weiteres Stück der Insel erkunden, und wir werfen mall eben einen Blick auf Orte wie Burtevitz, Dummertevitz oder Reddevitz. Als wir wieder im Lokal sind, sind die uns zugedachten Plätze schon längst wieder besetzt. Weil an einem anderen Tisch die Gäste schon gezahlt haben, drücken wir uns wie die Hühner auf der Stange in einer Ecke zusammen und äugen. Man kann ja in dieser Situation einen Unwillen auf unschuldige Leute entwickeln, indem man meint, die ärgern einen absichtlich. Es ist aber wohl nicht so, denn endlich wird der Tisch geräumt und wir können unser Abendessen genießen. Schadenfroh regestrieren wir, wie immer wieder Gäste auf der Suche nach einem Platz herein- und hinauspilgern. Unsere fröhliche Reisegruppe nimmt nun auch ihr Essen ein, da ist es merklich ruhiger geworden. Als wir fast fertig sind, kommt eine Familie herein, die uns bekannt ist, die S.s aus Braunschweig. Vor Jahren haben wir mal zusammen gepaddelt. So wird noch ein bißchen Woher und Wohin diskutiert. Dann räumen wir aber schnell unseren Platz für Leute, die wie wir vorher schon mit knurrendem Magen und hungrigen Augen um die Tische schleichen.

Dienstag, 10.4.

Jeder Urlaub hat mal sein Ende, zum Abschied winkt uns die ganze Familie B. nach, bis wir um die Ecke verschwinden. Die Rückfahrt verläuft ohne Zwischenfälle, zieht sich aber sehr in die Länge. Um neue Gegenden der DDR zu sehen, fahren wir die Nord- Südstrecke Greifswald - Berlin. Dabei durchfährt man reizvolle Orte wie Neubrandenburg, Neustrelitz oder Gransee, verschiedene Seen blinken rechts und links auf. Um die Orte und die Landschaften wirklich kennenzulernen, muß man aber wiederkommen, möglichst nicht mit dem Auto. Elegant nähern wir uns Berlin, indem wir nicht in Oranienburg auf den Berliner Ring fahren wie es sich gehört, sondern stattdessen durch zwar reizvolle aber verkehrsmäßig weniger erschlossene Berliner Randgebiete irren. Bevor der Unmut allzu groß wird, geht es schließlich doch noch flott über den Berliner Ring und auf die Autobahn Richtung Westen. Eine letzte Rast an der Raststätte Ziesa zwischen Berlin und Magdeburg. An der Grenze läßt man uns gänzlich ungeschoren. Trotz regen Verkehrs erreichen wir Braunschweig nach flotter Fahrt. Die Rückfahrt war anstrengend, aber wir sind froh, daß wir alles gesund überstanden haben.

In einem SPIEGEL-Artikel in der Ausgabe vom 9. April 90 werden die Zustände beschrieben, die in diesem Frühjahr und Sommer durch die invasionsartigen Reiseüberfälle der Touristen aus der BRD zu erwarten sind. Weder Infrastruktur noch Versorgungsmöglichkeiten werden ausreichend sein. Wir haben es noch eben geschafft, als eine der ersten etwas Beschaulichkeit vorzufinden.