Land's End to John O' Groats 12.6.-27.6.1999

Eine Radreise durch England, Wales und Schottland

Kapitel 2: Wales

4. Tag, Dienstag, Bridgwater - Avonmouth - Monmouth
8.15-17.15, 130 km trp, 17.0 km/h avg., 49.9 km/h max, 499 km total

Wider Erwarten bekomme ich im Blake Arms Hotel von einem verschlafenen jungen Mann ein so reichhaltiges English Breakfast, daß mir Zweifel kommen, ob man das ein paar Wochen durchhält. Das Tagesziel heißt heute: die tief eingeschnittene Flußmündung des Severn zwischen Bristol und Newport hinter sich zu bringen. Ich verlasse Bridgewater auf der A38, die einen schnurstracks nach Norden bringt, vorbei an Burnham-on-Sea aber hinein nach Weston-Super-Mare. Und da ist zu lesen: Partnerstadt Hildesheim. Da kann ich ja gleich meiner Tochter Verena in Hildesheim eine Karte von hier schicken. Das läßt sich sogleich im Touristenbüro erledigen.

Ich versuche auch, mich nach günstigen Radrouten Richtung Norden zu erkundigen, aber da ist bei den zuständigen Damen Ratlosigkeit angesagt. Ansonsten ist Weston-Super-Mare wohl ein typischer Seebadeort mit einer langen Strandpromenade. Ausgangs des Ortes lande ich auf der Autobahnauffahrt zur M5, die ist allerdings absolut nicht für Radfahrer vorgesehen. Es gibt aber auch eine Nebenstraße, wo ich mich, als ich auf einer kleinen Brücke halt mache, zwei Schwänen gegenüber sehe. Wie schön ist das, wenn einen der Verkehr einmal nicht umtost. Man fährt nun einen kleinen Schlenker über Congresbury, und bald bietet sich wieder eine Nebenstrecke durch flaches Marschland an.

St. Andrews Church in Clevedon

Bei der Einfahrt nach Clevedon lasse ich mich von einem Hinweisschild verleiten: "St. Andrews Church and Center". Das führt aber nicht in die Ortsmitte, sondern zu einem Komplex mit Kloster und Kirche oder so. Auch nicht schlecht, aber ich muß wieder zurück. Clevedon ist auch ein netter Badeort und verfügt über eine lange Seebrücke, die anscheinend nur kostspielig zu erhalten ist. Daher an den Besucher der Apell: "Sponsor a Plank!".

Einschub: Die Seebrücke von Clevedon ist das erste Opfer eines doch sehr ärgerlichen Malheurs, das sich erst nach der Rückkehr offenbart hat. Ein ganzer Film ist durch Lichteinfall verdorben worden, ob durch eigene oder Schuld des Fotolabors ist ungeklärt. Ich werde diesen Teil mit "verbaler" Fotografiererei absolvieren, damit man weiß, was man verpaßt hat. Oder auch nicht. Auf ein paar Bildern ist noch was zu erkennen, die habe ich dann mit reingenommen.

An den Laternenmasten in vornehmen Wohngegenden liest man später "This is a neighbourhood watch area". Da paßt wohl einer auf den anderen auf, falls die Einbrecher kommen. Man fährt nun zwischen zwei Bergkämmen dahin, durch den rechts liegenden hat man die Autobahn regelrecht hindurch gefräst.

Es wird langsam spannend, denn man nähert sich Avonmouth und der Straßenkarte nach gibt es dort nur eine Autobahnbrücke. Irgendwann wird man durch ein Hinweisschild für Fußgänger und Radfahrer erlöst, die auf verschlungenen Nebenwegen auf die Brücke gelotst werden. Tief unten liegt der verschlammte Fluß Avon. Stolz darf man nun die Brücke passieren. Mir kommt ein Ehepaar entgegen, die ich gleich mal nach dem weiteren Weg fragen kann. Das Ehepaar befährt den Radweg No. 48 der National Cycle Routes und sie haben einen Routenführer samt Karte dabei, da kriegt man ja ganz pralle Augen. Meine Idealvorstellung wäre nämlich, daß man die gesamte End-to-End-Tour aus Teilstücken solcher Cycle Routes zusammensetzt. Aber das ist Wunschdenken. Immerhin kann man auf der Route 48 bis zur Hochbrücke über den Severn gelangen.

Anfangs geht das gut und man fährt über Feldwege zwischen Industrieanlagen im Zickzack. Irgendwo muß aber mal ein Hinweisschild gefehlt haben, denn ich lande doch wieder auf der Hauptstraße. Die erste der Severnbrücken ist Autobahn. Es gibt auch einen Tunnel, der ist auch nur für den Autoverkehr. Die Severn Road Bridge ist dann die richtige, eine Hängebrücke mit hohen Masten, wie man auf dem nicht vorhandenen Foto sieht. Hochbrücken machen dem Radfahrer immer einen besonderen Spaß, eine tolle Aussicht, eine neue Etappe beginnt.

