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Kyll- und Saar-Radweg
5. Tag: Mo, 7.6. Sarrebourg – Ste. Marie aux Mines, 115 km

Start im Morgengrauen (6 Uhr), es ist noch recht kalt. Der Morgendunst liegt über den Wiesen, aber der Himmel ist wolkenlos. Es beginnt heute meine Vogesenetappe, da muss man erst mal klettern. Hinter dem Ort Abreschviller beginnt der Aufstieg zum Col du Donon, 1009 m. Es geht lange durch den Wald, das ist dann nicht so interessant. Kurz vor der Passhöhe aber dann die große Überraschung: eine moosbewachsene Mulde neben der Straße und ein Hinweisschild: Source de la Sarre. Das ist ja toll – da bin ich die Saar ja bis zur Quelle hochgefahren. Die Abfahrt vom Pass ist herrlich, wegen des spärlichen Verkehrs kann man meistens auf der Straßenmitte fahren und die Kurven schneiden. Knapp 60 km/h erreicht man dann schon mal. Die allgegenwärtigen Rennfahrer sind natürlich schneller, aber die haben ja auch kein Gepäck dabei.


Abreschviller

Saarquelle

 

Man kommt in Schirmeck (380 m) heraus. Da gibt es nur eine Hauptstraße: es donnern die Schwerlaster. Ein Stück lang lasse ich das über mich ergehen, mache dann eine Rast, in Bourg-Bruche glaube ich, und gucke mir die Karte genauer an. Wer die Vogesen kennt, wird sich denken können wo ich hin will. Das ist die Route des Crétes, die in Ste. Marie Aux Mines beginnt. Die Route des Crétes ist nach dem ersten Weltkrieg als militärische Zufahrts- und Höhenstraße zur Verteidigung gegen die Barbaren im Osten angelegt worden. Heute ein Eldorado für Motorradfahrer und auch Radfahrer, „Biker“ eben. Am Wochenende bei schönem Wetter soll es im wahrsten Sinne dort hoch hergehen. Da werde ich Glück haben, das Wetter ist zwar schön aber es ist kein Wochenende.


Destille-Apparat

Villè

 
Nun, soweit sind wir noch nicht. Die Karte verrät, dass man auf kleinen Straßen über den Col du Steige, 534 m, und den Col de Fouchy, 603 m, in das Valle d’ Argent gelangen kann. Wie konnte man das nur übersehen? Jetzt beginnen die Vogesen erst richtig. Es gibt wunderhübsche Orte mit urigen Häusern, Dorfbrunnen, vielen Blumen und so. Es gibt wohl viele Schnapsbrennereien, neben der Straße stehen zuweilen ausgediente Destille-Apparaturen als Dekoration aufgestellt. In dem größeren Ort Villé gibt es auch ein Nautic Center (Erlebnisbad), passt hier irgendwie hin.


Villé

Der Col de Fouchy ist landschaftlich so schön, dass man ihn ohnehin besser zuweilen schiebend bewältigt. Kurz vor der Passhöhe kreuzt plötzlich eine meterlange Schlange die Straße, zum Glück kommt gerade kein Auto oder Motorrad. Zack – ist die Schlange schon wieder im Gras verschwunden.

Dann rollt man hinab in das Tal und nach Ste. Marie aux Mines. Ich finde ein Hotel, wo wieder alles verrammelt ist. Es ist wohl noch zu früh am Nachmittag. Oberhalb im Tal ist aber noch ein Hotel, das ein bekannter Ausgangspunkt für die Route des Crétes ist. Da schwitzt man sich noch einmal hinauf, wir haben 27 °. Endlich taucht es auf: Les Bagenelles, „Tourenfahrerfreundlich“.


 

Hotel Les Bagenelles

Ich werde gastlich (45.- €) aufgenommen und freue mich über die ruhige Umgebung mitten in den Bergen. Die Glocken der Kühe klingen wie Musik und diese wird mich auf der ganzen Weiterfahrt begleiten. Nach der Schwitzerei muss ich heute meine Sachen auswaschen, zum Trocknen hänge ich sie draußen an den Zaun in die Sonne. Da kommt ein neugieriger Esel heran getrabt. Wenn der nun mit meinem Fahrradtrikot abhaut, das wäre nicht so gut. Da hänge ich die Sachen lieber woanders hin, die Sonne verschwindet ohnehin bald hinter den Bergen. Der Esel teilt sich sein Quartier noch mit einer netten Eselin, mit Ziegen und Gänsen, und nebenan fühlt sich ein Schwein wohl in seinem Koben.

