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Vogesen und Schweizer Jura




11. Tag: So, 13.6. Cully - Susten/Leuk, 123 km

Am Sonntag Morgen kann man ungestört auf der Straße fahren, da ist so gut wie kein Betrieb. Nun kommt die berühmte Uferzeile Vevey bis Montreux. Nicht schlecht, was sich da an Anwesen an den Hängen angesiedelt hat. Und die Hotels erst. An der Uferpromenade stehen Palmen. Darunter wandeln an diesem Morgen die Hundebesitzer (oder lassen wandeln – weiß man’s?).


Bei Rivaz

Montreux

Dann wird man ganz aufgeregt: da liegt doch rechts voraus so ein Briefmarkenschloss? Da muss ich gelegentlich mal wieder in mein altes Briefmarkenalbum schauen. Es handelt sich um das Chateaux de Chillon, Motiv für viele Schweizer Briefmarken.


Promenade

Schaufeldampfer

Chateaux de Chillon

Danach hat man das mit der Schickeria überstanden und kurvt im Mündungsdelta der Rhone herum. An einem Waldstück höre ich den Pirol oder mehrere. Dann geht es immer an einem Kanal lang, das ist aber nicht die Rhone. Die Beschilderung der Radroute habe ich zwischendurch verloren. Ich muss eine Frau, die auf dem Feld ihren Hund ausführt, nach dem Weg fragen. Die kann aber erst antworten, nachdem sie sich die Ohrstöpsel ihres MP3-Players oder was das sein mag, heraus genommen hat.




Die Beschilderung finde ich erst bei Monthey wieder, wo es endlich an der richtigen Rhone entlang geht. Das Tal verengt sich dann bei St. Maurice, wo sich Eisen- und Autobahn in einen Tunnel verabschieden - die Feiglinge! Bis Martigny bleibt man an der Rhone, die leider auch durchgehend kanalisiert ist, um die Uferregionen für Industrie, Ansiedlung und Landwirtschaft nutzen zu können. Ab und zu kann man auf einer Schautafel darüber etwas lesen, warum und wozu und so.




In Martigny knickt das Tal bekanntlich um 90° nach Nordosten in das Untere und obere Wallis. Was wird nun mit dem Wind, der mich bis hier her geblasen hat? Nach wenigen km steht es fest: er weht einfach stromaufwärts ob Knick oder nicht. Mir soll’s recht sein. Es wird nun auch immer schöner: an den Südhängen endlose Weinberge, dazwischen schmucke Orte. In der Talaue wird eifrig Obst und Gemüse angebaut. Ein Treibhaus mit fast schon grell bunten Blumenkolonien zwingt mich, mit dem Fotoapparat den Uferdamm hinunter zu klettern. An einer anderen Stelle werden Erdbeeren abgeerntet. Könnte man da nicht mal...? An einer versteckten Stelle probiere ich mal zwei-drei Früchte, und als ich mich wieder aufrichte stehe ich vis a vis einer Pflückerschar, die hatte ich übersehen.


Obstanbau im Tal

Beobachtungsstation am Biotop

An einer Natur-Beobachtungsstation mache ich noch eine Rast, da kann man durch Sehschlitze die Tierwelt beobachten. Ich zoome mir aus 50 m Entfernung eine Ente heran, scharf bekommt man so ein Bild natürlich nicht.

Das letzte Stück für heute ist mühsam. Die Städte Sion und Sierre werden links liegen gelassen. Dann folgen 10 km auf der Landstraße, eine andere Route gibt es hier nicht. Und der Wind kommt auf einem Mal von vorn, aber wie. Man darf sich nun nicht die Laune vermiesen lassen, wenn man den ganzen anderen Tag von dem Wind profitiert hat. Voraus liegt der Ort Leuk, nur durch einen Aufstieg erreichbar, und - traumhaft schön: Leukerbad auf 1400 m Höhe, damit unerreichbar.


Diese Hütte grinst irgendwie...

