Land's End to John O' Groats 12.6.-27.6.1999

Eine Radreise durch England, Wales und Schottland

Kapitel 5: Mittelschottland

12. Tag, Mittwoch: Conan/Ardgour - Glenfinnan - Mallaig - Skye - Plockton
8.30-19.00, 131 km trp, 13.1 km/h avg, 50.7 km/h max, 1497 km total

Stellt Euch mal vor, ich hätte diesen Tag in Oban rumgehangen um dann erst gegen Mittag eine 7-stündige Schiffsreise anzutreten. Wißt Ihr, was ich verpaßt hätte? DIE Königsetappe. Die Königsetappe ist nicht die schwerste oder längste, sondern auf Radtouren immer die schönste der Tagesetappen. Man soll nicht mit Superlativen um sich schmeißen, immerhin habe ich schon einiges gesehen, aber so etwas noch nicht, und es muß schon dicke kommen, wenn das noch überboten werden soll. Hoffentlich habe ich Euch nun den Mund für diesen Tag wässerig gemacht.

Bei strahlendem Sonnenschein breche ich auf, und zwar auf der Ardgour-Seite von Loch Linnhe, wo kein Verkehr ist. Mein Freund, der Ben Nevis hüllt sich noch in Morgennebel. Ich versuche krampfhaft mich zu erinnern, wie wir vor 31 Jahren diesen höchsten Berg Britanniens bestiegen haben. Aber das ist irgendwie weg, ich weiß nur noch, daß dichter Nebel herrschte und nichts zu sehen war. Heute ist das anders, man kann mit 100 km Fernsicht rechnen.


Am Loch Linnhe

Wollgras und Ben Nevis im Dunst
Auf der einsamen Straße radelt man - allein mit den Schafen - wieder so wunderschön, daß man ein Liedchen anstimmen könnte. Leider habe ich keinen schottischen Song auf Lager, ich summe dann immer: ...ich will zur schönen Sommerszeit, ins Land der Franken fahren... Paßt nicht so ganz hier her, ich weiß. Ab und zu muß man doch mal absteigen, wenn ein Cattlegrid auftaucht. Ich würde keinem raten, mit einem bepackten Rad über die querliegenden Eisenträger zu fahren, der Reifen könnte durchschlagen - heißt das nicht "snail bit"? - oder die Felge könnte Schaden nehmen. Nun sehe ich zur Rechten wieder eine Lachsfarm. Das sind kastenartige Gehege im Wasser, wo man die Lachse in Gefangenschaft mästet. Wenn man weiß, wie wanderfreudig die Lachse (...sind Tag für Tag auf Achse...) ihr Leben gestalten, so tut einem das weh. Man kann die Lachse in ihrem Gefängnis sogar springen sehen, aber das geschieht sicher nicht aus Freude.


Die schönste Telefonzelle der Welt
Den berühmten Ort Fort William kann man nun von weitem betrachten, das sieht gar nicht gut aus. Da hat man mit einigen grauen Gebäudekästen oben am Berghang wohl weniger der Schönheit des Ortes gedacht. Die Straße knickt nun mit Erreichen von Loch Eil nach Westen. Und was für eine Überraschung, wieder Rückenwind wegen der Schönwetterlage, womit habe ich das verdient? So rollt man weiterhin auf das angenehmste dahin, man sieht weitere Lachsfarmen und dann kommt die schönste Telefonzelle der Welt. Jedenfalls taufe ich sie so, wobei ich die umgebende Landschaft mit einbeziehe. Es ist in ganz Britannien erstaunlich, wo man überall Telefonzellen antrifft. Damit es nicht langweilig wird - aber wie sollte es - taucht noch eine Ansammlung von Graureihern am Ufer auf, so an die 10 sind es. Bevor ich die Kamera gezückt habe, fliegen sie auf.

Lachsfarmen im Loch Eil
Am Ende von Loch Eil unterquert man eine Eisenbahnunterführung. Wie bestellt ertönt auch schon das muntere Signal einer Lokomotive, ein Dampfschweif verrät, hier handelt es sich um eine Dampfeisenbahn. Mehr ist im Moment nicht zu sehen, der Spuk ist schon vorbei.


