Mittwoch, 19.8. Spremberg - Burg, 70 km

Das Motto für unser heutiges Ziel hat uns der Senior auf den Weg gegeben: "Wollen sie Hektik, fahren sie nach Lübbenau, wo am Hafen die Warteschlangen an den Bootsstegen stehen. Wollen sie es ruhig, fahren sie nach Burg, da kann man am Hafen stundenlang zugucken." Also auf nach Burg!


Burg in Spremberg

Talsperre Spremberg
In der Nacht hat es geregnet und der Morgen ist trübe. Es fehlt die Farbe in der Landschaft, als wir wieder auf herrlichem Weg an der Spree entlang fahren. Aber an der Talsperre Spremberg, einem ausgedehnten Erholungsgebiet, kommt die Sonne zum Vorschein. Man fährt hier durch die Bülower Heide, es ist August und die Heide blüht, wie man sieht.


Dorf vor Cottbus
Wir nähern uns allmählich der Stadt Cottbus, vorher lassen wir uns bei Frauendorf von einem Hinweisschild auf einen Park verführen. Den finden wir leider nicht, machen dafür eine Rast im Grünen an einer Brücke. Auch hier wächst üppig das Pfeilkraut. In Kiekebusch stoßen wir wieder auf den Radweg, der in Richtung Cottbus führt. Als ich auf einer Brücke einmal die Karte umblättern muß, kommt ein Mann auf seinem Fahrrad daher. "Habt ihr euch verloofen?" In einer Plastiktüte an seinem Lenker baumelt sein Biervorrat, dem er offensichtlich schon reichlich zugesprochen hat. Er will uns partout auf den Weg lotsen, den er selber weiter fahren will, aber wir suchen doch lieber unseren eigenen Weg. Aber die Gartenanlage der Buga (BundesGartenschau, die vor einigen Jahren hier stattfand) verpassen wir leider, die liegt wohl hinter dem Stadion des FC Cottbus.


Cottbus
Auf dem Marktplatz in Cottbus widmen wir uns einer anderen Aufgabe. Ich habe auf die Reise nichts zu lesen mitgenommen. Heidi liest gerade "Dotterblumen und blaue Libellen" von Editha von Münchhausen über deren Kindheit im Spreewald. Das hatte ich aber schon vorher gelesen. Also stöbern wir in einer Buchhandlung nach regionaler Literatur. Auf Nachfrage zeigt man uns ein Regal, das mit Büchern eines einzigen Schriftstellers gefüllt ist, der in Spremberg geboren ist. Den Namen haben wir noch nie gehört, er heißt: Erwin Strittmatter. Das ist genau das richtige und wir erstehen die beiden Werke Ole Bienkopp und Tinko. Das erstere Werk sei auch verfilmt worden. (Verfilmt worden ist "Der Laden") Also: dieser Einkauf hat sich gelohnt!


Spreewaldmühle Cottbus
Eine Rast zu Füßen der Kirche St. Nicolai, und dann zieht es uns weiter. Zwischendurch muß ich eine Bemerkung einflechten, was unsere flüchtigen Eindrücke der Sehenswürdigkeiten am Wege angeht. Es ist unmöglich, eine Stadt vom Kaliber Bautzen oder Cottbus ihr gerecht aufgrund einer Durchfahrt mit Fahrrad und Gepäck zu würdigen. Dazu müßte man Museen besuchen, eine Stadtführung mitmachen, herum bummeln, die Umgebung kennen lernen. Da wäre man ja wochenlang unterwegs. Doch da es so schön ist, in freier Natur zu radeln, bildet das letztendlich immer den Schwerpunkt unserer Fahrradtouren. Man kann ja auch ein andermal wiederkommen.

Eine Lust, wie es weitergeht. Im Sonnenschein oder im Schatten des Auwaldes kommen wir an die Spreewaldmühle, als technisches Denkmal ausgewiesen. Im dunklen Innenraum zwischen den mahlenden Gestängen sitzt einer und wartet auf zahlende Besucher. Ein Foto von dem sich drehenden Wasserrad ist allerdings kostenfrei.