 

 

Und unter beiden liegt ganz bescheiden der Ort Susten. Gibt es da ein Hotel? Jedenfalls keins, das offen hätte. „Zimmer frei“ lese ich da und schon stehe ich mit dem Rad in einem Garten. „Sind sie die Herrschaften mit dem Zimmer?“ –„Ja, das sind wir“ – und damit hat der Tag mal wieder sein glückliches Ende gefunden. Essen gehen kann ich auch noch im Restaurant Taverne. Da steht Fohlensteak auf der Speisekarte. „Ist das was vom Pferd?“ „Ja“ „Dann probiere ich das mal. Und ein großes Bier bitte!“. Es schmeckt dann wie Rumpsteak, trotzdem kann ich den Gedanken nicht los werden, warum man Fohlen schlachtet und zum Verzehr verwendet. Das nächste Mal werde ich wohl erst wieder meine Pferdebratwurst auf dem Braunschweiger Weihnachtsmarkt verzehren.

Draußen scheint die Sonne und man könnte die schönste Aussicht haben. Die Fensterscheiben des Lokals sind aber gelb getönt und gemustert, da sieht man alles nur verschwommen. Vielleicht ist es nach ein paar mehr Bieren besser, - wenn alles so aussieht?

Die Aussicht aus dem Zimmer besteht im wesentlichen aus Abendwolken.

12. Tag: Mo, 13.6. Susten - Zermatt, 25+20 km

Beim Frühstück bringe ich die gute Vermieterin (Agnes Metry, Kantonsstrasse 36) ordentlich auf Trab mit Internet und Veloland. Sie schreibt sich ein paar Adressen aus der Broschüre auf, damit habe ich meinen Beitrag zur Förderung des Schweizer Radtourismus geleistet (dieser Bericht ist natürlich auch einer).

Ich habe mir eine Überraschung für mich ausgedacht. Wenn man schon mal in der Gegend ist, könnte man da nicht mit der Bahn nach Zermatt hoch fahren und sich dort ein wenig umschauen? Hat man nicht schon als Kind mit angehaltenem Atem von der Erstbesteigung des Matterhorns gelesen? Habe ich nicht zu Hause ein Buch: „Matterhorngeschichten“ verschlungen? Damit ist die Diskussion abgeschlossen und die Abstimmung ergibt einstimmig: Zermatt.

Dazu muss man nach Visp auf den Bahnhof. Ich habe in etwa die Abfahrtszeiten (stündlich) auswendig gelernt. Das ist immer nicht so gut. Denn dann rast man dahin um zu vermeiden, dass einem gerade ein Zug vor der Nase weg fährt. Diesmal erledigt sich das auf andere Weise. An einer Brückenauffahrt tut es plötzlich am Hinterrad einen Schlag und die Felge schleift augenblicklich an der Bremse! Achsenbruch?

Aufatmen: es sind nur drei Speichen abgerissen – gleich drei auf einmal? Genau drei Speichen habe ich als Ersatz mitgenommen. Da sie außerdem gegenüber dem Zahnkranz zu ersetzen sind, ist die Sache nicht weiter ein großes Problem, ich muss noch nicht mal die Luft ablassen. Bald geht es weiter, möglichst vorsichtig, bei jeder Unebenheit, Bordstein oder gar Schlagloch zuckt man zusammen. Da kommen zwei Flugplätze in Sicht, der erste sieht verlassen aus. Da kann man doch schon mal die Betonpiste entlang brettern, man muss nur aufpassen, dass man nicht abhebt. Beim zweiten Flugplatz landet aber gerade ein Flugzeug, da bekommt man doch ein bisschen Gänsehaut, wenn man dazwischen geraten wäre. Also lieber auf die Straße und schnell ist man dann auch in Visp. Die Matterhorn Gotthard Bahn fährt in 15 Minuten, damit ist einem kein Zug vor der Nase weg gefahren. Glücklich sitze ich dann im Zug, obwohl das auch ganz schön kostet: 15 Franken für das Rad und 32 Franken für den Fahrgast. Zum Glück konnte ich gerade noch vermeiden, dass man mir eine Rückfahrkarte andreht.