Glenfinnan
Wenige Meilen weiter erreicht man Glenfinnan. Dort parken die Reisebusse, da muß doch was zu sehen sein! Zum einen ist hier das Ende von Loch Shiel, ein langgezogenes Gewässer, das den Bezirk Ardgour durchschneidet. Und dann ist da noch ein Denkmal mit einer steinernen Figur oben drauf. "For Scotlands Honor" ist irgendwo zu lesen. Es handelt sich um ein "Memorial" in Angedenken an eine "1745 Jacobite Rebellion" mit "Bonnie Prince Charles". Wer näheres darüber wissen will, wird sich zu helfen wissen.

Ich werde dagegen angesprochen von den Schweizern vom Ardgour Inn, die gerade des Weges kommen. Ob ich hierher mit dem Fahrrad gefahren sei? Logo, und wieviel Kilometer? Der Blick auf den Tacho zeigt: 40.5, und das in zwei Stunden, da habe ich ja wirklich heute einen guten Schnitt drauf. Nun geht es aber erst mal eine ordentliche Steigung rauf und es eröffnet sich ein atemberaubendes grünes Hochtal. Das wird ja immer großartiger, man spürt gar nicht mehr die Beine beim Pedalieren, sondern hat das Gefühl, in einem überdimensionalen Kino die Landschaft auf sich zu gleiten zu sehen.

Und nun ist wieder was im Busch oder besser, auf allen begehbaren Hügeln. Da sind die Leute zugange und installieren Stative, Kameras, Teleobjektive und Kamcorder. An einer Eisenbahnüberführung halte ich an und frage einen der beflissenen Fotofreunde, was denn hier los sei. Aber ich sehe es schon an seinen Augen, der ist ganz durcheinander und sprudelt los: "The train will leave at ten forty five, it's a steam engine, you know!". Und dann an seine stativschwenkende Gattin gewandt: "You better go up that hill, Sheila!". Na, das ist doch mal was, vielleicht könnte ich ja auch ein gutes Foto gebrauchen, so einen historischen Dampfzug mit dem verblassenden Ben Nevis im Hintergrund. Also begebe ich mich auch "up that hill" und setze mich mit gezückter Kamera ins Gras.

"Jacobite" Steam Train
Wie das bei der Eisenbahn so ist, der Zug kommt und kommt nicht. Dann wird mir das zu bunt, ich habe ja auch schließlich noch was anderes zu tun, mache das Foto mit den leeren Gleisen und fahre weiter. Und doch bin ich infiziert, gucke immer wieder nach hinten, kommt der Zug nun und kann ich gerade ein Foto schießen? An einer geeigneten Stelle suche ich das Farnkraut auf, um den morgendlichen Tee durch das Hosenbein zu entsorgen. Und da kommt das Bähnle tatsächlich heran gepfiffen und gedampft, kaum habe ich die Hände frei, kann ich mein Foto machen.

Einschub: Auf der Rückfahrt mit der Bahn viele viele Tage später finde ich in der Zeitschrift "Scotrail Outlook 7/99 June - July" einen Artikel über das Highland Rover Ticket, mit dem man kreuz und quer in dieser Gegend mit der Bahn reisen kann, folgende Notiz: One of the greatest railway journeys of the world ...In summer the "Jacobite" steam train runs from Fort William to Mallaig offering a chance to savour a taste of the great era of steam...

Ich denke an meinen lieben Internetfreund und Eisenbahnfreak Terje M. in Norwegen, dem mache ich mit Sicherheit eine Freude mit diesem Erlebnis. Und wenn man nicht auf sowas vorbereitet ist, dann rückt das schnell in den Bereich einer Sensation. Nun ja, ich rolle in Hochstimmung weiter, wie man sich denken kann, durch diese phantastische Landschaft im Sonnenschein. Mit Erreichen der Küste, hier Sound of Arisaig wird das alles immer großartiger. Es herrschen heute Lichtverhältnisse wie man sie vom Mittelmeer kennt. Wann hat man das schon in Schottland? Ich werde das Gefühl nicht los, heute sei Sonntag.