Es steht nun die Entscheidung an, ob man auf einem kürzeren Weg der Spree folgt oder die Route durch die Peitzer Teiche wählt, was 10 km mehr kostet. Ich lasse es nicht auf eine Diskussion ankommen und lotse Heidi auf die Abzweigung nach Lakoma (klingt wie La Paloma). Auf dem kurzen Stück Straße überholt uns ein Bus mit der Aufschrift: "Der Cottbusser Postkutscher". Aus dem Gedächtnis rezitieren wir sogleich den Zungenbrecher:

Der Cottbusser Postkutscher putzt den Cottbusser Postkutschkasten.

Heidi meint, das müßte heißen: Der Potsdamer Postkutscher... usw. Zu einer phonetischen Diskussion ob lieber Cottbus oder Potsdam kommt es nicht

(der Wechsel C-b-P-k-p-C-b-P-k-k klingt jedenfalls besser als P-d-P-k-..., ach was weiß ich...).



Kraftwerk Jänschwalde
Ich merke, daß Heidi merkt, daß wir 10 km Umweg ansteuern. Was heißt hier Umweg? Da wir irgendwann wieder zu Hause ankommen werden, war die ganze Tour ein Umweg. Da hätte man ja gleich zu Hause bleiben können, das wäre dann kein Umweg. Aber jeden Tag so eine Gewalttour, das müßte ja auch nicht sein. So fahren wir leider uns gegenseitig anknirschend auf eines der schönsten Teilstücke des Spree-Radweges zu. Hinter den grünen Wiesen qualmt das Kraftwerk Jänschwalde schneeweiße Wolken in den Himmel. Alles nur Wasserdampf vermutet der Optimist. Ein gar nicht mal unmalerischer Kontrast auf dieser Strecke. Die Kühltürme des Kraftwerks stehen wie die Kegel: 3 x 3, vielleicht sind es auch mehr.



Peitzer Teiche
Aber dann geht es an den tiefblauen Teichen entlang, die Karpfen springen vor Lust. Ein Rudel Schwäne, Enten oder Blesshühner sowieso und auch die Schwarzkittel der Fischteiche: die Kormorane. Man lese mal das Buch: Die Auflehung von Siegfried Lenz. Irgendwo unterwegs haben wir aufgeschnappt: die Kormorane fressen hauptsächlich die Billigfische, Weißfische oder so was. Wenn dann auch schon mal ein Aal oder Karpfen dabei ist, das kann schon mal passieren. Jedenfalls sind die Kormorane bei Teichwirten unbeliebt.

So sitzen wir inmitten der Peitzer Teiche auf einer Bank, hinter uns zischen gelegentlich sportliche Rennradfahrer vorbei, wo kann man schöner rasen? Ich fotografiere, Heidi rechnet die noch verbleibenden Kilometer bis Burg zusammen. Daß wir die gesamte Reststrecke (25 km) mit Gegenwind fahren werden, behalte ich für mich. Nun wollen wir noch einmal betonen: die Peitzer Teiche sind ein absoluter Höhepunkt. Auch der Ort Peitz lädt zum Verweilen ein, aber wir fahren durch.

Man kann eine Abkürzung fahren, wenn man sich Richtung Drehnow orientiert. So sicher bin ich mir da allerdings nicht, wie immer bei meinen Abkürzungen. Aber es geht gut, man findet wieder zurück auf den ausgeschilderten Radweg, der nun schnurgeradeaus an einem Fließ - so heißt das hier - namens Malxe entlang führt. Dann auf einem Damm, schön erhoben dem Gegenwind ausgesetzt. So gondeln wir also wortlos dahin, ich breche den Wind und mache mir Gedanken über den Belgischen Kreisel oder den Wallonischen Pfeil und hoffe, daß Heidi mit ihrem Gesundheitslenker das Windloch hinter mir findet. Die Landschaft ist weit und grün, ab und zu grüßt ein Kirchturm einer Ortschaft. Aber hier geht es nur stur auf dem Damm der Spree voran. Endlich erreichen wir die Straße nach Burg, passieren den bevölkerten Parkplatz am Bismarckturm, den wir verschmähen.