Es geht hinauf durch das Mattertal. An steilen Passagen wird ein Zahnradantrieb zugeschaltet. Schluchten und Tunnels, luftige Brücken. Das wird man dann morgen mit dem Rad alles wieder runter zischen. Der letzte Ort vor Zermatt heißt Tasch, da gibt es riesige Parkflächen, denn Zermatt ist autofrei. Waren es 20 Busse, die ich im Vorbeifahren zähle? Aber sonst sind die Parkflächen nur zu einem Bruchteil belegt.





In Zermatt auf dem Bahnhofsplatz geht es dennoch ganz schön quirlig zu. Und nun die Auflösung vom Anfang dieser Geschichte: wo fahren die Japaner gerne hin? Offensichtlich zum Matterhorn – dem europäischen Mount Fuji. Es wimmelt geradezu von ihnen, natürlich sind alle lieb und freundlich, wie es ihre Art ist. Im Touristenbüro suche ich mir das Hotel Garni Testa Grigia aus, das ist gleich um die Ecke. Die Dame von der Rezeption ist allerdings gerade nicht anwesend. Die sei mal eben ins Migros, teilt mir ein ebenfalls wartender Herr mit. Er sei selbst aus Zermatt, teilt er weiter mit, ob ich Fragen hätte, dann nur zu. „Na klar, wer hat denn das Matterhorn als erster bestiegen?“. Als er sich anschickt, tief Luft zu holen, verrate ich, dass das ein Scherz sei, aber da erscheint die Dame, zurück aus dem Migros, auch schon. Die beiden müssen erst eine technische Frage erörtern, wann und wo die Telefonanlage funktioniert oder nicht. „Nun sind sie dran“ heißt es endlich. Ich bekomme Zimmer 208, Dusche auf der Etage, das ist dann preiswerter. Gepäck abgestellt, Fenster auf und erst mal raus geschaut, und da stockt einem der Atem. Ja, ja, ja, da steht es, das Matterhorn sozusagen über den Dächern in seiner ganzen Schönheit. Und dieser Ausblick geht nicht auf die Rechnung.


Die Holzhütten stehen

auf Steinplatten


Später am Abend zeige ich der Rezeptionsdame ein paar Fotos auf dem Display. „Die sind aber schön, wo haben sie die denn gemacht?“ „Na, von Zimmer 208!“. Damit ist meine Motivation aufs höchste aktiviert und bald geht es mit dem unbepacktem Rad „.auffi“. Wie ihr euch denken könnt, gibt es für mich nur eine Richtung: immer auf jenen Berg zu. Da gibt es einen schönen Hangweg, Fahrräder verboten. Aber ich schiebe ja nur bergan – in dem bewährten Tempo eines Almöhi, Schritt um Schritt bedenkend. Bei 1936 m Höhe erreicht man die Ansiedlung Zmutt, eine Alm bzw. mittlerweile ein Bergrestaurant, wo man es sich gut gehen lässt. Es folgt ein kleiner Stausee, dort kann das Tal in der Nähe der Staumauer gequert werden. Von dort führt ein geteerter Weg auf der anderen Talseite wieder hinunter, damit ist der Rückzug mit dem Rad gesichert.


Zmutt

Biel

Ein holperiger Weg führt weiter bergwärts, kann man den überhaupt mit den empfindlichen Speichen auch wieder runter fahren? Einige Mountainbiker zeigen einem, was Sache ist. Die kurbeln mit kleinster Übersetzung hinauf oder sausen mit Powerslide talwärts. Ich schiebe stur weiter bergan, passiere Biel oder Stafel, 2199 m, bis ich auf vielleicht 2300 m Höhe angelangt bin. Dann weitet sich das Tal bis zum Zmuttgletscher. Da ist alles eher grau und unwirtlich. Ich habe den Fuß des Matterhorns erreicht und bilde mir ein, von hier einen Aufstieg beginnen zu können. Bei der Einbildung soll man es belassen, wir werden noch sehen, warum (es handelt sich hierbei um die Nordwand des Matterhorns, die erst 1931 von den Gebr. Schmidt bezwungen wurde und die zu den schwierigsten und gefährlichsten der Alpen gehört. Das sieht man ihr von hier gar nicht an). Die Abfahrt über den steilen holperigen Pfad ist auch aufregend genug. Aber es geht, bis zum Stausee komme ich heil hinunter. Danach ist asphaltiert. Hei, geht es da hinunter, vorbei an Wanderern mit schmerzenden Füßen. Das Mitnehmen des Fahrrads hat sich gelohnt, denn so muss man den gesamten Abstieg nicht per pedes zurück legen. 20 km sind es dann auch am Schluss und alle Speichen noch intakt.