Ich kann die vielen Ausblicke auf die azurblaue See mit den Konturen der Inseln im Hintergrund nicht mit Worten schildern. Auch fotografieren läßt sich das nur in Ausschnitten, setzt man sich hin und läßt so ein komplettes Panorama auf sich wirken, treiben nur zwei Worte durch den Kopf (man denkt ja schon in Englisch): "Unbelievable" und "Incredible".


Hier ruht ein Dichter, aber man weiß nicht wo
Die Straße hat noch mehr zu bieten, hier an der Westseite von South und North Morar. Eine urwaldartige Vegetation, gewaltige Mammutbäume, erstaunlich für diese Klimazone. Auch ein wenig Kultur: an einem Friedhof mit Kirchenruine findet man einen Hinweis auf einen großen gälischen Dichter mit dem schwierigen Namen Mhaighstir Alasdair, 1700-1770. Der soll auf diesem Friedhof ruhen, aber man weiß nicht wo.


Wir machen den Weg frei...
Die Straße windet sich durch die Hügel, auf und ab. Aber dann hat man des Guten zuviel getan. Mit Europageldern finanziert hat man eine breite Trasse angelegt, die den Weg frei macht, wie es in einer gewissen Werbung bei uns heißt. Es ist die Frage, ob das außer den entscheidenden Politikern und den ausführenden Baufirmen jemand gut findet. Kurz vor Malleig kommt mir der weltberühmte Dampfzug schon wieder entgegen, zum Glück stehe ich gerade wieder am Straßenrand.

In Malleig komme ich wieder "just in time" an, natürlich habe ich unterwegs auch schon ein wenig mit den verbleibenden Meilen gerechnet, die Methode habe ich ja schon erläutert. So überquere ich alsbald dank der Caledonian Mac Brayne den Sound of Sleat hinüber auf die Insel Skye. Ein Dudelsackspieler hat sich - leider - vor ein paar Mülltonnen postiert und spielt den ankommenden Passagieren eins auf, um sein Taschengeld aufzubessern.

Soll ich weiter von der Landschaft schwärmen? Ich muß es! Das Panorama ist unbeschreiblich. Daher beschreibe ich es nicht, es geht einfach nicht. An einer Bucht versuche ich ein Panoramafoto, eins links, eins rechts mit jeweils einem Bezugspunkt in der Mitte. Es ist gelungen!

Aber in der modernen Zeit, in der wir leben, hat man sich in den Kopf gesetzt, die unbedeutende Strecke von Ardvasar bis Broadford auf der Insel Skye in eine Rennbahn zu verwandeln. Die alte Straße ist gerade noch erkennbar, wie sie sich durch die braunen mit Heidekraut überwachsenen Hügel schlängelt. Die neue Straße dagegen ist als durchgefräste Trasse angelegt, die Baufahrzeuge sind noch an der Arbeit. Zum Fahren mag das ganz angenehm sein, leider lassen sich die motorisierten Verkehrsteilnehmer aber zu einem 100 Meilen Tempo verführen, und wem soll das nützen.

Einschub: Motorradfahrer. Ein Thema für sich. Sicher ist Schottland ein Paradies für unsere Easy Rider, wozu man sich gelegentlich auch schon mal mit einem Western Hut ziert. Wenn ich dann mal einen Berg hinauf schiebe und sie mit stolz erhobenem Gesäß an mir vorbei rauschen, dann habe ich doch öfter mit den Zähnen geknirscht. Ich gebe zu, es sind verschiedene Welten, mit den eigenen Beinen ganz England zu erstrampeln oder prahlerisch zu verkünden: "Wir haben die Western Islands abgedüst". Wer kann stolzer sein? Wer hat mehr gesehen?