Hafen in Burg
Der Tourismus hat uns wieder, und wir wollen einen Spreewaldtag in Burg verbringen. Dazu gilt es, ein geeignetes Quartier für zwei Übernachtungen auszukundschaften. Wie immer in die Info, direkt am Hafen von Burg zu finden. Gleich um die Ecke könnten wir ein Zimmer bekommen - also nichts wie hin. Nach einigem Hin und Her mit dem Hausherrn und einer vom Hausputz genervten Gattin wird uns ein winziges Zimmer für DM 70.- angeboten. Und wir seien mit dem Fahrrad da. "Ja, wenn sie mit dem Auto da wären, müßten sie hinten herum fahren und dann auf dem Platz parken..." usw. Wir antworten, daß wir erst mal unser Gepäck abladen wollen. Heidi aber hat das Grausen gepackt. Ich empfange den Befehl: "Du gehst noch mal in die Info, was kostet ein Hotel - in so ein Loch muß ich nicht für 70 DM". Das ist nun auch wieder wahr.


"Alter Bahnhof" mit Hotel
Also gehe ich noch mal in die Info, wo einiges los ist. Auch die dortige Dame ist schon genervt, aber sie schafft es gerade noch, uns zu einem Quartier im Hotel "Alter Bahnhof" zu verhelfen, das gerade mal DM 20.- mehr kostet. Also ziehen wir eben dort ein. Das Zimmer ist ganz nett und wir sind für uns, das heißt, wir müssen uns nicht erklären lassen, wo man am besten sein nicht vorhandenes Auto abstellt. Der Bahnhof war bis in die 70er Jahre in Betrieb. Inzwischen hat man eine Art Museum daraus gemacht. Da kann man alte Waggons und allerlei altertümliches Bahninstrumentarium besichtigen. Die Touristen erscheinen zahlreich und fotografieren mit Lust.

Wir machen den üblichen Rundgang und suchen uns ein Lokal aus. Vorher noch zum Hafen, dem gepriesenen. Da ist aber nicht so viel los, Imbißbuden und weiter keine Stimmung. Wir gehen noch einmal in die Info, wie das mit dem Kahnfahren wohl so funktioniere usw. Wir bekommen einen Plan, wo mit einem Markierstift die Abfahrtsstellen gekennzeichnet werden.

Auf den zweiten Blick bietet der Ort Burg eigentlich nicht allzu viel. Man munkelt, daß die Gemeinde Burg flächenmäßig die größte der Bundesrepublik ist, da es sich um eine weit über das Land verteilte Streusiedlung handelt. Unser Abendessen im Gasthof Bleske gegenüber der Kirche ist insoweit bemerkenswert, daß es einen Fischtopf gibt mit 2 Stück Aal, ein ordentliches Stück Karpfen und Hecht, gereicht mit original Spreewälder Soße. Das ist sehr lecker. Heidi schreibt anschließend eine ganzen Stapel Ansichtskarten an die Lieben zu Hause. Da steht überall das gleiche drin. Als wir die Bedienung nach Briefmarken fragen, bietet sie an, die Karten an sich zu nehmen, zu frankieren und zur Post zu bringen. Das wirkt sich positiv auf das Trinkgeld aus. Die Karten sind dann auch alle pünktlich angekommen.

Donnerstag, 20.8. Burg - Lübben, 30 km

Der Tag verläuft anders als geplant, denn wir hatten das Zimmer für zwei Nächte genommen. Der erste Grund ist, daß Heidi schlecht geschlafen hat, da hat wohl eine Tiefkühltruhe zu laut gebrummt, ich habe davon nichts gehört. Der zweite Grund ist der Wetterbericht, der verheißt nichts gutes für die nächsten Tage. Der heutige Tag dagegen wird uns noch einmal einen wolkenlosen Himmel bescheren. Da liegt es nahe, das Ganze anders zu machen.


Waldschlößchen bei Burg Kauper
Wir melden uns bei der Dame des Bahnhofshotels ab, was sie natürlich bedauert. Bald fahren wir in der Morgensonne zwischen den grünen Wiesen zu dem Ort, wo wir eine Bootsfahrt machen wollen. Wir haben uns das Waldschlößchen bei Burg Kauper ausgesucht. Gegen 10 Uhr beginnen die Bootsfahrten. Wir sind vorher da und haben genug Zeit, uns zu informieren und zu orientieren. Man hat die Wahl zwischen einer vierstündigen Fahrt mit Mittagseinkehr oder einer zweistündigen Schnuppertour. Man muß zunächst warten, bis sich genügend Fahrgäste einfinden. Da legt bereits ein Boot ab, das ist besetzt mit schnatternden Damen, die bei jedem Schaukeln des Bootes - Flachkahn genauer gesagt - schrill aufkreischen. Im Flachkahn kreist der Flachmann. "Mit so einer Truppe fahre ich jedenfalls nicht mit" teile ich Heidi mit. Es kommt auch besser, denn bald sind so an die 10 Fahrgäste beisammen und der Fährmann, mit dem wir uns schon unterhalten hatten, bittet zur Schnuppertour.