Unten angekommen findet man sich an der Kirche wieder. Dort ist der berühmte Bergsteigerfriedhof. Auf jedem Grabstein ist neben Namen, Alter und Herkunft auch die Art des Unfalls und der Ort des Geschehens verzeichnet. Abstürze, Steinschlag, Erfrieren, Erschöpfung. Ich denke an den Kriegsfriedhof in Cernay zu Füßen des Hartmannswillerkopfes zurück. Dort wurden die Opfer dahin gemäht, auf höheren Befehl an ihre Position kommandiert – hier starben sie durch die Herausforderung an sich selbst und die unberechenbaren Naturgewalten. Ist so ein Tod sinnvoller? Ich kann es nicht beurteilen, der tausendfache Tod am Hartmannswillerkopf war jedenfalls absolut sinnlos, das ist sicher.

Einen anderen Gedanken muss ich auch noch los werden. Auf so einer Radfahrt fährt man öfter an Personen vorbei, die gebrechlich auf einem Balkon oder im Rollstuhl dahin siechen und einem vielleicht mit sehnsuchtsvollen Blicken hinter her sehen. Da fährt man dann bei voller Gesundheit dahin, auf Ziele zu, die diese Menschen in ihrem Leben nie mehr aus eigener Kraft erreichen oder sehen werden. Auch das ist ein Grund, nachdenklich zu werden – ihr wisst schon, was ich meine!


Breithorn u. Kl. Matterhorn (rechts)

Adlerhorn(?)

Mehr Alpenglühen ist heut nicht

Das Leben geht weiter, ich gehe nicht ins Migros (da gibt es kein Bier) sondern ins Coop, damit ich heute wieder aus der Tüte speisen kann. Langusten Jumbo oder Crevettes geheißen, ein Weichkäse, dazu ein backwarmes Krustenbrot (Baguette Rustique), damit ist die Abendverpflegung gesichert. Nur Ersatzspeichen kann ich in den einschlägigen Bike-Shops nicht bekommen. Die gibt es nur für Mountainbikes (26 Zoll) – so ist das in den Bergen.

Nach dem Speisen empfiehlt mir die nette Dame an der Rezeption noch einen Höhenweg, die Berge würden vielleicht noch glühen, nach 20 Uhr oder so? Umgeben von 38 Viertausendern, so ist zu lesen, da sollte das doch klappen? Es geht einen steilen Weg hinter der Kirche hoch, vorbei an in Holz neuerbauten Hotelkomplexen. Da scheinen sich die Investoren verkalkuliert zu haben, denn das steht alles leer und öde herum. Genaueres ist nicht heraus zu finden. Oben auf den Matten klettere ich bis an eine Schlucht, zum „Edelweiß“ soll es da weiter gehen. Plötzlich springt da eine Gemse in der Gegend herum. Ich kriege sie sogar auf die Linse, leider wird das Bild nur unscharf bei der spärlichen Beleuchtung. Und die Berge beginnen auch nicht zu glühen, sie wollen heute wohl nicht.

Man findet mich zum Schluss in meinem Zimmer 208, das muss ein wenig umgeräumt werden, Nachttisch weg und so, dann kann man mit hochgelegten Füßen das Matterhorn in seiner ganzen Größe bewundern, bis es sich in der Dunkelheit verabschiedet.