Sorry, das mußte mal raus. Sitze ich also gerade wieder vor einer Ginsterhecke und bewundere die Landschaft, da fahren zwei Mädchen vorbei, die Nationalität verrät sich augenblicklich mit dem Ausruf "Guck mal, der hat auch Ortliebtaschen". "Ich hole Euch gleich ein!" rufe ich hinterher, doch dazu kommt es nicht. Die Mädchen sind wohl runter in den Ort Kyle of Lochalsh gefahren, einen der bekanntesten Orte Schottlands. Hier setzt man mit der Fähre auf die Insel Skye über, inzwischen hat man eine Brücke gebaut, die das Loch Alsh überspannt. Sicher ist es immer noch romantischer, die Fähre zu benutzen. Aber über die Brücke geht es natürlich schneller. So verlasse ich die Insel Skye am Spätnachmittag auf die weniger romantische Art und freue mich wieder, daß das Passieren der Brücke für Radfahrer kostenfrei ist.


Kyle of Lochalsh

Plockton

Für ein Quartier sehe ich den Ort Plockton vor, "The Jewel of the Highlands", der etwas weiter nördlich am Loch Carron liegt. Irgendwo steht ein Schild, dem zu entnehmen ist, daß Plockton im Jahr 1994 den Preis des gastlichsten Ortes in Schottland verliehen bekommen hat. Dann bin ich ja da richtig. Nur daß ich den Ort zunächst gar nicht finde. Zwischen den Häusern, die ich dafür halte, irre ich mal wieder auf der Suche nach einem B&B herum. Eine hilfsbereite Dame bietet ein "Bunkhaus" mit "Self Catering" an, das ist ein Bungalow mit Selbstversorgung. Ich schaue zwar kurz hinein, aber das ist nicht, was ich suche. Auf die Frage nach einem Hotel sagt sie, unten im Dorf gäbe es eine Menge. "ich dachte, ich sei schon im Dorf" sage ich sinngemäß und erfahre, daß ich erst noch eine Gefällstrecke runterfahren muß. Und da ist dann das eigentliche Plockton, von dem man sich auch vorstellen kann, daß es einmal einen Preis gewonnen hat.

Ich werde im Haven Hotel aufgenommen zu einem Preis, der zwar ein Abenddinner mit enthält, den ich aber lieber verschweige. Bereut habe ich es nicht, schon gar nicht nach so einem einzigartigen Fahrradtag. Angemessen in Schale - wenn man von ein paar Knitterfalten absieht, begebe ich mich zur gegebenen Zeit in den Dining Room. An dem Tisch mit meiner Zimmernummer darf ich mich niederlassen und der Dinge harren. Am Nebentisch sitzt ein älteres Ehepaar, die auf die vornehme Art zu speisen verstehen, da kann man notfalls sich das Notwendigste abgucken.

Die Abfolge des Dinners ist:

Agyr Ham Slices, Soup, Tuna Filet, Fruit Salad and Ice

Kaum zu glauben, was innerhalb einer knappen Stunde so in einen hinein paßt. Nur das zweite Bier hätte ich lieber nicht bestellen sollen, am Schluß bekomme ich Magenschmerzen und muß das halbe Glas stehen lassen, das passiert mir äußerst selten. Dringend angeraten ist daher ein Rundgang. Die Abendsonne taucht alles in ein gelbes Licht. Damit nichts fehlt, steht rechts auf einer Anhöhe auch eine Burgruine herum. Der Weg führt mich natürlich auch über den Friedhof, wo die Rasenfläche vor jedem Grabstein eine Kuhle bildet. Anscheinend ist der Boden durch die verwitternden Särge nach gesackt, und das gruselt.

Am Abend brauche ich keine Lektüre. Ich habe übrigens - wohl wegen des Titels - "Ein Mann will nach oben" von Hans Fallada dabei, da habe ich auf der ganzen Tour nicht einen Satz gelesen. Heute lese ich in meinen Erinnerungen und den Bildern des Tages. Weniger prosaisch ist mein Aussehen, wegen einiger Sonnenbrände auf der Stirn, Nase und Ohren creme ich mich mit Penatencreme ein und sehe aus wie ein Irokese. Aber ich wohne ja "en suite", d.h mit Dusche und Toilette und muß nicht mehr über die Gänge und Leute erschrecken.