So stell ich mir den Spreewald vor...
Und nun geht es los, geruhsam stakt der Fährmann am Heck des Flachkahns, der lautlos dahin gleitet. Sogleich müssen wir eine Schleuse passieren, das ist noch eine der altertümlichen Art. Ein paar Kinder bedienen sie und sagen Gedichte auf. Mit einem Bakschisch wird das belohnt. Mit einer Kurbel ziehen die Kinder ein Schott hoch, so daß das Wasser aus der Schleuse sich auf das in diesem Fall niedrigere Niveau senken kann. Das muß behutsam geschehen, denn sonst gibt es einen Schwall, der den Kahn zum Schlingern bringt. Die Kinder beherrschen das. "Haben wir früher auch gemacht, ein kleines Taschengeld dazu verdient" meint der Fährmann dazu.

Zur linken liegt ein typisches Spreewaldhaus, aus Holz erbaut, da soll Theodor Fontane eine seiner vielen Übernachtungen bei seinem ausgedehnten Trip durch die Mark Brandenburg gebucht haben. Doch nun kann man sich auf die eigentliche Stimmung bei dieser Bootsfahrt konzentrieren. Und das ist eine himmlische Ruhe. Der Kahn gleitet dahin, die Sonnenstrahlen blinken durch das Blätterdach der Schwarzerlen, auf dem Wasser huschen die Wasserläufer, Libellen zucken über das Wasser. Wir haben nun das angenehmste Publikum an Bord, denn jeder respektiert diese Atmosphäre, es fällt kein lautes Wort. Der Fährmann plaudert derweil unterhaltsam, als wenn er mit jedem von uns in ein persönliches Gespräch vertieft wäre. Man muß aufpassen, daß man nicht einschlummert, wie es einem Fahrgast weiter hinten sitzend widerfährt.


Alte Schleuse
Ich kann nur einige Eindrücke dieser Bootsfahrt wieder geben: ein Schwalbennest unter einer Brücke, da schauen die Jungen mit klüsigen Augen über die Nestkante und warten auf die Eltern. Ein Paddelboot mit zwei Insassen überholt uns, die haben aber das Paddeln noch nicht gelernt, denn sie eiern im einem unbeholfenen Zickzack dahin. Eine kleine Holzbrücke über ein Fließ, mit einer Pforte oben drauf. Der Fährmann: "Das ist die Mannheimer Brücke. Wenn die Pforte offen ist, ist die Frau beim Nachbarn, ist sie geschlossen, ist der Mann daheim". Das ist aber auch einer der wenigen Scherze. Im übrigen erfährt man viel über das Leben im Spreewald gestern und heute. Das System der Fließe und Kanäle hat man durch drei Stau-Ringanlagen beherrschbar gemacht. Überschwemmungen gebe es nicht mehr, eher sei der Wasserspiegel zu niedrig. Wir wissen ja schon: die Braunkohlegruben, wo Biedenkopf das Wasser abgräbt.

Weiter geht es um das Problem Naturschutz, Tourismus und landwirtschaftliche Nutzung der Wiesen und Wälder. Da gibt es einige Konflikte. Jeder Flachkahn wird heute vom TÜV kontrolliert, gegen Gebühren. Ein Fährmann muß eine Prüfung ablegen, gegen Gebühren. Man will sich um eine Zulassung als Kurregion bemühen, was eine Kurtaxe nach sich ziehen würde. "Der Theo hält überall die Hand auf" - so wird das formuliert.