13. Tag: Di, 14.6. Zermatt - Oberwald(Wallis), 95 km

Als der Morgen graut, bin ich auf dem Plan. Es ist 5:30. Und da präsentiert sich das Matterhorn, wie ich es auf Postkarten gesehen habe, mit glühender Spitze wie ein glühendes Streichholz. Wenig später sind schon die schroffen Wände erglüht, danach kann man sich noch mal auf’s Ohr legen. Um Sieben Uhr gibt es Frühstück. Meine liebe Rezeptionsdame hat sich den versprochenen Farben entsprechend gekleidet, ganz in Rosa, das Oberteil selbst gehäkelt oder geklöppelt – an langen Winterabenden, was weiß ich? Jedenfalls freut sie sich über ein Kompliment.


Bei Täsch

Letzter Blick zum Breithorn

St. Niklaus

Vielleicht kommt man einmal wieder – viele Orte gibt es inzwischen, wo man mal wieder hin möchte, aber noch viel mehr, wo man noch nicht war. Ich freue mich nun auf die 1000 m Abfahrt über 35 km. Kalt ist es in der Frühe und bei jedem Sonnenfleck wird eine Rast eingelegt. 

Die Handschuhe kommen das erste Mal zum Einsatz. Unten im Tal sind sie dann nicht mehr nötig, es wird wieder ein warmer Tag. Nun stellen sich die gewünschten Erfolge ein. Ich finde eine Fahrradwerkstatt, wo es Speichen regalweise gibt, zahle dann allerdings 5 Franken für 5 Speichen, das ist teuer. In Brig finde ich auch einen Buchladen, der alle gewünschten Veloland-Broschüren vorrätig hat. Ich nehme sozusagen nachträglich die Rhone Route. Das ist zwar teuer, aber man kann in Ruhe nachlesen, was man alles nicht gesehen hat. Außerdem gibt es die Rhein-Route, die habe ich noch im Visier.

Im übrigen bin ich durch diesen Teil des Tales - vom Simplon-Pass kommend - schon einmal vor 15 Jahren auf meiner Alpentour gefahren. Hätte man mir damals gesagt, dass ich 15 Jahre später im Vollbesitz meiner Kräfte hier wieder erscheinen würde, ich hätte aufgejauchzt. Aber was rede ich da: heute sollte ich aufjauchzen!

Nunmehr voll ausgerüstet – der Papieranteil des Gepäcks wird immer mehr – geht es weiter, wollte ich sagen, doch viel weiter komme ich erstmal nicht. In dem Ort Mörel gibt es eine Seilbahn hinauf, von dort oben soll man den Aletschgletscher sehen. Außerdem hat man es hier mit dem Unesco Weltkulturerbe Aletsch zu tun. Das bezieht sich auf die lockeren Siedlungen an den grünen Hängen und zwischen Wäldern, die ich nach einigem Hin und Her alsbald von oben zu sehen bekomme. Man kommt hinauf zur Riederalp, 1925 m, von wo aus man den Aletsch keineswegs sehen kann. Dazu muss man erst noch eine weitere Seilbahn hinauf zur Moosfluh, 2335 m, bemühen.



Dort aber ist es so weit. Man schaut über die Kante und da liegt er vor einem: ein erstarrter Strom, schweigend und unbeweglich. Diese Erstarrung ist es, die einen in ihren Bann schlägt. Mein Panoramafoto gelingt nicht ganz, Vordergrund passt nicht, vielleicht bin ich zu aufgeregt.

In die andere Richtung erlebt man das ganze Panorama der Schweizer Zentralalpen von Monte Rosa bis Weißhorn. Auch das Matterhorn reiht sich noch in die Reihe der Viertausender, auch wenn es so von oben und von weitem lange nicht so majestätisch wirkt.


Nach zwei Stunden bin ich wieder unten. Es wäre zu prüfen gewesen, ob man das Fahrrad nicht hätte mit hinauf nehmen können um sich dann schräg an den Hängen talaufwärts vor zu arbeiten. Das ist den Karten schlecht zu entnehmen – so muss man bei den Orten Betten und Fiesch noch einige derbe Steigungen bewältigen. Mein Tagesziel heißt Oberwald, und da denkt man, in Niederwald ist es nicht mehr weit. Da irrt man sich dann, denn es sind noch 18 km, und zwar unbefestigt. Ich nehme lieber die Straße und komme so vielleicht bequemer ans Ziel. Das ist das Hotel Furka, die letzte Station vor dem Furkapass (abgesehen von Gletsch und Belvedere).