In diesem Falle ist nun die Angelegenheit Cornwall/Devon abgeschlossen. Wenn man sich weiter genau nach Norden hält, befährt man am besten die A466 im Tal des River Dye. Da hat man auch ein Bonbon parat: man kommt gerade eine Abfahrt herunter, da liegt vor einem die mächtige Ruine einer Abtei, und das ist die Tintern Abbey. Und im übrigen fährt es sich auch weiter ganz schön in diesem Tal, das auch in den Deutschen Mittelgebirgen liegen könnte. Als Übernachtungsort wartet heute eine besonders hübsche Stadt: Monmouth. Der Ort hat noch einen zweiten Namen: Trefynwy, und das ist gälisch. Man befindet sich hier in Wales, was ja bekanntlich ein eigener Nationalstaat ist oder sein will. Ich komme gerade noch zurecht, den kreglen Damen des Touristenbüros ein wenig Arbeit zu machen, das tun sie gerne. Sogleich wird mir das Nachtquartier telefonisch vermittelt: um die Ecke bei Mr. Adams. Der wartet dann schon, als ich anrolle. Hier gibt es ein sehr gepflegtes Quartier, offiziell genannt: Steeples, 7 Church Street.


Monmouth

Monnow Bridge

Zum Essen gucke ich mir auch gleich ein Pizza Restaurant an, aber erst muß ein Rundgang gemacht werden, denn die Abendsonne ist ideal zum Fotografieren (das Ergebnis ist nun leider akademisch...). Da gibt es zuerst die Monnow Bridge aus dem 13. Jahrhundert. Daneben sind auf einem Platz Gitterverschläge zu sehen für die Markttage. Ich besuche auch noch Geoffrey's Window in der Priory Street, benannt nach einem Mann der sonderbarerweise erst 300 Jahre später nach Errichten des Gebäudes gelebt hat. Ich schaue mir das kunstvoll gearbeitete Fenster gar nicht so genau an, ich habe ja das Foto - denkste. Im Kirchhof von St. Mary's Church bestaune ich eine riesige Blutbuche, dann treibt mich der Hunger in die Pizzeria. Ich bestelle eine Seafood Special, BIG.

Was dann herangetragen wird, ist ein riesiger Pappkarton. Darin verbirgt sich eine Pizza in Tortengröße mit Thunfisch und Krabben, schon der erste Blick macht klar, das schaffe ich nie. Die Jungs haben auch nicht damit gerechnet, daß ich die hier allein verzehren will, das heißt hier "Take away" und dann nimmt man sowas mit für die ganze Familie. Ich lasse mir Teller und Besteck bringen und mache mich ans Werk. Zuerst esse ich noch den Teig mit. Als ich merke, daß mir der Ranzen spannt - wie der Schwabe sagt - kratze ich wenigstens den Belag der verbleibenden Tortensegmente herunter und schlemme nur die leckeren Sachen weg. Am Ende sieht es gar nicht so schlecht aus, ein gehöriger Teil dieser Riesenportion hat doch seinen Weg gefunden. "He must be hungry, I thought" sagt dann einer der boys beim Bezahlen.

Etwas schwerfällig mache ich mich auf den Weg zurück in mein komfortables Quartier, um die Fortsetzung der Tour zu planen..

5. Tag, Mittwoch, Monmouth - Haye on Wye - Knighton - Bishop's Castle
8.30-18.15, 122 km trp, 14.8 km/h avg., 67.8 km/h max, 621 km total

Liegt es an der Pizza von gestern oder kann ich das englische Breakfast nicht mehr sehen, heute bestelle ich "without meat". Mr. Adams erzählt noch, daß die Nacht zuvor auch zwei End-to-End-Fahrer durchgekommen seien, mit stechendem Blick und schnellen Rädern. Ob ich die gesehen hätte. Leider nicht, sicher habe ich gerade wieder ein Foto geschossen, als die vorbei gerauscht sind. Die sind dann gleich schnurstracks nach Hereford weiter gefahren, die übliche Route.

Nach langem Studium der Karte habe ich mir eine vielversprechende Strecke durch ein Hochtal ausgesucht. Schon die wenig befahrene B4347 und die umgebende Landschaft versetzen einen in Hochstimmung. Zwischen Hecken geht es durch eine parkähnliche Landschaft bestehend aus Weiden und einzeln stehenden uralten Eichen. Überall (wie in ganz Britannien) grasen de Schafe und man hat immer entsprechende akkustische Unterhaltung um sich rum. Oft antwortet man sogar auf ein Blöken, das sei dem Alleinfahrer in seiner Einsamkeit verziehen. An dieser Stelle versichere ich aber einmal stellvertretend für die gesamte Tour: ich habe nicht ein einziges Mal Langeweile gehabt!

Nach einigem Auf und Ab muß ich wieder ein Stück Hauptstraße auf der A465 fahren, bis ich in die Nebenstraße ohne Bezeichnung in Richtung des ausgesuchten Hochtals einbiegen kann. Auf der A465 passiert nun etwas trauriges: nachdem mir ein Auto mit hoher Geschwindigkeit entgegen gekommen ist, fällt ein Rotkehlchen senkrecht vom Himmel vor mir auf die Straße. Ich denke an die Jungen, die vielleicht hungrig im Nest sitzen und nun umkommen werden.