Wir kommen an die zweite Schleuse, die uns wieder auf das Anfangsniveau hinauf bringt. Diese Schleuse ist mit Hilfe sechsstelliger Fördergelder in massivem Beton erbaut. Trotzdem ist die Bedienung weit komplizierter, als die der alten Schottwehre. Und hier sind auch keine Kinder. Es wird uns noch eine Ringelnatter beschert, die sich durchs Wasser schlängelt.

Den Abschluß der Bootsfahrt bilden Passagen durch Feriengrundstücke, da hat man sich nicht gescheut, mannshohe Gurkenfässer mit Dach darauf zu Schlafquartieren umzufunktionieren. "Sehr geeignet für Liebespaare" heißt es. Die zugehörigen Grundstücke sind zwar gepflegt, aber nicht der Landschaft angepaßt gestaltet. Rosen Rasen Rhododendron. Lassen wir das Lästern. Zwei Stunden Dahingleiten mit dem Flachkahn durch die Fließe des Oberspreewalds, das war noch schöner als das Motto dieses Berichts: "So stell ich mir den Spreewald vor".


Spreewaldidylle
Wir sind ganz andächtig, als wir wieder auf unsere Räder steigen. Und bleiben es auch, denn die Landschaft, die folgt, ist ein Traum. Wir durchfahren den Ort Leipe, wo man auch auf einem Fließ herum schippert. Dann kommt man in den Hochwald, der Fahrweg ist von Birken gesäumt. Kurz vor Lübbenau gelingt ein Foto von einem Idyll: Kahn, Fließ, Spreewaldhaus und Brücke. So stellt man sich den Spreewald vor. Wie man ihn sich aber auch vorstellen muß, erleben wir anschließend in Lübbenau.

Dort geht es wie auf einem Jahrmarkt zu. Busse, Freßbuden, Warteschlangen an Bootsanlegern, Menschenmassen vorn und hinten. Wir ziehen auch einen Vorteil aus der Sache und Heidi bemüht sich um einen Linseneintopf. Ich suche schon mal eine Bank aus. "Gruppe drei an Anleger zwei" tönt es durch ein Megaphon. Wir überdenken noch einmal unsere Bootsfahrt, die gerade zwei Stunden zurück liegt und wissen, das haben wir genau richtig gemacht. Aber wir haben auch wieder ein nettes Erlebnis. Neben uns auf der Bank sitzt ein Rentnerehepaar aus Berlin, Prenzlauer Berg genauer gesagt. Der ältere Herr eröffnet, daß er den Spreewald seit 20 Jahren bereise, früher als Jugendgruppenleiter. "Frag den mal aus" sage ich zu Heidi, die gerade mit dem Linseneintopf die Szene betritt. "Hat sich viel verändert, vor allem nach der Wende" erfahren wir. "Früher gab es hier nichts als Mücken, heute werden die mit Chemie bekämpft, dafür gibt es immer weniger Vögel".

Also hier muß man bemerken, daß wir zu dieser Jahreszeit den Spreewald zu bereisen auch so unsere Bedenken wegen der Mücken hatten. Das hat sich nicht bestätigt, obwohl Heidi einen empfindlichen Stich auf der Fußsohle mitten durch die Hornhaut zu beklagen hat. Daß man aber gegen die Mückenplage mit der chemischen Keule angeht, kann man sich weniger vorstellen, sind doch die sumpfigen Waldgründe viel zu unwegsam. Außer man geht da mit dem Hubschrauber zu Werke, aber das werden die Naturschützer kaum zulassen. Vielleicht liegt es auch am trockenen Wetter, jedenfalls hat uns die Mückenplage nicht heimgesucht.


Holzwege
Wir verabschieden uns von unseren netten Banknachbarn, die heute abend wieder nach einem schönen Tag zu ihrem Prenzlauer Berg mit der Bahn zurück fahren werden. Wir schauen uns noch ein wenig in Lübbenau um. Der Marktplatz ist eine große Baustelle, wir suchen wieder die Natur. Nicht schwer zu finden, wenn auch die Höhepunkte wohl hinter uns liegen. Der Spreewald - wie man sich ihn vorstellt - zeigt sich nun nicht mehr. Immerhin geht es doch abenteuerlich über ein paar Plankenwege durch Sumpfgelände.