Die Wirtin ist so nett und sucht mir eine ganze Batterie Kartons raus, damit ich ein paar unbenötigte Sachen nach Hause schicken kann. In einen Karton passt mein ebenfalls nicht benötigter Rucksack genau rein. Ausserdem die nicht mehr aktuellen Karten und Broschüren, Rasierapparat, zweiter Fotoapparat, abgelaufene Batterien, Schlafsack, kurze Hose. Am Schluss sind es 5 kg, die allerdings 38 CHF Versandkosten verursachen, zudem ist ein Zollformular mit 7 Durchschlägen auszufüllen. Da merkt man noch nichts von dem vereinigten Europa, aber die Schweiz gehört ja noch nicht dazu, und daran wird sich wohl auch so bald nichts ändern, odr?

Sonst geht es mir gut in Oberwald, es gibt Leber Berliner Art mit Röstis – ganz aus der Gegend. Draußen rauscht die Rhone, das kann einen gar nicht stören, weil mann es nicht abstellen kann. Ich stelle mir einmal vor, das sei ein Aggregat, dann würde man schier verrückt. Komisch so was, alles psychisch... Das Geläute der Kuhglocken kommt auch noch dazu. Das Fußballspiel der Europameisterschaft, das mit seinem lästigen Lärm im Fernsehen läuft, wird bald abgestellt, so ist es viel schöner.

14. Tag: Mi, 15.6. Oberwald – Disentis, 72 km

„Welcher Berg ist das eigentlich, den man da von überall sehen kann?“ frage ich beim Frühstück. Das ist das Weißhorn, 4506 m, das weit hinten über dem Tal thront. Nun beginnt für heute der anstrengende Teil. Zwei Pässe stehen auf dem Programm: Furka, 2436 m, und Oberalppass, 2044 m. Früher gab es auch mal eine Eisenbahn dort hinauf, die soll wohl wieder in Gang gesetzt werden.




So kann man als Abwechslung beim Aufstieg die Linienführung dieser Bahntrasse studieren. Nach ein paar Kurven kommt man dann nach Gletsch,1757 m. Dort ist ein großes Hotel und es zweigt der Grimselpass ab, 2165m, dessen Straße sich im Zickzack den Hang hinauf schlängelt. Dahinter liegt das Einzugsgebiet der Aare, dem dritten großen Fluss in der Schweiz. Das Quellgebiet aller drei liegt an dieser Stelle ganz nah beieinander. Nimmt man noch Reuss und Tessin (Ticino) hinzu, so sind es 5 Flüsse, die alle in dieser Region ihren Ursprung haben..


Belvedere am Furkapass

Bernard

 

Beim weiteren Aufstieg holt mich ein schwer bepackter Radler ein. Das ist Bernard aus Kanada, 5 Monate in Europa. 40 kg schleppt er mit und hat unverständlicher Weise beim Passaufstieg 3 volle Getränkeflaschen in den Rahmenhaltern. Wir sind doch hier nicht in der Wüste. Ich mache ein Foto von ihm und gebe ihm meine Email Adresse, mal sehen ob er sich mal meldet. Heute will er noch auf 130 km kommen. Dann zieht er weiter, da kann ich nicht mithalten, abgesehen davon, dass ich das eine oder andere Foto machen muss. Hier sind es z.B. die gelben Alpenanmonen, die ich zuvor noch nirgendwo gesehen hatte. Dazu muss man über die Leitplanken klettern und auf einem steilen Hang herumkraxeln. Aber es tut dem Bewegungsapparat als Abwechslung gut.