13. Tag, Donnerstag: Plockton - Glenn Carron - Loch Glascarnoch - Ullapool
8.30-18.00, 132 km trp, 16.3 km/h avg, 56.7 km/h max, 1629 km total

Wie meistens beginnt es heute bergig bis man einer Engstelle des Loch Carron den Ort Stromferry erreicht. Damit sich keiner falschen Hoffnungen hingibt, ist ausdrücklich ausgeschildert "No Ferry". Man biegt auf die A890 ein, die einen hinauf zum Glen Carron führt, ratet mal, wie der Fluß hier heißt: natürlich Carron. Heute habe ich wieder einen strammen - wenn Euch das nicht interessiert, mich geht es schon was an - Rückenwind. Der bläst einen geradezu das Hochtal hinauf. Das ist zunächst geprägt von Fichtenwäldern, wo man eifrig abholzt, hoffentlich weiß man, was man tut. Eine große Libelle voraus entpuppt sich als Hubschrauber, der anscheinend zu Arbeiten an der Flußregulierung eingesetzt wird. Als man die Baumgrenze hinter sich hat, wird die Landschaft wieder toll, hier herrscht die Farbe braun durch das Heidekraut vor. Die Berge ringsum sind um die 1000 m hoch, man erkennt einzelne Schneereste.


Schon wieder eine schönste Telefonzelle der Welt
Auf der weiten Hochfläche findet man ein paar vereinzelte Steinhäuser, die verlassen sind. Unter welchen Bedingungen haben die Menschen hier einmal gelebt? Als sie es nicht mehr ausgehalten haben, sind sie sicher ausgewandert oder nach Ullapool gezogen. Man muß sich mal vorstellen, wie die Winter hier oben sind, kann man gar nicht, wenn die Sonne so schön scheint. Heute hat man hier wieder eine Rennstrecke geschaffen, die ist wohl erst im vergangenen Jahr fertig geworden. Wozu? In Achnasheen hat man etwa den höchsten Punkt erreicht. Neben einer Telefonzelle mache ich mir Gedanken, welche denn nun die schönste der Welt sein mag.

Es folgt eine phantastische Abfahrt durch ein Ginsterparadies. Die Straße führt über 15 Meilen = 24 km leicht abwärts - man stelle sich das mal vor bei Rückenwind, Sonnenschein und klarer Fernsicht. Die Pedalen kommen wenig zum Einsatz. Schließlich erreicht man den Fluß mit dem schönen Namen Black Water, da geht es wieder aufwärts Richtung Nordwesten. Damit ist es mit dem Rückenwind vorbei, aber man muß ja auch mal was tun.

Entschädigt wird man oben an dem Stausee Loch Glascarnoch. Die Gegend ist moorig, schwarze Wasserlöcher glänzen seitwärts der Straße. Da bleibt man lieber auf sicherem Boden. Die Highlands ringsum sind gänzlich unbewohnt, es handelt sich um eine Urlandschaft, die sich Jahrtausende nicht verändert haben mag. Ich habe genug Phantasie, mir das Ganze hier unter unwirtlichen Wetterbedingungen vorzustellen. Hätte man das Pech mit Sturm und Regen- oder Schneeschauern, würde man hier nie wieder herkommen. Wenn es so wie heute ist, verfällt man Schottland, man muß Glück haben, und das habe ich!

Nach sausender Abfahrt erreicht man einen gutbesetzten Parkplatz, und da ist wieder etwas zu bestaunen: Corrieshalloch Gorge. Das ist eine tief eingeschnittene Schlucht, wo die Felsen mit üppiger Vegetation überzogen sind. Einen Wasserfall gibt es auch, wie es sich gehört. Es geht auf die letzten Meilen bis Ullapool. Da legt gerade ein Schiff zu den äußeren Hebriden ab. Ich bin mit meiner Entscheidung "Out of Oban" mehr als zufrieden, hier in Ullapool wäre ich erst einen Tag später eingetroffen, und so habe ich die End-to-End-Tour doch komplett auf dem Rad zurückgelegt. Noch bin ich allerdings nicht da.