Man passiert dann vor Lübben bald eine riesige Reha-Klinik (Orthopädie und Onkologie), nagelneu erbaut, ein Traum aus Glas und Stahl. Uns interessiert natürlich zunächst wieder am ehesten die Touristeninformation, in der ein Quartier nunmehr nur gegen die Gebühr von DM 5.- vermittelt wird. Das Quartierverzeichnis ist aber kostenfrei, und wir lassen uns vor der Paul Gerhardt Kirche nieder, zu Füßen jenes Choraldichters. "Befiel Du meine Wege" steht an seinem Denkmal. Er ist außerdem in dieser Kirche beigesetzt. Ein Besuchergruppe verschwindet nach der Kirchenbesichtigung auch konsequenterweise in einer Gruft, da wird sich der Paul freuen.

Wir ergattern ganz in der Nähe das letzte Zimmer in der Pension am Markt. Hier wird es morgen das Frühstück aus einem Schrank geben, wo sich eine kleine Küche mit allem Notwendigen aufklappen läßt. Unser Rundgang führt uns dann natürlich zum Schloß. Da steht an der Tür: "Wappensaal heute wegen einer Veranstaltung geschlossen". Deshalb gehen wir mal rein. Da kommt schon eine bebrillte Dame um die Ecke geschossen und expediert uns schleunigst wieder hinaus. Nebenan ist ein Gartenrestaurant, da sitzen sommerlich gekleidete Gäste. Aber an einem Tisch sind auch Herren in Anzug und Weste am Speisen. Man dreht die Köpfe, was wir wohl so neugierig zu gucken haben. Ich habe ja meinen Rucksack dabei, vielleicht ist da eine Bombe drin? Wenig weiter stehen eine Anzahl Polizeiautos, die Polizeibeamten langweilen sich. Die kann man ja gleich mal fragen, wer sich hier die Ehre gibt. Es handelt sich um einen Herrn Seite und es wird bald eine Wahlveranstaltung der CDU stattfinden. Wir wünschen ein gutes Gelingen der Mission und bummeln weiter, bis wir einmal um das Schloß herum sind.

Wir landen in dem überdachten Biergarten eines Lokals am Markt, wo es auch noch interessant wird. Zunächst bedient uns beflissen ein Knabe mit Zahnspange. Dann finden sich ein paar Burschen in Handwerkerkluft ein, das Gepäckbündel am Knotenstock. "Rolandschacht Leipzig" steht auf den Bündeln. Dann kommen immer mehr, schließlich ist das ganze Lokal voll mit Handwerksburschen. Als einer sich zur Toilette begibt, ergreife ich die günstige Gelegenheit, ein Bier muß sowieso raus. Die Burschen gehören tatsächlich einer Handwerkerzunft an, wo man noch nach altem Kodex drei Jahre durch die Welt zieht. Einer ist mit der Wanderschaft gerade fertig geworden, da begleiten ihn die anderen, so 20 an der Zahl, nach Hause. Heute sind sie von Königs-Wusterhausen her gewandert, morgen werden sie eine Kahnfahrt nach Lübbenau unternehmen. Der Wirt des Lokals vermittelt netterweise einen preiswerten Kahnführer und spendiert für die Fahrt ein Fäßchen Bier. Bei so interessanten Beobachtungen sind es auch bei uns mal wieder ein paar Bierchen mehr geworden, und der Knabe mit der Zahnspange bekommt ein Extra-Trinkgeld.

Freitag, 21.8. Lübben - Beeskow, 65 km

Leider ist die Schönwetterperiode nun vorbei, nach unserem Frühstück aus dem Schrank brechen wir in einen trüben Morgen auf. Eine lange Strecke führt wieder durch ausgedehnte Fischteiche, die heute statt blau eher grau aussehen. Zur Führung des Spreeradweges ist nun zu bemerken, daß seit Lübbenau wiederum keine Beschilderung existiert. Anhand des bikeline-Heftchens kann man sich zwar einigermaßen orientieren.


Fachwerkkirche in Schlepzig
In dem Ort Schlepzig gibt es eine hübsche Fachwerkkirche. Wir verlassen hier den auf der Karte verzeichneten Radweg und fahren erst auf einem Feldweg, dann auf der Landstraße nach Lübbenau. In Leibsch soll eine Schleusen- und Wehranlage sehenswert sein.