Man erreicht dann eine weitere Zwischenstation, das ist Belvedere am Rhone Gletscher. Ich gebe ausnahmsweise mal eine Internetseite an, wo man die traurige Geschichte des Rhone-Gletschers in den letzten 150 Jahren studieren kann:

http://www.unifr.ch/geoscience/geographie/glaciers/Les%20Langues/Rh%F4ne/Rhone.htm"

Allen anderen Gletschern der Alpen und anderer Gebirge weltweit ging es natürlich nicht besser, alle haben wesentliche Teile ihres Umfangs verloren. Am Belvedere halten nun die Busse und die sensationshungrigen Busgäste schwärmen aus. „Toiletten 60 Rappen, Eishöhle 5 Franken“ informiert ein Reiseleiter stereotyp alle, die vorbeikommen. Als Radfahrer steht man zitternd unter irgend einem Vordach, um sich vor dem Regen zu schützen. Einer kommt von oben, der muss sich erst mal trocken legen. Es ist ein Franzose. „Soleil?“ fragt er und deutet talwärts. „May be“ sage ich. Dann geht es weiter, die letzten Steigungen bis zur Passhöhe. Der Furka-Pass ist einer der höchsten Pässe in den Alpen, gut dass ich das erst hinterher herausgefunden habe. An einer Mauer ist hier ein Zitat angebracht, von einem gewissen J.W.G. und das lautet:

Ich bemerke, dass ich in meinem Schreiben der Menschen wenig erwähne, sie sind auch unter diesen großen Gegenständen der Natur, besonders im Vorbeigehen, minder merkwürdig.

Das gibt irgendwie Stoff zum Nachdenken. Jener Herr war im Jahre 1779 (Briefe aus der Schweiz) hier und denkt mal an, wie groß der Rhone-Gletscher damals noch war, der Eisbruch hat fast bis hinunter nach Gletsch gereicht. Wunderbar, wie umständlich aber wohlklingend ein Dichter einen einfachen Gedanken auszudrücken vermag.




Damit ist die Grübelpause am Furkapass zuende und es geht an die Abfahrt, warm angezogen und mit Handschuhen. Kalt bleibt es trotzdem. Wegen der etwas holperigen Straße kann man es auch nicht so laufen lassen. Die Finger sind bald gefühllos. Dafür wird es um einen herum wieder grüner. Am Schluss eine lange gerade Strecke bis Andermatt. Auch hier in versammelter Eintracht unsere fernöstlichen Freunde. Ich mache mich über einen Bankautomaten her, dann kehre ich mich den Kehren des Oberalppasses zu der nun auf einen wartet. Und wer kommt da herangezockelt: der gute Bernard! Er hat in Andermatt „getankt“, d.h. zu Mittag gegessen. Dann zockelt er weiter und ist dann irgendwann aus meinem Gesichtsfeld entschwunden. Wieder gesehen habe ich ihn nicht und weiß nicht, wie weit er diesen Tag noch gekommen ist. Wir bewegen uns übrigens wieder parallel zu einer Bahnstrecke. Hier fahren feuerrote Züge, manchmal mit gläsernen Panoramawagen, da steht dann womöglich „Glacier-Express“ an der Zugmaschine. Ich darf aus dem Internet abschreiben:

Mit den berühmten Schweizer Gebirgsbahnen von St. Moritz nach Zermatt oder umgekehrt, vom Piz Bernina zum Matterhorn. Eine 7 1/2- Stundenbahnfahrt über 291 Brücken, durch 91 Tunnels, über den 2033 m hohen Oberalppass. Eine Panoramafahrt durch die Hochalpen im Herzen der Schweiz.

In den Panoramawagen sitzen ältere Damen und lösen Kreuzworträtsel. Kaum ist der Zug durch, ertönt ein scharfer Pfiff. Der Zug kann es nicht gewesen sein, der ist schon weg, ein Vogel – oder ein Murmeltier? Sicher letzteres, das sich hier als Bahnwärter aufspielt. Zu entdecken ist es aber nicht. So kommt man unversehens an der Passhöhe an, da ist noch ein See halb zugefroren. Ein paar Motorradfahrer stoppen und fotografieren sich gegenseitig ob der vollbrachten Leistung. Auch ein Tandem mit einem Ehepaar taucht auf. Gerade kann ich mich vor diesen noch in die Abfahrt stürzen. Viel Bremsen bei engen Kehren bis man unten im Tal des eigentlichen Vorderrheins ankommt. Es gibt auch noch einen Hinterrhein, der später kurz vor Chur zu uns stoßen wird.


Damit sind wir auf der Rhein-Route
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