Zu essen gibt es Schweinemedaillons mit hausgemachten Spätzle. Am späten Abend haben sich dann an die 10 Motorräder im Unterstand eingefunden, wo mein kleines Fahrrad fast erdrückt wird.

6. Tag: Di, 8.6. Ste. Marie aux Mines - Altkirch, 135 km

Ich habe längst gefrühstückt, da tauchen die verschlafenen Motorradfahrer nach und nach auf. Die wollen draußen frühstücken, hoffentlich schmilzt ihnen in der Sonne nicht die Butter. Wieder Kaiserwetter und Rückenwind – womit habe ich das verdient. Eine sog. Königsetappe liegt vor mit.


Aufstiegsroute von unten...

...und von oben

Nun beginnt die sagenumwobene Route des Crétes, dazu muss man etwa 600 Höhenmeter hinauf. Da ist der Col des Bagenelles, 911 m. Oben hat man das erste Aha-Erlebnis, wenn die bläulichen Kammzüge der Vogesen sich vor oder unter einem erstrecken. Man kann nun etwa 60 km auf der Höhe bleiben, es geht zwar meistens rauf und runter, aber nie lange, sodass man stets knapp unter 1200 m Höhe bleibt. Markante Punkte sind Col de la Schlucht, 1131 m, oder Le Markstein, 1192 m. Das sind dann auch zugleich die hässlichsten Orte mit großen Parkplätzen und Horden von Busgästen, die sich die Beine vertreten, den Toiletten und dann den Restaurants zustreben.







Man fühlt sich als Radfahrer allen überlegen, weil man viel mehr sieht. Z.B: die wilden Stiefmütterchen am Wegrand oder die bemoosten Wipfel der Bergulmen und –ahorne. Die Ausblicke gehen nur in westliche Richtung, das Rheintal kann man nirgends sehen, das hatte man beim Anlegen der Straße strategisch schon so vorgesehen. Zum Schluss wird es noch einmal anstrengend, bis man am Grand Ballon, 1324 m, den höchsten Punkt des Tages erreicht. Auch da ist alles verbaut und touristisch orientiert.


Ungern aber begibt man sich von der Höhe wieder abwärts, denn damit ist die Vogesentour bald zuende. Oberhalb von Uffholz, wo die Route endet, befindet sich der Hartmanswillerkopf mit einer Gedenkstätte. Dieser Berg wurde im ersten Weltkrieg 4 Jahre lang hart umkämpft und wechselweise von den Franzosen und den Deutschen eingenommen und verteidigt. Auf dem Kriegsfriedhof in Cernay kann man dann an den unzähligen Kreuzen sehen, was dabei herausgekommen ist.


 

Gedenkstätte Hartmannswillerkopf

Soldatenfriedhof Cernay

In Cernay ist man wieder im Rheintal und da ist es wie in einem Glutofen, 34 °, wie zu lesen ist. Nun habe ich Schwierigkeiten, mich zu orientieren. An einem staubigen Kieswerk vorbei gerate ich auf eine Autobahnauffahrt, da ist man als Radfahrer nicht so gut aufgehoben. Also alles wieder zurück, um sich auf Nebenstraßen Richtung Basel voranzuarbeiten. Ich komme heute nur noch bis Altkirch, einem größeren Ort. Über den Vogesen herrscht inzwischen eine Wolkenbildung, als ob Brände oder Vulkane ausgebrochen wären. Womöglich gibt es noch ein Gewitter?


Wolkenbildung über den Vogesen

In Altkirch finde ich nur ein aufgegebenes Hotel. Ein Bäcker (Boulangerie), der gerade seine Gartenstühle reinräumt, verrät: „Hotel wäre gut, aber kein Personal“. Also muss es noch weiter gehen, Wittersdorf oder so, da ist dann doch ein Hotel. Der Chef weist mich in ein erbärmliches Zimmer ein, trotzdem bin ich froh, untergekommen zu sein. Es gibt nur ein schräges Dachfenster, dahinter rauscht ein Aggregat laut wie ein Düsentriebwerk. Dann entdecke ich einen Swimmingpool im Garten, da baden noch welche. Dann kann ich das ja auch machen, und das erfrischt dann doch ungemein nach diesem anstrengenden Tag.

Das Abendessen kommt heute aus der Tüte, das Restaurant ist mir zu teuer. Immerhin verstummt das Aggregat gegen 22 Uhr. Wie angenehm! Am nächsten Morgen bin ich einigermaßen empört, dass man mir für das erbärmliche Zimmerloch 50.- € berechnet. Beschweren hat gar keinen Zweck, da kann man dann plötzlich kein Deutsch – aber man will ja keinen Ärger.