Da der Himmel immer grauer wird, verzichten wir auf den Abstecherzu dieser Schleuse. Am Neuendorfer See machen wir in gedrückter Stimmung eine Rast. Da fliegt wenige 100 m von uns entfernt ein Vogel mit mächtigen Schwingen über den See, das ist weder ein Reiher noch ein Storch. Das kann nur ein Fischadler sein, der erste, den wir überhaupt je zu Gesicht bekommen.

Das hebt zwar die Stimmung ein wenig, aber nicht lange. Auf der Strecke nach Alt Schadow fängt es an zu regnen, kein vereinzelter Schauer, sondern es regnet sich ein. In Alt Schadow müssen wir angesichts der Wetterlage und der Qualität der weiteren Wegstrecke leider unsere Spree-Expedition enden lassen. Im bikeline sind ab hier längere Sandstrecken angekündigt. Die Landstraße dagegen führt direkt nach Beeskow, wo wir dann Quartier nehmen können. So absolvieren wir diese 30 km bei Regen, und ich denke, darüber gibt es nichts besonderes zu berichten.

"Beeskow ist nicht so schlimm, als es klingt" dieses Zitat von Theodor Fontane ist in der Touristeninformation am Marktplatz zu lesen. Störend ist hier vor allem der brausende Verkehr, der mitten durch den Ort führt. Die Dame in der Info bedauert das auch. Nach einigem Hin und Her vermittelt sie uns telefonisch ein Quartier einen Ort weiter: Pension Zur Birke in Neuendorf. Wir machen uns auf den Weg, inzwischen stürmt es auch noch. An der Abzweigung nach Neuendorf müssen wir an einer Bushaltestelle eine Beratung einlegen. Heidi meutert. "Was sollen wir in dem Kaff?". Aber wohin sollen wir heute auch noch fahren, das hat ja so alles keinen Zweck.

So sind wir dann bald in der Pension, wo wir uns erst mal wieder aufwärmen können. Da wir Geld brauchen, müssen wir am Nachmittag dann doch noch einmal zurück nach Beeskow zur Bank und machen eine kleine Rundfahrt durch den Ort. Der ist sicher ganz hübsch, auch eine Burg gibt es, aber wir sind nicht so richtig in Stimmung. Es werden Nägel mit Köpfen gemacht, am Bahnhof bringen wir die Abfahrtszeiten der Nahverkehrszüge für den morgigen Tag in Erfahrung.

In unserer Pension bekommen wir am Abend einen Strammen Max serviert. Und am nächsten Tag geht es mit dem Wochenendticket für 35.- DM und viermal umsteigen in 7 Stunden heimwärts. Die Entwicklung der Wetterlage in den nächsten Tagen bestätigt unsere Entscheidung. Dafür ist dieser Bericht heute - einen Mittwoch danach, schon fertig.

Wie die Tour sonst weiter gegangen wäre? Man hätte sich durch die angekündigten Sandstrecken gekämpft, vielleicht wäre das aber auch gar nicht so schlimm gekommen. Man hätte dann den Schwielochsee umrunden können - oder wer Umwege(!) nicht mag, hätte auch den direkten Weg nach Beeskow nehmen können. Die Reststrecke führt im Zickzack bis nach Fürstenwalde. Und dann verließen sie ihn, jedenfalls den bikeline Radführer. Ab Fürstenwalde soll man mit der Bahn nach Berlin fahren, obwohl da noch laut Karte reizvolle Passagen mit Müggelsee, Schmöckwitz oder Köpenick auf der Strecke liegen. Eine andere Variante wäre ein Schiff der weißen Flotte gewesen, mit dem man Berlin-Mitte bis Potsdam durchquert hätte.
Hinweis eines Ortskundigen

Das bleibt nun leider Theorie.

Das Resume über den Spreeradweg. Am Oberlauf bis zur Braunkohlenregion bzw. Grenze nach Brandenburg hat man sich viel Mühe mit Wegführung und Beschilderung gegeben. In der Braunkohle läßt der landschaftliche Reiz naturgemäß nach. Ab Spremberg ist die Tour landschaftlich am schönsten und hat natürlich mit dem Spreewald ihren Höhepunkt. Von Lübben bis Berlin ist wohl noch einiges zu tun.


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