In Ullapool fange ich wieder an zu "fremdeln". Das ist anscheinend eine Radfahrerkrankheit, sobald man in ein geschäftiges Treiben gerät, und hier geht es reichlich touristisch zu. Das Touristenbüro hat allerdings bereits geschlossen. Ich beschließe, einen Ort weiter zu fahren, nach Ardmair. Hätte ich das nicht gemacht, wäre mir nicht eines der schönsten Bilder gelungen. Es geht nämlich eine steile Rampe hinauf und da oben hat man natürlich einen herrlichen Blick über Loch Broom und die Berge dahinter, wo ich gerade her gekommen bin. Es geht danach noch munter rauf und runter, bis man die 5 km bis Ardmair bewältigt hat.


Ullapool

"Out of Ullapool" auf der Rampe

Hafen

Doch oh Schreck, hier gibt es gerade mal drei Häuser, da kann man wohl kaum übernachten. Auch der Campingplatz kann mich nicht locken, hier ist ja der Hund verfroren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als rauf und runter zurück nach Ullapool zu fahren. Immerhin erreiche ich auf der steilen Rampe abwärts meine heutige Höchstgeschwindigkeit. Und wieder habe ich Schwierigkeiten, ein Quartier zu finden. Die wollen alle nicht an eine Einzelperson vermieten. Die Schotten sind sparsam, sagt man, doch ich verstehe nicht, daß man nicht lieber eine Einzelperson nimmt anstatt gar keinen. Aber die Leute sind hilfsbereit, und so hat man mich schließlich zu Mrs. Joan Moffat, 1 Broombank gelotst. Dort gibt es ein Einzelzimmer.

Nun ist es spät geworden und ich muß noch essen gehen. Ich setze mich aufs Rad und kurve in dem Ort herum. Ich finde nichts gescheites, einmal werde ich in eine Bar abgeschoben, wo ein Mordskrach herrscht. Da bin ich schnell wieder draußen. Am Hafen ist ein Seafood Restaurant, da sitze ich verloren drin und keiner beachtet mich, schon gar nicht die Bedienung. Da gehe ich dann auch wieder. Um die Ecke gibt es ein "Take away" für Fish and Chips. Das ist die einzige Lösung. Ich bestelle eine Portion. Doch leider hat wohl so ein Bautrupp schon vor mir bestellt, die schleppen erst mal so an die 10 Portionen ab. Und ich muß warten, eine halbe Stunde lang, meine Speicheldrüsen arbeiten schon. Endlich bekomme ich das Paket ausgehändigt - und wohin nun damit? Ein Verbotsschild untersagt, das an Ort und Stelle zu verzehren, da hat man wohl keine Konzession (License). Also den ganzen Krempel in die Lenkertasche und zurück ins Quartier. "Did you get your meal?" werde ich gefragt. "Yes at the harbour" antworte ich wahrheitsgemäß, und verziehe mich dann in mein trautes Zimmer, wo ich unter Wahrung aller Sauberkeitsregeln mit bloßen Fingern über die Portion herfalle. Es bleibt nichts übrig.

Einschub: Wenn man in einer solchen Situation dann noch Lust auf ein Bier hat, was soll man machen? Eine laute Bar aufsuchen? Und da auch noch saftige Preise löhnen? Ich habe es Euch bisher verschwiegen: ich habe mir immer beizeiten ein Viererpack besorgt, wenn man das im Gepäck hat, ist der abendliche Genuß gesichert. Ich hoffe, mich damit zwar als leidenschaftlicher Biertrinker und nicht als Alkoholiker geoutet zu haben.

So findet man mich heute Abend über die Karte gebeugt, einen Zahnputzbecher mit dem kostbaren Getränk leerend, bis die Bettschwere ihr Recht fordert.


Kapitel 6: Nordschottland
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