7. Tag: Mi, 9.6. Altkirch – St. Ursannes, 105 km

Das Frühstück ist auch nicht so doll. Was soll’s, das Wetter ist weiterhin schön. Ich muss nun nach Basel, denn da beginnt das vielgerühmte „Veloland Schweiz“. In der Schweiz hat man es in den letzten Jahren fertig gebracht, 9 Rad-Fernrouten zu schaffen, zu beschildern, sponsern zu lassen und durch Routenführer-Broschüren zu dokumentieren. Hier geht es natürlich sportlicher zu, als etwa in Holland oder Dänemark, wo der Radtourist auch sein Eldorado findet. Natürlich auch in Deutschland, wo es ja schöne Flussrouten gibt. Man hat inzwischen erkannt, dass der Radtourismus einen nicht zu verachtenden touristischen Wirtschaftsfaktor bedeutet. Das merke ich ja auch an meinem Geldbeutel – das hat man sicher schon herausgelesen: ganz billig ist die ganze Sache nicht. Wenn man ein Zelt mitführt, Jugendherbergen oder Schlafen im Stroh und Privatquartiere bevorzugt, sich zudem selber verpflegt, dann kann man es auch preiswerter haben. Es ist auch eine Frage des Alters: in reiferen Jahren hat man es gern bequemer und kann es sich vielleicht auch leisten, wenn man einen Großteil seines Berufslebens hinter sich hat. Das Geld, was man auf so einer Reise ausgibt, bekommen später vielleicht einmal nicht die medizinischen Einrichtungen, die man womöglich wegen Bewegungsmangel u. dgl. konsultieren muss.




In Basel beginnen bzw. enden drei Routen: Jura-Route (7), Rhein-Route(2) und Nord-Süd-Route(3). Auf meinem Programm steht der Schweizer Jura. Nach Basel muss ich eigentlich nur zum Erwerb des Routenführers, Band 7. Sonst könnte ich abkürzen und von Altkirch ein paar km nach Süden fahren, um auf die Jura-Route zu stoßen. Nach dem bewährten Motto „Der Weg ist das Ziel“ geht es aber doch auf Nebenstraßen nach Basel. Dort komme ich nach ca. 30 km am Vormittag an. Und dann auch gleich direkt am Spalentor. Seit ich das letzte Mal hier war sind über 40 Jahre vergangen (Unterprima). Neben dem Tor ist eine Buchhandlung, doch der gute Herr Buchhändler hat von dem Veloland Schweiz noch nie etwas gehört. An der „mittleren Brücke“ ist eine Buchhandlung nach meinem Wunsch und die Jura-Broschüre in meinem Besitz (24 CHF). Ein Blick noch in den Innenhof des Rathauses mit seinen Wandmalereien und Ritterstatuen – dann zieht es einen weiter.

Die Juraroute ist vom Stadtzentrum ausgehend beschildert und man gelangt über Hinterstraßen und Nebenwege an einer Bahnstrecke entlang fast verkehrsfrei aus der Stadt hinaus. Wenn da nicht gerade Schulschluss gewesen wäre. Denn da befinde ich mich plötzlich inmitten einer Schülerschar, die kräftig einen Berg hinauf kurbelt – und ich mit. Dadurch verpasse ich wohl eine Abzweigung und befinde mich auf einemmal in unbekannten Gefilden (Biel und Benken). Auch das geht vorüber und man findet die Beschilderung wieder – immer Grund für eine dankbare Rast (Mariastein – ein bekannter Wallfahrtsort). Dort haben wir den ersten Anstieg Richtung Jura bewältigt, danach durch ein Tal zu dem hübschen Ort namens Metzerlen. Dort jauchzen die Kinder im Dorfbrunnen (kein Trinkwasser). Da hätte man auch Lust. Ich stehle mich in die Toiletten einer Gastwirtschaft und fülle die Trinkflasche dort auf (obwohl die 1.5 L Flasche kaum zwischen Wasserhahn und Waschbecken zu platzieren ist).

Nun geht es ernsthaft hinauf auf 747 m, meistens im Wald und damit im Schatten. Dort oben beginnt dann ein gut fahrbarer geschotterter Kammweg mit ersten Ausblicken auf die blühenden Wiesen des Jura. Da blüht es nicht nur, wie wir es kaum mehr kennen, es gellt einem auch geradezu in den Ohren – und das sind die Grillen. Ein schöner Rastplatz ist bereits von einem Radlerpaar besetzt. Im übrigen muss ich nun schon mal gegenüber den Wanderern und Walkern, die da mit Ski- oder Wanderstöcken zugange sind, den Schweizer Grüß üben, der heißt Grüetzi! Anfangs gelingt mir nur ein gekrächztes „Grützi“. Sage ich lieber „Servus“ oder „Salut“ (Salü!). An den Grüßen „Pfüat Di mitanand“ oder „Auf Wiederluage“ versuche ich mich lieber erst gar nicht.