Kirche bei Pandy
Die trüben Gedanken vergehen bald, als ich mich nahezu autofrei das Tal hinauf zu arbeiten beginne. Es führt - für die, die eine gute Karte von Wales haben, von Pandy (sucht das mal) nach Hay on Wye. Mangels gelungener Fotos zähle ich auf, was mir so vor die Linse kommt:

Bevor diese Paßhöhe erreicht ist, habe ich es noch mit einem Mutterschaf samt Lamm zu tun, die irgendwo ausgebüxt sind und nun auf der Straße vorne weg laufen, geradezu als Schrittmacher. Als ein Motorradfahrer entgegen kommt, flüchten sie in einen Seitenweg. Ich stürze mich nun hinab in das Wye Tal, leider geht es so steil und unübersichtlich hinunter, daß die Bremsen reichlich zu tun haben. Quietschen tun sie nun nicht mehr, das ist ihnen wohl vergangen. In der Mittagssonne rolle ich in Hay-on-Wyre ein. Ein hübsches Städtchen, gespickt mit Antiquitäten- und Bücherläden. Für die Weiterfahrt kann ich auch die geeignete Straßenkarte erstehen: "Northern England, Sheet 5, Travelmaster Series of Great Britain, 1:250 000 Scale".

Es gilt nun eine Nebenstraße zu finden, die B4350. Auf der Karte ist an deren Ende ein geheimnisvoller Querstrich mit dem Wort "Toll" eingezeichnet. Als ich dort eintreffe, gerate ich schon wieder aus dem Häuschen. Es handelt sich um die uralte Whitney on Wye Toll Bridge aus dem Jahr 1775, 5 Pence muß ich auch löhnen. Auch wenn es Euch Leser nervt, hier tut es mir besonders leid, daß ich kein Foto vorweisen kann, aber man kann ja mal im Internet suchen.

Nun geht es wieder auf Strecke, zunächst auf der A438, von der man dann nördlich abbiegt auf die A411 bis Kington. Dort ist alles beflaggt, man bezieht das ja dann gleich auf sich selbst. Auch wird um den Erhalt eines Krankenhauses gekämpft ("Keep the Hospital"), wie man den Plakaten entnehmen kann. Der nächste größere Ort heißt ähnlich: Knighton. Nun frage keiner, wie diese Strecke durch die Walliser Quertäler verläuft, man überquert einen Bergrücken nach dem anderen, um zwischendurch jedesmal alles wieder an Höhe zu verlieren. Ich gratuliere mir, daß ich allein unterwegs bin, jeder Mitfahrer - besonders meine liebe Frau - hätte mich gesteinigt. Abends habe ich Bilanz gemacht: etwa 5 mal mußte man runter und wieder rauf, die Leistung an Höhenmetern steht in der Summe einer Alpenetappe in nichts nach (> 2000 m).

Einigermaßen fertig erreiche ich den Ort, den ich mir wegen seines schönen Namens (nicht nur) für das Nachtquartier ausgesucht habe: Bishop's Castle. Wie es nun weiter geht, das ist exemplarisch für das Glück des erschöpften Radfahrers. Ein hübscher Ort mit alten Häusern. Ein Informationsbüro, eigentlich schon geschlossen aber noch offen (nach Klingeln). Eine freundliche Frau, die mich gleich da behält und mir ein Zimmer anbietet. Es gäbe aber auch noch andere Möglichkeiten, da und dort oder ein paar km weiter? Ich stehe da mit weichen Knien, aufgesprungenen Lippen und Sonnenbrand auf den oberen Ohrkanten. Abladen, auf's Zimmer, Duschen und Beine lang - das ist es.

Und ist es zu glauben, in diesem Nest gibt es sogar ein indisches Restaurant. Nun muß ich noch meine Gastgeber würdigen, denn sie sind Inhaber eines uralten Hauses, da sind auch die Fußböden nicht so ganz horizontal, was man spätestens im Bett an einer gewissen rollfreudigen Lage feststellt. Das Fahrrad ist im Hinterhof untergebracht, angelehnt an ein "Horse for shaving wood". Dabei handelt es sich um eine Art Sitzbank, wo Holz für Restaurationsarbeiten von Hand bearbeitet wird. Die Herstellung von "Old Chairs" ist Spezialität des Hauses. Eine kleine Anekdote: als sich meine Gastgeberin die Personalien geben läßt, überlasse ich ihr den Ausweis, wobei sie als Teil meiner Heimatadresse "Augenfarbe Grau-Blau" in ihr Formular übernimmt.

Am Ende sitze ich in meinem Dachzimmer am Fenster über der Straße, erwarte die Dunkelheit und bin wieder einmal glücklich.


Kapitel 3: Mittelengland, Lake District und Nordengland
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