Als der Schotterweg zuende ist, geht es auf einem schmalen asphaltierten Wirtschaftsweg rasant zwischen Kuhwiesen hinunter. So bei Tempo 40 km/h tauchen plötzlich zwei dünne Absperrstäbe quer über die Straße auf. Vollbremsung! Aber die Stäbe sind elastisch befestigt und schnellen zurück. Sie dienen dazu, das Vieh am Verlassen der eigenen Reviere zu hindern, aber auch, den ortsunerfahrenen Radfahrer zu erschrecken. Es gibt auch diese Viehgitter auf der Straße, über die kann man gut hinweg brausen. Somit kommen wir in das Leimen- und Lützeltal, wo man ständig zwischen Frankreich und der Schweiz wechselt – ganz ohne jede Kontrollen. Einmal raste ich am Straßenrand, da kommt das Radlerpaar von vorhin herangerollt. Das sind Stephanie und Raphael auf Kurzurlaub. Wo man weiterhin übernachten könnte, diskutieren wir. Die nächste Unterkunft in Courgenay hat laut Broschüre heute Ruhetag. Dann gibt es noch die Stadt Porrentruy. Da weiß man nicht so genau. Aber St. Ursanne das sei der Ort, wo es am schönsten sei. Nur: man hat heute schon einiges hinter sich, 25 km sind es noch, dazu ein Übergang von 789 m Höhe. Kann man das noch schaffen?


 

 
St. Ursanne

Ich fahre doch lieber nach Courgenay. Auf der Strecke kann man ein Tunnelportal ausmachen. Da verschwinden die Autofahrer auf die bequemere Art unter dem Schweizer Jura. Und da rastet ein Radtourer im Gras. „Hallo!“ und vorbei gesaust. In Courgenay gibt es sogar einen Supermarkt, Vorräte für alle Fälle und tatsächlich hat das Hotel du Boeuf heute zu. Da kommt der Radler von vorhin heran gezockelt. „Sie haben mich vorhin so nett gegrüßt, nun grüße ich sie“. Schon haben wir ein interessantes Gespräch. Er ist auf dem Jakobspfad, zunächst mit dem Rad. Ab Le Puy vielleicht zu Fuß. Übernachtungen zeltend möglichst abseits der Campingplätze. Tagesbudget 25 €. „Ab dem nächsten Jahr bin ich auch freier Unternehmer“ kann ich nur dagegen halten. „Haben sie das mit dem Esel gelesen, auf dem Jakobsweg, wie hieß die Dame noch?“ frage ich. „Ach sie meinen Carmen Rohrbach, phantastisch, wie die als Biologin die Naturerlebnisse beschreibt“. Sie wäre sogar im Fernsehen gewesen, sehr lebendig. Ich kenne sie nur vom Lesen und war auch begeistert. Wir wünschen uns nun alles Gute, wir würden uns wohl nicht wieder treffen, „wenn jetzt schon auf ihrem Tacho 90 km drauf sind“. So ist es, dieser Europatrotter wird sich wohl heute nicht mehr über den Berg bemühen.

Ich versuche es aber doch noch, bald schon muss man vom Rad, weil bei dem steilen Anstieg das Rad bald von selber still steht – wie ein Esel. Es ist so steil, dass man nur mit vorgebeugtem Oberkörper hinauf schieben kann. Und hoch oben am Hang sieht man, wie es weiter geht. Schlimm. Anstrengend. Schwitzen. 20 % Steigung (geschätzt). Verpusten. Rast machen. Weiter pusten und verpusten. Endlich die letzte Kurve, eben die, die man schon von unten gesehen hat. Da kommt einer herauf gekeult. Mit hoher Trittfrequenz aber ohne Gepäck. Grauer Bart – älter als ich? Mein Rad hat leider nicht so eine kleine Übersetzung, es ist beim besten Willen bei so einer Steigung nicht mehr zu fahren. Macht aber nichts, oben bin ich auch so. Ich klatsche dem graubärtigen Keuler Beifall, dann ist der schon auf der Abfahrt. Es geht weit geschwungen um ein Wiesental, Bremsen und Grillen kreischen um die Wette. Seeleute heißt das hier. So komme ich nach St. Ursanne. Ein Bilderbuchort. Der schönste auf der Jura-Route. Durch ein Tor hindurch in eine mittelalterliche Puppenstube. Da stehen meine Schweizer Freunde Stephanie und Raphael auf dem zentralen Platz. Die haben es also auch geschafft. Ein paar Minuten sind sie erst hier, dann war ich ja auch nicht so langsam. Darauf kommt es natürlich nicht an, angesichts der Kulisse hier steht uns ein herrlicher Abend bevor. Die beiden begeben sich zum Campingplatz, wo sie telefonisch einen Wohnwagen gebucht haben. Ich checke gleich an der Brücke im Hotel Demi Lune ein (55 CHFR).

Das verschwitzte Radtrikot und die Radhose müssen wieder gewaschen werden, die sind vom salzigen Schweiß verkrustet. Den Trick habe ich schon öfter mitgeteilt, die nassen Stücke nach dem Auswringen in ein Handtuch wickeln und darauf herumtrampeln. Danach ist alles bald trocken. So, und nun setze ich mich auf die Terrasse über dem Fluss Doubs und verzehre ein Cordon Bleu mit Pommes, zwei Bier dazu. Schön ist die Welt und das Leben, besonders hier.

Der Fluss Doubs ist übrigens eine ganz geheimnisvolle Sache. Er ist weitgehend unzugänglich, weil er sich in tiefe Schluchten eingegraben hat und z.T. unterirdisch zugange ist. Das kann man mit dem Fahrrad nicht erforschen. Aber das Flussrauschen begleitet mich beim Einschlafen...

8. Tag: Do, 10.6. St. Ursannes - Les Ponts de Martel, 85 km

Vor dem Aufbruch noch ein paar Fotos mit Morgensonne, zu schön ist es hier. Dann muss man schon wieder klettern, von 491 m auf 1008 m. Unter dem Eisenbahnviadukt über St. Ursannes hindurch, bald sieht man ihn von oben. Bergan schiebend treffe ich eine Frau mit Schäferhund. “Noch ein ganzes Stück haben sie vor sich“, meint sie. Das stimmt.





Aber die Aussichten werden immer besser. Wenn man es geschafft hat, geht es immer auf etwa 1000 m Höhe weiter. Die Route ist verkehrsfrei neben den Straßen perfekt geführt. Wiesen, Blumen, einsame Gehöfte, Grillen, Milane, Baumgruppen – Parklandschaft. Als ich gerade wieder den Fotoapparat einpacke, kommen meine Schweizer Freunde herangerollt. Die wollen eine Schaukäserei in dem Ort mit dem schwierigen Namen Saignelègier besuchen. Daraus wird nichts, heute ist anscheinend ein Feiertag, Fronleichnam oder so was. So treffen wir uns an dem Waldteich Etang de la Gruère zum letzten mal, von da rollen sie weiter. Hört man nie wieder voneinander? Ich verteile dann gern meine Karte mit der E-mail Adresse, vielleicht erfährt man dann doch noch etwas darüber, wie es jeweils weiter gegangen ist.


Etang de la Gruère

Ich begebe mich also noch an den Waldteich, wo es nicht so viel zu sehen gibt. Es ist zu lesen, dass sich hier allmählich eine Moorvegetation bildet. Ich belasse es bei einem Panoramafoto und nehme vor einer lärmenden Jugendgruppe reißaus. Der nächste markante Punkt nennt sich Mont Soleil. Da sind 250 m zu klettern. An einem Bergrestaurant kehre ich mit wedelnder Trinkflasche ein, wieder kann ich sie auf der Toilette nicht zwischen Wasserhahn und Ausguss zwängen. Da schlüpfe ich schnell hinter die Theke, die Wirtin telefoniert ohnehin gerade mit ihrem Handy. Als der vollbärtige Herr des Hauses erscheint, verschwinde ich schon mit gefüllter Trinkflasche um die nächste Ecke.

An den Hängen des Mont Soleil hat man dem Namen des Berges gerecht werdend eine Solaranlage aufgebaut, die kann man auch besichtigen. Nur scheint im Moment die Sonne gerade nicht. Wenig später muss ich mich sogar vor einem kräftigen Regenschauer unter ein Vordach flüchten. Dann geht es schön bergab bis zu der Stadt La Chaux de Fonds. „Revolutionärer Städtebau auf 1000 m Höhe“ ist zu lesen. So eine Art Bauhaus im Schweizer Jura? Der berühmte Architekt Le Corbusier war hier auch zugange, hat die Stadt aber „im Zorn“ verlassen – wie es heißt. Mit so was macht man dann Touristenwerbung. Es stört mich nicht, dass man die Stadt nur tangiert, man muss so langsam wieder an eine Unterkunft denken. Es sind noch ca. 20 km bis zu dem Ort Les Ponts de Martel. Hier soll es eine „unheimlich schöne Hochmoor-Landschaft“ geben, aber auch eine Karstschwinde, wo die Wasser in einem Erdfall verschwinden, um anderswo wieder als Quelle zu entspringen. Der Hochmoore werde ich nicht ansichtig. Ein Quartier in dem Ort gibt es auch nicht, da sitzt man nur in den Restaurants und pichelt sich eins.

Ein paar km weiter gibt es aber das Restaurant de Poneys. Auf dem Weg dahin passiert man wenigstens dieses Erdloch, wo sich die Gewässer ins Unterirdische verabschieden. Da ist nicht viel zu sehen, es verabschieden sich gerade keine Wasser. Endlich erreiche ich das Restaurant, es war anstrengend heute – und wieder bin ich glücklich, mein Quartier erreicht zu haben. Das ist sogar eine ganze Dachetage mit Ausblick auf eine Kuhwiese, aber auch auf ein neugieriges Lama. Zum Glück spuckt es nicht. Ich bekomme auch ein reichhaltiges Nachtmahl: Schinken Rösti oder so was, lecker aber leider mit 16 CHF trotz des rustikalen Ambiente nicht ganz preiswert. Ich mache gleich die Gesamtrechnung klar und verkünde, dass ich morgen ohne Frühstück – obwohl im Preis inbegriffen – starten wolle. „Sie wollen nicht essen?“ „Non“. Da mögen sich die Herrschaften fragen, was für ein komischer Vogel ihnen da rein und gleich wieder raus geschneit ist. Das frage ich mich allerdings auch...

9. Tag: Fr, 11.6. St. Les Ponts de Martel – Le Pont, 83 km

Um 6:30 Uhr macht sich der komische Vogel über die Hintertreppe aus dem Staub in der Meinung, möglichst wenig von einem Tag mit Kaiserwetter und Rückenwind zu verpassen. Da hat er sich verrechnet – der komische Zugvogel. Dunstig ist es, grau und kalt. Nach einigem rauf und runter in das Tal des Flusses namens Traveuse wird das längst fällige Frühstück auf einer Bank eingenommen (Brot und Käse). Ein Missjöh mit Schaferhund kommt herbei – beide ziehen sich aber lieber schnell wieder zurück angesichts dieses komischen Vogels auf seiner Bank da. Ich bereue nun schon, auf ein vielleicht wunderbares Frühstück in jenem Landgasthaus verzichtet zu haben.

Das Tal heißt Val de Travers und es gibt einige Industrie. Immer am Fluss entlang rauscht man durch Orte wie Couvet oder Fleurier. Dann geht es wieder 400 m höher weiter, da muss man auch erst mal wieder rauf. Und kaum ist man oben, fängt es an zu regnen und es ist kalt. Ein weiterer Passübergang ist angesagt Col de L’ Aiguillon, 1320 m. Vorher noch eine Rast unter dem Rampenvordach eines aufgelassenen Industriebetriebs. Da rauscht ein anderer komischer Vogel mit wehendem Regenumhang vorbei. Den hätte ich nie wieder gesehen, hätte er sich nicht am Beginn des Aufstiegs des wehenden Regenumhangs entledigt. Markus heißt er, „Fahren wir ein Stück zusammen, odr?“ „Aber ich bin nicht so schnell!“ „Ich kann mich schon anpassen, odr?“ Also kurbeln wir bei angenehmer Steigung zusammen los.

Nun kriege ich einiges zu hören. Markus fährt auf Nebenstraßen, orientiert sich nach den Michelinkarten Richtung Frankreich. Übernachten meistens im Freien, letzte Nacht allerdings in der Jugendherberge St. Croix, 30 CHF, auch nicht so billig. Ja, sein Bruder habe in der berühmten Schweizer Velokompanie gedient, nun könne der überhaupt nicht mehr Rad fahren, er hat’s am Knie seitdem. Und am Simplonpass, da sei er selbst mal beim Nächtigen im Wald von einem Hirschen angegriffen worden, der sein Revier verteidigen wollte, odr? „Hier sind ja Trollblumen“ versuche ich beizusteuern. „Die kenne ich gar nicht“ meint Markus. Dann ist mir die ganze Zeit schon eine Pflanze aufgefallen, die auf allen Wiesen zu sehen ist. Die Kühe verschmähen sie offensichtlich. Markus meint aber, das sei eine Plackenblume oder Kackblume und die Samen kämen aus den Kuhmägen, odr? Ich denke mal, damit ist das Rätsel noch nicht vollständig gelöst (vermutlich handelt es sich um den hochgiftigen Weißen Germer).

Inzwischen puste ich hörbar. An einem Refugee oder so verhalten wir – das ist eine kleine Hütte. „Hier könnt man auch gut nächtigen, odr?“ „So, nun muss ich langsamer weiter“ sage ich. Damit trennen wir uns, natürlich bekommt auch Markus meine Email-Karte. „Dann sehn wir uns nicht mehr, odr?“

Leider ist es so, bis ich auf dem Pass bin, wird Markus wohl schon über alle restlichen Berge sein, odr? Oben angekommen: da sind sie – die Alpen!!! Blau verschwimmend als gezackte Silhouette. Leider nicht zu fotografieren, zu dunstig – freut euch auf die Alpen, wenn wir einmal näher dran sind!

Steil geht es nun im Zickzack hinunter nach Baulmes. Da ist gerade Schulschluss und ich muss schiebend mir einen Weg zwischen den Schulbussen und ausgelassenen Schülern bahnen. Danach ist mir der weitere Weg nicht ganz klar und ich passiere dreimal ein einsames Pferd. Dann aber ein Schotterweg durch die Wälder, zudem wieder bergan, froh ist man, wenn man wieder anständige Wege erreicht. Aber dann habe ich mal so richtig Regen und Gegenwind bzw. Sturm. Erst unter einem Scheunendach, dann an einem Dorfwaschplatz oder was das sein soll mit betonierten Wasserbecken finde ich Schutz vor dem Regen. Nach einer halben Stunde ist die Regenfront durchgezogen. Hinter dem Ort Vallorbe ist auf einer stark befahrenen Straße der Pass M. d. Oxeires, 1000 m, zu bewältigen. Dort oben ist dann so was wie ein Jura-Parc, das hört sich an, als ob da Pelikane schreien – aber hier oben? Bären, Bisons und anders Getier sind wohl auch zu besichtigen. Familien mit Kinderwagen streben diesen Sehenswürdigkeiten zu. Ein paar Tage später wird dieser Ort Ziel einer Etappe der Tour de Suisse sein. Die hat letztendlich in diesem Jahr Jan Ulrich gewonnen. Aber wahrscheinlich nur, weil ich immer vor ihm her gefahren bin.



Selbstbedienung

Le Pont

Diesmal geht es nicht weit hinunter bis in den Ort Le Pont, der zwischen einem kleinen und einem lang gestreckten größeren – dem Lac de Joux, liegt. Ich bin zwar früh gestartet und es ist noch früh am Nachmittag und die Kilometerleistung für heute ist nicht so doll. Vielleicht ist morgen besseres Wetter, deshalb quartiere ich mich in dem Velotel Hotel de la Truite ein. Der bald danach wieder einsetzende Regen bestätigt das frühe Beenden des heutigen Tages.


Le Pont

10. Tag: Sa, 12.6. Le Pont - Cully, 113 km

In der Nacht hat der Regen weiter gerauscht, nun am Morgen scheint es besser zu werden. Die letzte Etappe im Schweizer Jura steht bevor. Da geht es zunächst ohne größere Steigungen am Lac de Joux längs, allerdings anfangs durch einen Höhenzug von diesem getrennt. Nachher geht es aber am Seeufer weiter, dort rüsten sich die Angler für ihre aufregende Tätigkeit. Auch eine Materialschlacht, angefangen mit der waidgerechten Tarnkleidung, Gummihose, hyperelastischer Angelroute usw.


Le Brassus

Steinmauern

Bauernhof hoch oben

Hinter Le Brassus, 1021 m,(das klingt so nach Tour de France) kommt der letzte Anstieg, der einen auf den Col de Marchairuz mit1339 m Höhe und damit den höchsten Punkt der Jura-Route führt. Der Aufstieg ist in mancherlei Hinsicht kurzweilig. Der sich weitende Blick auf das Vall de Joux (Joux = Wald), Weiden und Wiesen von jahrhunderte alten Steinmäuerchen durchzogen, Blumen am Straßenrand. Einmal setze ich mich mitten in einen sozusagen natürlichen Steingarten, um ein paar Knabenkräuter und Bergprimeln zu fotografieren. Am liebsten würde ich jetzt noch dort sitzen.





So ist man schneller oben, als gedacht und weiß: nun kann nichts mehr passieren, was das bergan schieben angeht. Man fährt zunächst durch ein herrliches Hochtal auf schmaler Straße. Tatsächlich kommt einem da eine kleine Schnauferl-Ralley in offenen Cabrios entgegen, Lumpensammler mit Anhänger hinterdrein. Die sind alle genau so guter Laune in dieser Landschaft, und so nimmt keiner am anderen Anstoss, sondern man winkt sich lachend zu.

Von der abschließenden Abfahrt kann man nicht viel berichten, da ist volle Konzentration angesagt. Gefährlich sind hier wie überall die Querrinnen zum seitlichen Abfließen des Regenwassers gedacht. So kommt man – auch wegen der Unübersichtlichkeit - selten auf höhere Geschwindigkeiten. Leider wird so die mühsam gewonnene potentielle Energie durch die Bremsen in Felgenwärme umgesetzt. Ein Kontrolle zeigt: so richtig heiß, dass es einem die Reifen wegsengt, werden die Felgen nun auch wieder nicht.


Hochtal

Nyon und Genfer See

In Bassins hält man vielleicht auch einmal an und schaut auf das Alpenpanorama oder den Genfer See voraus. Die Stadt Nyon ist dann das Ziel der Jura-Tour. Für mich soll es "N(y)on-Stop" weiter gehen. Dazu brauche ich die Broschüre über die Rhone-Route, Tour 1, die hinauf in das Wallis bis an die Ursprünge der Rhone führen wird. Die Touristen-Information hat geschlossen – es ist Samstag Mittag 12.00 Uhr. Im Buchladen oder gar den Kioskläden hat man keine Ahnung von Veloland Schweiz. Ich kann nur eine Karte der Süd-West Schweiz erwerben, damit man weiß, wo man ist. Ansonsten nichts zu machen, ich hätte mir den Besuch der Stadt Nyon sparen können und 10 km abkürzen. Aber wie gesagt: der Weg ist das Ziel und ich mache noch ein Panoramaphoto (Gegenlicht).

Aus Nyon hinaus Richtung Lausanne fahre ich auf der Hauptstraße. Das ist kein Vergnügen. Bei der Abzweigung nach Gland fahre ich links und stoße dann bald auf die Beschilderung der Route 1. Da fährt man dann gleich zwischen Holzhäusern und blumengeschmückten Balkonen herum und das ist ein anderer Schnack. An einem Dorfbrunnen wird erstmal Rast gemacht. Jetzt aber blüht man so richtig auf, denn es geht bei herrlichem Sonnenschein durch die Weinberge an den Südhängen über dem Genfer See.





Eine Rast am Seeufer, da balzen gerade zwei Haubentaucher. Plötzlich werden die ganz aufgeregt und streben schimpfend einer Stelle im See zu, wo ein brauner Rücken im Wechsel auftaucht und wieder verschwindet. Offensichtlich ein Tier mit Pelz. Ob Biber oder Fischotter? Am Loch Ness sind wir ja eigentlich nicht. Bald ist wieder Ruhe und ich habe den Fotoapparat vergeblich in Position gebracht.

In der größeren Stadt Morges herrscht wieder einiger Betrieb – auch hier bekomme ich meine Velo-Broschüre nicht und des weiteren gebe ich meine Bemühungen diesbezüglich von nun an auf. Außerdem ist morgen Sonntag, da ist sowieso alles geschlossen.


Reste des römischen Lousonna

Wenn man sich nahe Lausanne immer eng am Seeufer hält, landet man irgendwie in einem Park, wo Reste der römischen Stadt Lousonna zu erkennen sind. Der Rest von Lausanne brodelt links und da zieht es einen nicht unbedingt hin. An einer Stelle reicht die Stadt auch richtig an den See heran. Ab da geht es noch ein wenig im Verkehr auf der Straße weiter. Wenn man die Mühe nicht scheut, sollte man ruhig links hoch in einen der höher gelegenen Weinorte (Lutry oder so) schieben oder fahren. Wenn man Glück hat, gerät man auf einen Wirtschaftsweg zwischen den Weinbergen, der die Orte verbindet.

Ich liebäuge schon mit der nächsten Übernachtungsmöglichkeit. Die ergibt sich hinter dem Ort Cully in Form eines Comfort Hotels, sogar mit Velowimpel. Das gibt den Ausschlag. Das Zimmer nehme ich aber lieber nach hinten raus, wo der Genfer See leider und die vielbefahrene Landstraße glücklicherweise nicht sind. Heute ist wieder Waschtag und die Angelegenheit ist am offenen Fenster schnell getrocknet. Abendessen aus der Tüte (in Morges war ich noch im Coop).


Der Rhone-Radweg
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